Das Erstlingswerk Silke Böschens führt uns zum 11. Dezember 1875, als eine große Explosion den Kai in Bremerhaven erschütterte und 80 Menschenleben forderte, 200 weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Ein Sprengstofffass hatte sich beim Verladen gelöst und war auf die Kaimauer gefallen. Silke Böschen beschreibt das Schicksal zweier Frauen, die sich zweimal begegnen werden. Die zwanzigjährige Johanne Claussen verliert ihren Ehemann Christian, ihre Eltern, ihre Geschwister Gustav, Johann und Henriette, ihren Schwager Conrad. Zum Schutz ihrer neun Monate alten Tochter Elisabeth legt sie sich schützend über sie und verliert die rechte Hand. William Thomas alias Alexander Thompson hatte die Sprengstoffkiste auf das Auswandererschiff Mosel bringen lassen wollen. Ein Zeitzünder hätte es auf hoher See zur Explosion bringen sollten, er selber hätte das Schiff vorzeitig verlassen. Als ihm klar wurde, dass der beabsichtigte Versicherungsbetrug gescheitert war, schoss der Bankrotteur sich zwei Kugeln in den Kopf und verstarb wenige Tage darauf. Seine Frau, die Franco-Amerikanerin Cecelia Thomas, wird von der Kriminalpolizei zur Befragung aus Strehlen bei Dresden geholt. Bei der Beerdigung der Toten begegnet sie Johanne Claussen. Mit allem, was sich zu Geld machen ließ, den Ruin vor Augen, flieht Cecelia mit ihren vier jungen Kindern in die Staaten. New York erscheint ihr eine sichere Bleibe, hatte sich die Kunde vom Verbrechen ihres Gatten doch bis St. Louis verbreitet. Nach größeren finanziellen Verlusten durch vermeintliche gute Bekanntschaften steigt sie ins halbseidene Milieu ein. Johanne Claussen braucht lange, um ihre tiefen seelischen Verletzungen zu überwinden, lernt Stenografie und die linke Hand zu nutzen, unterstützt von ihrem Schwiegervater. Scham und Zurückweichen vor einer erneuten Ehe treiben sie zur Auswanderung nach New York, wo auf der Suche nach einer Anstellung als Hutmacherin sie Cecelia Thomas erneut begegnet. Silke Böschens Roman führt uns in die Gründerzeit zurück, zu Gewinnspekulationen, verbunden mit einhergehenden Betrügereien großem Stils. Es lehnt sich an das Sittengemälde der Buddenbrooks an, die Rolle der Frau in der wilhelminischen Gesellschaft, die Bedeutung der Familie und eines standesgemäßen Verhaltens, die Grenzen persönlicher Entfaltungsmöglichkeiten, die Klassenunterschiede in der Gesellschaft treten in Silke Böschens Roman hervor. Die Gefühlswelt zweier Frauen, die Sorge um die Entwicklung ihrer Kinder werden an zwei Beispielen widergespiegelt. Die Suche nach einem eigenen, nicht von den Familienstrukturen auferlegten Ausweg aus dem Schicksal beherrscht das Buch, lässt die Gefühlswelt verständlicher werden. Das knüpft an modernere britische Frauenliteratur an. Interessant wäre eine Fortsetzung lesen zu können.
Silke Böschen, Tränen von Freiheit. Flammen am Meer, 444 S. Gmeiner Verlag Mießbach Juli 2019 15 Euro ISBN 9-783839-224649