Ausgewogene Deutung der dramatischen Tage, Rede zur Eröffnung des Museums in M-K von Koen Aerts

18. August 2019

„Leidenschaft, die noch brennt, ist ein schlechter Ratgeber für jemanden, der gewissenhaft Wissenschaft ausüben will.“ Das sind nicht meine Worte, sondern die des Parlaments, das am 24. Februar 1945 den Gesetzentwurf für ein belgisches Weltkriegsmuseum beriet. Zu der Zeit war der Krieg noch in Gang. Belgien war bereits befreit, aber Nazi-Deutschland noch nicht besiegt. Tausende deportierter Belgier mussten noch aus den Lagern zurückkehren. Wenn sie noch zurückkamen. Das sollte in wenigen Monaten geschehen oder erst in den folgenden Jahren. Für viele war das Kriegsende alles andere als ein Fest, sondern vor allem ein banges Warten: Wer hat überlebt, wer wurde Witwe oder Witwer, wer Waisenkind?
Als schließlich die Antwort folgte, bedeutete es gleichermaßen Schmerz wie Befreiung: der Anfang einer nicht endenden Trauerzeit oder für die, die doch zurückkamen, das Versorgen von Narben, die ein Leben lang heftig schmerzen konnten, zu einer Zeit ohne Traumabegleitung, als sich ein Traumatologe noch mit gebrochenen Knochen statt mit gebrochenen Seelen beschäftigte.
Mit über 80.000 Toten bezahlte Belgien während des zweiten Weltkriegs einen hohen Preis. Fast einer von 100 Einwohnern ließ sein Leben. Ebenso viele Familien, Freunde und Bekannte tragen ein Erbe, das schwer zu verarbeiten ist. Vor diesem Hintergrund sollte das vorgesehene belgische Weltkriegsmuseum Hüter der Nation werden. Nach offiziellen Vorgaben sollte es über die „korrekte Erinnerung“ der großen Ereignisse wachen, von denen die gesamte Bevölkerung betroffen war. Zehn Tage nach der Kapitulation Nazi-Deutschlands beschloss das Parlament am 18. Mai 1945 einstimmig das Gesetz, um das Museumsprojekt auf den Weg zu geben. Zehn Monate später war von der ursprünglichen Begeisterung nichts mehr zu spüren. Die „korrekte Erinnerung“ und das Land selbst wirkten so zerrissen und aufgeteilt wie die Kriegstoten.
Natürlich ist der Krieg mehr als nur eine Rahmendarstellung oder Aufteilung von Totenzahlen, mehr als eine Rangfolge an Leid, für ein richtiges historisches Wissen aber sind die Proportionen äußerst wichtig. Auf etwas mehr als 80.000 Tote beläuft sich die größte Gruppe der deportierten Juden, mehr als ein Drittel der Gesamtzahl. Ihnen folgten zivile Opfer, Belgier, die bei den Kämpfen starben oder bei Bombardierungen, ein Viertel der Toten. Dann kommen Widerständler, ein gutes Fünftel: politische Häftlinge, erschossene Geiseln und Menschen, die durch kollaborierende Milizen ermordet wurden. Die gefallenen Soldaten stellen weitere 12 Prozent der Gesamtzahl dar. Und zum Schluss gibt es noch den verbleibenden, kleinsten Anteil von 6,6 %, für die Kollaborateure, die an der Ostfront fielen, bei Anschlägen des Widerstands umkamen oder nach dem Krieg hingerichtet wurden.
Wer ehrt welche Toten und welche Opfer werden vergessen? In Flandern gibt es deutlich mehr Kollaborateure – die Gruppe mit den wenigsten Toten und den meisten Überlebenden – die nach dem Krieg lange Zeit die lauteste Stimme hatten. Nicht die Opfer, die in der Lagern umkamen oder bestenfalls zurückkamen, sondern die, die wohl den Krieg verloren, kämpfen darum die öffentliche Anerkennung zu gewinnen. Als Beweis die Tatsache, dass fünf flämische Gemeinden bis heute noch den Namen des zu Tode verurteilten Nazipriesters Cyrie Verschaeve in ihrem Straßenplan hinnehmen. Im Ausland, selbst im wallonischen Teil Belgiens, bekommt man es vorgehalten. Straßen nach einen zu Tode verurteilten Kollaborateur zu benennen: das sind Zeichen für eine unaufgearbeitete belgische Vergangenheit.
Dass die Leidenschaft noch heute brennt, 75 Jahre danach, hat damit zu tun. Das Fehlen des Wissens um das Leid derer, die unter der Nazi-Besatzung gebeugt gingen. In Belgien geht es nicht darum, von oben herab eine „korrekte Erinnerung“ zu konstruieren. Noch vor Gründung des belgischen Weltkriegsmuseums wurde das ehrgeizige Projekt fallen gelassen.
Dass aber Leidenschaft, die noch brennt, ein schlechter Ratgeber für jemanden sei, der gewissenhaft Wissenschaft ausüben will, dem kann ich heute laut und deutlich widersprechen. Meensel-Kiezegem, wo die Zahl der Opfer nochmal um ein Zehnfaches höher liegt als im belgischen Durchschnitt, eröffnet ein Museum, das eine ausgewogene, von der Geschichtsschreibung dokumentierte Deutung der dramatischen Tage des August 1944 darstellt.
Nach Definition des international Council of Museums ICOM ist ein Museum „eine dauerhafte Ausstellung, nicht ausgerichtet auf Gewinn, Zugänglichkeit der Öffentlichkeit, dem Zusammenleben und seiner Entwicklung verpflichtet.“ Es gibt noch weitere Kriterien, über Sammlungen, die Verwaltung und die wissenschaftliche Forschung, die notwendig ist, um das Erbe verantwortlich darzustellen. All diese Punkte stellen für dieses Museum kein Problem dar, eher im Gegenteil.
Hoffentlich hört die flämische Regierung das, denn Flandern begibt sich heute auf den Weg auf derselben Grundlage, Museen einen offiziellen Status und die dazugehörenden Unterstützungsgelder zu bewilligen.
Zum einen erhält Flandern so die Möglichkeit, die unzureichende Darstellung der Kriegsjahre zu korrigieren. Ich verweise dazu nochmals auf die nach dem Kollaborateur Cyriel Verschaeve benannten Straßen, darauf, dass lange Zeit in Flandern mehr des Schicksals der Geiseln gedacht wurde als derer, die während der Besetzung gelitten haben. Für die ausländischen Vertreter: In Flandern ist es allgemein üblich, die nach dem Krieg bestraften Kollaborateure als Opfer zu bezeichnen. Mit diesem Museum gebt ihr denen ein Gesicht, eine Stimme, die eigentliche Opfer der Besetzung waren. Sie anzuerkennen bedeutet geistige Gesundung. Es ist notwendig, um unseren moralischen Kompass für die vierziger Jahre scharf einzustellen.
Der zweite Grund ist allgemeingültig. Man muss nicht unbedingt reisen, um die Welt kennenzulernen. Er liegt für jeden hier auf der Dorfstraße, sowohl bei schönen Dingen als auch hässlichen. In Meensel-Kiezegem, nicht so sehr in Sarajevo oder Ruanda in den neunziger Jahren. Das Museum zeigt, wie sich normale Menschen in einem System radikalisieren, wie brüchig das Zusammenleben ist und wie der Krieg eine lokale Gemeinschaft mit brutaler Gewalt zerbrechen kann. In Zeiten der Polarisierung, des Extremismus und großer demokratischer Spannungen gewinnt das Museum an erheblicher Bedeutung. Es hat eine große Signalfunktion, fördert das Zusammenleben und seine Entwicklung.
Der dritte Grund schließlich ist eher emotional, und genau daher von grundsätzlicher Bedeutung. Dieses Museum, Meensel-Kiezegem im Allgemeinen und besonders Jozef Craeninckx als letzter Zeitzeuge beweisen, wie eine Gemeinschaft trotz dramatischer Ereignisse den Faden schließlich wieder zurückrollen kann. Vor Kurzem kam es zu einem Treffen zwischen Jozef Craeninckx und ein paar Angehörigen eines der Täter, die für die Razzien von 1944 verantwortlich waren. Sie sind heute auch hier. Die Begegnung verlief ruhig, gefasst und wiederholbar. Es ist für uns alle vorbildlich.
Der Krieg, der uns im Sterben trennte, kann uns heute zusammenbringen. Trotz der Leidenschaft, die noch brennt, gelingt Meensel-Kiezegem, während vor 75 Jahren die Idee eines Weltkriegsmuseums zerbrach.
Anerkennung an die Organisation, die es ermöglichte. Anerkennung an alle Opfer, die den Krieg nicht überlebten und die, die zurückkamen. Anerkennung für Jozef Craeninckx. Ihr seid Hüter der Hoffnung und des Friedens. Wir können, wir müssen allemal daraus lernen.
Koen Aerts (Historiker der Universität Gent)

Eröffnung des „Museum 44“ Ansprache von Detlef Garbe

18. August 2019

Zunächst möchte ich Ihnen sehr herzlich für die Einladung zu der heutigen Feier- stunde danken. Es ist für mich eine große Ehre, für die Freie und Hansestadt Hamburg und die KZ-Gedenkstätte Neuengamme ein Grußwort zur Eröffnung des neuen „Museums 44“ an Sie richten zu können. Neuengamme – von diesem, 500 Kilometer von hier entfernt gelegenen Dorf in den Hamburger Landgebieten hatte wohl vor 75 Jahren niemand der 71 Deportierten jemals zuvor gehört. Doch der Tod der allermeisten von ihnen, die innerhalb weniger Wochen und Monate im KZ Neuengamme und in den Außenlagern an Hunger, Krankheiten und dem Terror der SS starben, sowie die Berichte der nur acht Überlebenden haben dazu geführt, dass sich der Schrecken von Neuengamme tief in die Geschichtschroniken von Meensel und Kiezegem eingeschrieben hat.
Die Kontakte zwischen „NCPGR Meensel-Kiezegem 44” und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme reichen 25 Jahre zurück. Als 1994 erstmals eine kleine Delegation der Stichting mit Guido Hendrickx, René Cauwbergs und Oktaaf Duerinckx die KZ- Gedenkstätte Neuengamme aufsuchte, wussten wir so gut wie nichts über die Geschichte von Meensel und Kiezegem. Sie übergaben uns dann Ihre Dokumentationen, die uns die Geschehnisse vor Augen führten. Wir recherchierten in unseren Unterlagen und waren froh, einen kleinen Beitrag zu der Ausstellung leisten zu können, die im November 2000 im Huis Hageland eröffnet wurde.
Seither haben sich unsere Kontakte immer mehr verstärkt. Sie bilden heute eine solide Grundlage für einen engen wissenschaftlichen Austausch und zahlreiche gemeinsame Aktivitäten. Seit 22 Jahren reisen regelmäßig Besuchsgruppen nach Neuengamme. So kommen wir Jahr für Jahr an dem 1998 von May Claerhout geschaffenen Denkmal „Die Verzweiflung“ zusammen, um der ermordeten Einwohner aus Meensel und Kiezegem sowie ihrer Mütter und Witwen zu gedenken. Durch das Denkmal ist die historisch begründete enge Verbindung von Meensel-Kiezegem und Neuengamme heute auch in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme sichtbar. In meinen Augen bietet das Denkmal mit den Ehrenfriedhöfen in Meensel und Kiezegem eine Einheit. Über die Denkmäler hinaus halten unsere Aktivitäten, Ausstellungen und Veranstaltungen, aber in besonderer Weise auch die Gedenkfahrten, diese Verbindung lebendig.
Weil die Menschen aus diesen beiden Dörfern, denen vor 75 Jahren so schweres Leid zugefügt wurde, erkennen konnten, dass in Hamburg-Neuengamme und anderswo Deutsche heute in klaren Worten aufrichtig über das Leid informieren, dass unsere Großväter und Väter ihren Eltern und Großeltern zugefügt haben, konnten Sie die Hand zur Versöhnung reichen. Wir sind Freunde geworden, und darüber freue ich mich sehr. Diese Freundschaft zeigt sich auch darin, dass heute eine große Delegation aus Hamburg und Bremen teilnimmt. Wir alle danken sehr für die große Geste der Einladung.
Das Jahr 2019, in dem sich die die Deportation der Männer aus Meensel-Kiezegem zum 75. Mal jährt, bietet eine Reihe von sehr bedeutsamen Jahrestagen. In Deutschland erinnern wir uns des. 70. Jahrestags der Gründung der Bundesrepublik Deutschland als demokratischen Rechtsstaat. Für die Deutschen war es ein großes Geschenk, dass nach der Tyrannei und dem Vernichtungskrieg, mit dem das nationalsozialistische Deutschland und seine faschistischen Verbündeten ganz Europa überzogen hatten, dieser Neuanfang dank des Sieges der Alliierten und der Befreiung möglich wurde. Zugleich erinnern wir uns in diesem Jahr des 30. Jahres- tags des Mauerfalls und der Überwindung der Teilung Europas.
Doch heute mischt sich die Freude über die Befreiung vom Naziregime und über das Ende des sich daran anschließenden Kalten Krieges mit großer Sorge. Wir spüren gegenwärtig überall in unseren Ländern, dass die Errungenschaften der Demokratie und der Zusammenhalt der in Europa über Jahrzehnte gewachsenen Staatengemeinschaft in Gefahr sind. In vielen Staaten breitet sich Populismus und neuer Nationalismus aus. Die Fixierung auf die eigenen nationalen Interessen, die Losung vom „Wir zuerst“, scheint das aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gewachsene Miteinander, die Formel vom „Wir gemeinsam zu unser aller Besten“ abzulösen.
Der Rechtspopulismus ist heute zweifellos die größte Herausforderung, vor der wir in vielen Staaten stehen, in denen große Bevölkerungsteile wirtschaftliche Verunsicherung verspüren, sich ängstigen, und deshalb für Hetze auf vermeintlich Schuldige, auf Minderheiten und Fremde sowie für Antisemitismus empfänglich werden. Das Problem sind dabei nicht nur die rechtspopulistischen Parteien, sondern Erosionsgefahren in der Mitte unserer Gesellschaften, Gewichtsverschiebungen in der ganzen Breite sozusagen.
Gerade in dieser Zeit sind Gedenkstätten und Museen wie dieses, das heute hier der Öffentlichkeit übergeben wird, wichtiger denn je. Denn sie konfrontieren die Gegen- wart mit der Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit. Das ist keineswegs rückwärtsgewandt, sondern ein zentraler Beitrag dazu, dass unsere Zukunft die Werte von Freiheit, Frieden und Ausgleich, von Demokratie und Menschenrechten weiterhin bewahrt und weiterentwickelt. Als vor 30 Jahren die sowjetische Staatenwelt in sich zusammenfiel und die kommunistischen Diktaturen überwunden wurden, hätte ich nicht geglaubt, dass unsere Gemeinwesen, dass die unter großen Opfern errungenen europäische Gemeinsamkeiten derart ins Rutschen geraten können. Sodass es heute wieder an der Zeit ist, alle unsere Kräfte zur Verteidigung von Demokratie und den Institutionen der internationalen Zusammenarbeit zu bündeln, ehe es zu spät sein kann.
So ist dieses Museum ein Beitrag dazu, neuen Ungeist, einer Rückkehr nationalistischen und menschenrechtsfeindlichen Denken entgegenzutreten. Mögen die Zeugnisse aus der tragischen Geschichte dieses Ortes, die hier sorgsam zusammen- getragen wurden, mögen die Informationen über die furchtbaren Folgen der Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten und ihren rassistischen Prinzipien von vermeintlicher Höherwertigkeit, möge dies einen starken Beitrag zur Stärkung der demokratischen Gegenkräfte und zur Entzauberung der neuen Unheilspropheten leisten.
Auch von daher sind dem neuen, sehr eindrucksvoll gestalteten Museum sehr viele Besucherinnen und Besucher zu wünschen. Ich gratuliere den Initiatoren, der
„NCPGR Meensel-Kiezegem 44”, der Gemeinde Tielt-Winge und der Provinz Brabant und allen Beteiligten zur Vollendung dieses wichtigen Projekts.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und für das Verständnis dafür, dass ich auf Deutsch zu Ihnen sprechen durfte.
Detlef Garbe, Ansprache zur Eröffnung des „Museum 44“, 11.08.2019

Meensel-Kiezegem August 1944 – August 2019 Ansprache zur Gedenkveranstaltung in Meesel-Kiezegem

18. August 2019

Am 6. Juni diesen Jahres wurde des Jahrestages der alliierten Landung gedacht, die eine zweite Front eröffnete und den Fall Nazi-Deutschlands einleitete. Man glaubte, dass gegen Weihnachten Berlin fallen und der zweite Weltkrieg zu Ende sein werde – jedenfalls im Westen. Der belgische Widerstand wurde dadurch übermütig. Die Spannungen verstärkten sich zwischen denen, die mit der Besatzungsmacht kollaborierten, und dem Widerstand. Verdruss, der eigentlich wenig mit dem Krieg zu tun hatte, erhielt viel Spielraum. Auch in unserem Ortsteil Mennsel-Kiezegem, wo am 30. Juli 1944 Gaston Merckx erschossen wurde.
Bereits zwei Tage danach, am 1. August, führten Angehörige der Deutsch-Flämischen Arbeitsgemeinschaft (DeVlag) eine erste Razzia in Meensel durch: August Craeninckx, Petrus Vander Meeren und Oscar Beddegenoots wurden erschossen, zehn Männer, vier Frauen, ein kleiner Junge und ein Mädchen wurden festgenommen und nach Löwen gebracht. DeVlag wurde nach dem zweiten Weltkrieg als kriminelle Vereinigung verboten.
Diese Aktion genügte der Familie von Gaston Merckx und ihren Anhängern nicht. Seine Beerdigung am 3. August 1944 heizte die Gemüter auf Neue an und eine zweite Razzia viel größeren Umfangs sollte folgen.
Am frühen Morgen des 11. August kesselten 350 Mann der Allgemeinen SS-Flandern, Devlag, der Fabrikswacht, der Flämischen Wacht und ein paar Leute des Sicherheitsdienstes das gesamte Dorf ein und durchsuchten systematisch alle Häuser. Dabei wurde eine Handgranate in den Hof von Jules Schotsman geworfen, da zu Unrecht vermutet wurde, der kanadische Pilot Edward Blenkinsop, dessen Familie hier anwesend ist, sei dort untergetaucht. Der Hof ging in Flammen auf. Sein Besitzer wurde das vierte Opfer, allerdings nicht das letzte! Alle männlichen Einwohner zwischen 16 und 65 wurden zum Verhör zur örtlichen Mädchenschule gebracht. In der Schule mussten zwei schwer misshandelte Widerständler der Nationalen Königlichen Bewegung (NKB) auf Befehl zweier maskierte Männer auf die an dem Mordanschlag Schuldigen zeigen. Die von ihnen selektierten „verratenen“ Widerständler wurden nach Löwen gebracht. Tatsächlich wurden ganz kurz vor der Befreiung noch 71 der 91 Geiseln über (Brüssel -) St. Gillis und Schaarbeek ins KZ Neuengamme deportiert. Nur acht sollten ihr Dorf wiedersehen.
In Meensel-Kiezegem trauern wir um unsere Toten und bieten den ihnen Nahestehenden unsere Anteilnahme an. Auch nach 75 Jahren kommen wir an unseren Denkmälern zusammen, um zu bezeugen, dass der Streit zwischen unseren Mitbürgern noch nicht beendet ist. Dass wir 75 Jahre danach noch immer wachsam sein und bleiben müssen, weil Frieden, soziale Demokratie und Menschenrechte für jeden wertvoll sind.
Die amerikanischen, englischen und französischen Staatsoberhäupter, die dem Gedenken an die Landung in der Normandie beiwohnten, erwarten wir für heute nicht. In Meensel-Kiezegem ist keiner großen Heldentaten zu gedenken. Dennoch fühlen wir uns sehr geehrt, Gleichgesinnte vor allem aus Kanada, Deutschland, Niederlande und Dänemark begrüßen zu dürfen. Die persönliche Teilnahme des Leiters der Gedenkstätte Neuengamme und einiger Mitarbeiter sowie der Leiterin des Denkortes Bunker Valentin, zahlreicher Verantwortlicher von Lagergemeinschaften ehemaliger Neuengamme-Häftlinge und Angehörigen, der Internationalen Lagergemeinschaft Neuengamme AIN, ihres Jugendkomitees und der Antifaschisten aus Bremen bedeuten für uns Ermutigung und ein Zeichen, dass man auch anderswo in Europa den wahren Preis des Krieges kennt, bezahlt vom unbekannten kleinen Mann bei uns wie auch anderswo, wie im hier auch vertretenen niederländischen Putten.
Am 1. Mai diesen Jahres entstand der Jugendausschuss der Internationalen Lagergemeinschaft Neuengamme. Erfreut stelle ich fest, dass zwei der sieben aus Meensel-Kiezegem kommen, Ton Devos und Tom Lemmens, dazu noch zwei der fünf anderen Mitbegründer: Marc Cauwbergs und Katrin Duerinckx.
Die Zusammenarbeit des Gemeinderats mit St. Matthäus, OFSAR, der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der EU und dem Nationalen Comités der Politischen Gefangenen und Angehörigen NCPGR Meensel-Kiezegem ‘44 führte zur Eröffnung des in Eigenarbeit errichteten Museums Meensel-Kiezegem ‘44, wo wir jetzt auf zeitgemäße Weise die verhängnisvollen Ereignisse in unserer Gemeinde erklären können. In den kommenden Jahren werden wir weiter zusammenarbeiten, um das Museum, die Kirche und den Ehrenfriedhof zu einem gemeinsamen Gedenkort zu erweitern, wovon mein verstorbener Freund Frans Craeninckx träumte.
Die naheliegende Zusammenarbeit zwischen der belgischen Lagergemeinschaft Neuengamme und dem NCPGR Meensel-Kiezegem ‘44 soll die Teilnahme an künftigen Gedenkfahrten nach Neuengamme unterstreichen, bequemer gestalten und fördern.
Mit diesen drei genannten Maßnahmen versuchen wir in Tielt-Winge die Erinnerung an die Folgen extremer Ideologien und den Krieg am Leben zu erhalten. Der Gemeinderat rechnet mit Ihrer Beteiligung, um es weiterzutragen und andere zu ermutigen, nach Deutschland mitzureisen und sich aktiv und/oder als Mitglied im NCPGR Meensel-Kiezegem ‘44 einzusetzen.
Zum Schluss möchte ich im Namen des Gemeinderats, zweifellos auch in Ihrem Namen, den Verantwortlichen dieser Gedenkveranstaltung für ihren selbstlosen Einsatz danken. Dank an Vital, Freddy, Jos und Viviane, Dank an Marc, Katrin, Tom, Viviane, Fernand, Evrard und Stefan, Dank an die gesamte 33-köpfige Gruppe, derer aller Namen zu nennen angesichts der kurzen Zeit für diese Rede leider nicht möglich ist.
Zum Schluss danke ich Ihnen alle für Ihre geneigte Anwesenheit, Teilnahme und Bereitschaft zuzuhören.
Rudi Beeken (Bürgermeister der Samtgemeinde Tielt-Winge)

Gedenken an Sinti und Roma

30. Juli 2019

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2. August, 15:30 Uhr, Schlachthof: Gedenken an die Opfer des Völkermordes an den Sinti und Roma. Am 2. August jährt sich zum 75. Mal die endgültige Liquidierung des „Zigeunerlagers“ in Auschwitz-Birkenau mit mindestens 2.900 Hinrichtungen in einer Nacht.Es wird sowohl in Auschwitz, als auch in Berlin und anderen Städten Gedenkveranstaltungen geben.Es sollen Blume niederlegen werden und anschließend beim Kaffee an die Opfer gedacht und darüber sprechen, was dieser Tag heute für uns bedeutet. Dabei möchten wir möglichst viele von euch dabei haben! Bitte teilt den Termin auch in euren Netzwerken.

Die SS nach 1945. Entschuldungsnarrative, populäre Mythen, europäische Erinnerungsdiskurse

30. Juli 2019

Was wäre aus Deutschland geworden
Die Frage stellt sich mir immer wieder. Ein Nachkriegsdeutschland in dem ein Heinrich Lübke (Barackenlübke) oder Karl Carstens Bundes- und ein Hans Filbinger Ministerpräsident werden konnte. Oder der Chefideologe (Mitverfasser und Kommentator NS-Rassegesetze), Hans Globke, Kanzleramtschef. Der Aufbau der Bundeswehr u.a. durch Adolf Heusinger (Festung Harz) hätte sich sicherlich auch weniger wehrmachtartig dargestellt. Was wäre aus Deutschland geworden, wenn keiner der „Oberen“ noch einmal einen Posten in Politik, Justiz oder Wirtschaft hätte besetzen dürfen. Ein besseres Deutschland auf jeden Fall. Das Wirtschaftswunder à la Ludwig Erhard (seine Ideen kamen aus den End-Dreißiger) wäre langsamer und vielleicht auch nachhaltiger vonstattengegangen.
Das Ganze lief nun Mal anders ab. Neben den NS-Richtern, -Pädagogen, -Politikern, -Beamten und -Militärs gab es aber auch noch die Hard-Core-Nazis, die „überlebt“ haben. Die SS (inkl. Waffen-SS). Über die alljährlichen lettischen „Ehrungen“ der SS wurde berichtet. Aber auch in unserem Land sind noch viele SSler in Amt und Würden gekommen respektive geblieben. Jan Erik Schulte und Michael Wildt beschäftigen sich als Herausgeber des Buches: „Die SS nach 1945 Entschuldungsnarrative, populäre Mythen, europäische Erinnerungsdiskurse“ mit den SS-Schergen in der Bundesrepublik Deutschland. Der Internationale Militärgerichtshof zu Nürnberg hat die SS als verbrecherische Organisation eingestuft. Nichtsdestotrotz sind SS-Täter wie Paul Carell und Joachim Peiper so gut wie ungeschoren davongekommen und konnten später ihre „Kameraden“ in Büchern und Artikeln weißwaschen. Viele von ihnen fanden Obdach bei Reinhard Gehlens Bundesnachrichtendienst (BND) oder man half ihnen wieder „Fuß zu fassen“ in der BRD. In diesem Zusammenhang sei auch der fiktive Roman von Frederick Forsyth, „Die Akte Odessa“, erwähnt. Das Organisationen wie die «Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e. V. (HIAG)», 1951 als „Traditionsverband“ gegründet, legal existieren konnten, zeigt den Einfluss der SS im Nachkriegsdeutschland.

Aber auch im Bundeskriminalamt (BKA) fanden sich die SSler wieder. So war Eduard Michael in seinem „Vorleben“ als SS-Hauptsturmführer an der Deportation von 4.000 Juden ins Vernichtungslager nach Treblinka in Tschenstochau mitverantwortlich. Beim BKA war er dann zuständig für Einstellung von Personal (Nachtigall, ick hör dir trapsen). Zu allem Überfluss wurde er noch von 1952 bis 1959 BKA-Verwaltungschef.

Natürlich wurde der SS- und KZ-Ornithologe Günther Niethammer an der Uni Bonn habilitiert und später „ordentlicher“ Professor. Die Präsidentschaft der Deutsche Ornithologen-Gesellschaft e. V. (DO-G) hatte er von 1968 – 1973 inne. Auch er wird mit größter Sicherheit „Kameraden“ geholfen haben.

Die SS-Schergen sind verstorben, aber ihre Ideologien leben weiter. Sie haben die Grundlagen nach 1945 in Bildung, Justiz, Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft, übrigens mit Wissen und Willen der damaligen Politiker, gelegt und noch heute belasten sie uns alle.

Das in der BRD die Demokratie nicht ganz den Bach herunter ging, lag allerdings nicht an der SSlern.

Jan Erik Schulte, Michael Wildt (Hg.): „Die SS nach 1945. Entschuldungsnarrative, populäre Mythen, europäische Erinnerungsdiskurse“, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2018, 451 Seiten, 45 Euro, ISBN 9-78-384710820-7

Die große Illusion

30. Juli 2019

In den letzten zwanzig Jahren wurden eine Reihe von historischen Untersuchungen veröffentlicht, die eine europäische Sichtweise auf die Jahrhunderte alten Konflikte zwischen den Großmächten herauszuarbeiten versuchten. Der Krieg und die damit verbundene Propaganda wurden in einen gesamteuropäischen Kontext gestellt. Zwischenstaatliche Verträge wurden einer quellenkritischen Prüfung unterzogen. Seither sind in etlichen Ländern eine Vielzahl von Akten aus den Archiven der historischen Forschung zugänglich gemacht worden. Mit dem Erscheinen von Christopher Clarkes „Schlafwandler“ wurde der Versuch einer Revision der Kriegsschuldfrage angestoßen. Das stärkte in Deutschland zahlreiche Geschichtsrevisionisten, Von ihnen wurden Fritz Fischers Darlegungen über den „Griff zur Weltmacht“ wurden heftig angezweifelt.
Eckart Conze hat in seinen Ausführungen über „Die große Illusion – Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt“ die Vertiefung der europäischen Integration heute und die Frage der Entwicklung einer internationalen Schiedsgerichtsbarkeit in den Kontext der Friedensverträge mit den besiegten Mittelmächten nach dem Ersten Weltkrieg gestellt. Eine sehr akribische Arbeit, wie das ausführliche Anmerkungs-, Literatur- und Personenverzeichnis belegen. Große Aufmerksamkeit widmet Conze den Grundlagen einer internationalen Weltgemeinschaft, dem Völkerbund. Zu Recht hebt er hervor, dass die Unzulänglichkeiten in der anfänglichen Beschränkung auf die europäischen Siegermächte lagen, dass die USA sich nicht beteiligte, die Dominions und Kolonien nicht daran beteiligt wurden. Ähnliches galt für ein internationales Schiedsgericht, dass wegen Ablehnung von Souveränitätsrechten ein weitgehend zahnloser Tiger blieb. Die Politik der Siegermächte blieb von nationalen wirtschaftlichen Interessen bestimmt.
Im Mittelpunkt seiner Untersuchungen steht die Kriegsschuldfrage, die Conze aus Sicht einer europäischen Verständigung heraus bemüht ist zu relativieren. Zweifellos war die Wahl des Spiegelsaals des Versailler Schlosses als Ort der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags „eine hohe symbolische Inszenierung“. Die Unnachgiebigkeit bei den Reparationszahlungen haben zweifellos nicht zur „Demobilisierung der Geister“ geführt. Mit der Zerschlagung dreier Vielvölkerreiche erhielten die in ihrem Kampf um die nationale Selbständigkeit bestärkten Völker Österreich-Ungarns, Russlands und des Osmanischen Reichs die Illusion einer Beteiligung am Friedensprozess. Conze stellt deutlich heraus, dass es dabei um eine Neuaufteilung der Einflusssphären ging. Die Vorstellung ethnisch reiner Staatsgebiete wurde insbesondere in Ostmittel- und Südosteuropa zur Grundlage jahrzehntelanger Nationalitätenkonflikte und Pogrome gegen Minderheiten. Für die Völker Asiens und Afrikas war der Friedensprozess nach dem Ersten Weltkrieg der Anfang zur Entwicklung von Unabhängigkeitsbewegungen, die ihren Lohn für die Beteiligung am europäischen Bürgerkrieg einforderten, die nationale Selbständigkeit.
Conze beschreibt die Schwierigkeiten des Demokratisierungsprozesses in Deutschland, dessen führende Politiker dem Versailler Vertrag ablehnend gegenüberstanden, der Realität der internationalen Kräfteverhältnisse aber Rechnung trugen. Der ungezügelte Hass konservativer wie extrem rechter Gruppierungen und Parteien scheute nicht vor Diffamierung und politischem Mord zurück. Hasspropaganda bereitete den Weg zu einer Revision der Verhältnisse. Conze nennt zwei Gründe für die Appeasement-Politik Englands und Frankreichs vor Beginn des Zweiten Weltkriegs: Zugeständnisse zu einer Vertragsrevision und die Hoffnung eine kommunistische Entwicklung in Zentraleuropa verhindern zu können, wenn das faschistische Deutschland als Gegengewicht zur Sowjetunion aufgebaut werde. Er unterlässt es allerdings herauszustellen, dass die erfolgreiche Verhandlungspolitik der Weimarer Koalition aus Sozialdemokraten, Zentrum und den Liberalen eine allmähliche Lockerung der Vertragsbedingungen erreichen konnte. Erst mit der Weltwirtschaftskrise sahen die Herren von Banken, Kohle und Stahl die Zeit gekommen, mithilfe einer finanziellen Unterstützung der NSDAP die Kriegsziele des Ersten Weltkriegs doch noch erreichen zu können.
Eckart Conze, Die große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt, Siedler Verlag München, 560 Seiten, 30 Euro, ISBN 978-3-8275-0055-7

Antikriegstag

4. Juli 2019

Sonntag, 1.September, 11:30 Uhr, Antikriegstag, EnthüllungMahnmalam neuen Standort Lidice-Haus, Bremen

Antikriegstag

4. Juli 2019

voraussichtlich amSamstag,31.August,12 Uhr Marktplatz Bremen, Kundgebung zum Antikriegstag mit Herbert Behrens(ver.di)

Mahnwache

4. Juli 2019

Dienstag, 6.August, 12:00 UhrMarktplatz Bremen, Mahnwache zum 74. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki. Rednerinnen: Xanthe Hall(IPPNW/ICAN Deutschland) und Clara Tempel (JunepA-Jugendwerk politische Aktion)

LMK der VVN-BdA Bremen

4. Juli 2019

Am 22.06.2019 trafen wir uns im Nachbarschaftshaus Helene Kaisen in Gröpelingen zu unserer Landesmitgliederkonferenz und zu Wahlen zu den zu vergebenden Ämtern. Nach Feststellung der Beschlussfähigkeit lauschten die 16 anwesenden Mitglieder bei Kaffee, Tee und Keksen dem Bericht von Raimund zu den Bürgerschaftswahlen. Danach gab es eine kurze Einschätzung zu den Wahlen von Ulrich. Nach einem bebilderten Bericht zu unseren Aktivitäten, dem Kassenbericht von Regine und der Entlastung des Vorstandes stiegen wir in die Wahlen ein. Unser alter und neuer Vorsitzender ist Raimund, Marion bleibt weiter seine Stellvertreterin, Regine Kassiererin und Ulrich ergänzen den geschäftsführenden Vorstand. Jürgen K., Johann und Wolfgang vervollständigen den Landesvorstand. Das Revisorenteam besteht aus Monika, Jürgen W. und Johann. Den ausgeschiedenen Mitgliedern des Vorstandes auf diesem Weg ein herzliches Dankeschön für eure tolle Mitarbeit. Mit einigen Überlegungen dazu, was als nächstes anliegt, wurde der gemütliche Nachmittag dann beendet.
Auszug BAF 08./09.2019

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