Falken jagen

6. September 2018

Drei deutsche Geschäftsleute, ein 45-jähriger Landmaschinenfilialleiter, ein 62-jähriger Kfz-Meister und ein 39-jähriger Reiseorganisator werden in Thailand unter ungewöhnlichen Umständen ermordet aufgefunden. Nach ihrer Erschießung wurden sie enthauptet und aufgeschlitzt. Beigefügt hatte der Mörder jedes Mal eine in griechischer Handschrift verfasste Epistel mit Bezug auf Ereignisse Ende des 17. Jahrhunderts in Thailand. Unterschrieben sind diese Briefe mit „der Falke“, was auf ein mythisches griechisches Wesen hindeutet. Die Umstände der Morde rufen den Auftragsmörder Farang auf den Plan, der von der Geschäftsfrau „Imelda“ Watana beauftragt wird, den Falken aufzuspüren und zu töten. Der Sohn einer Thai und eines Deutschen hatte schon für ihren Vater, seinen Mentor, den „General“ gearbeitet. Hintergrundinformationen zu den Morden hat Imeldas Bruder beschafft, der um seine Stellung im Polizeidienst bangt, sollten die Fälle nicht rasch aufgeklärt werden. Farang setzt sich mit seinen Partnern Tony Royana, einem Reporter, und Bobby Quinn, einer ehemaligen „Tunnelratte“ der US-Marines, in Verbindung.

Auslöser für die Nachforschungen Farangs ist der Mord an einem Griechen, Ioannis Karpathakis. Eine Spur führt zu Walfried Lahnstein, einem 66-jährigen früheren Bundeswehrsoldaten, der in Südthailand lebt. Farang erfährt durch die Konsulatsbeamtin Thea Tsavakis von drei weiteren Falken-Morden an Deutschen auf den Dodekanes, Inseln im Südosten Griechenlands. Die Opfer wurden erschossen und anschließend erhängt. Das Mordmotiv liegt irgendwo in der deutschen Besatzungszeit 1943/44. Kam Karpathakis dem Täter zu nahe? Welche Spur führt von Griechenland nach Thailand? Den Mord an Lahnstein kann Farang nicht verhindern., er findet ihn erschossen am Strand und begegnet für einen kurzen Augenblick seinem Mörder. Der Falke ist ihm knapp entkommen. Lahnstein stand in Kontakt mit einem Alois Kesselschmied auf Leros. Beider Väter waren während Ende des Zweiten Weltkriegs als Gebirgsjäger auf den Dodekanes. Sollte Farang der Spur der Briefe folgen? Ist Kesselschmied das nächste Opfer des Falken? Was steckt hinter den Morden? Die Toten sind nach dem Krieg geboren, die Tötungsrituale archaisch. Es dauert einige Zeit, bis man den Faden erfasst. Eine verwirrende Menge an Einzelheiten lässt nur langsam erahnen, wohin die Geschichte zielt. Im hinteren Teil wächst die Spannung und auch die Identifikation mit Farang.

D.B. Blettenberg, Falken jagen, Pendragon Verlag Bielefeld 2018, 384. S., 18.- Euro, ISBN 978-3-86532-620-1

Nichts im Sinn mit Sozialem

6. September 2018

Gut besucht mit 70 Interessierten war eine Veranstaltung des Waller Bündnisses „AfD nirgendwo“ am 28. August im Kultur- und Jugendzentrum Walle. Andreas Speit referierte sehr anschaulich zum Treiben der Blaubraunen in den Parlamenten. Sehr deutlich wurde in seinem Vortrag, dass sie an parlamentarischer Arbeit völlig uninteressiert sind, dafür die Gelder für den Aufbau eines Mitarbeiterstamms und die Parlamente als Tribüne für ihre rechtspopulistischen Ausfälle nutzen. Finanziert werden sie von mittelständischen Interessenten, deren Gewinne allerdings in Millionenhöhe zu veranschlagen sind.

… Die beiden weiblichen Gallionsfiguren Weidel und Storch vereint der biologische Lebensschutz und das deutsche Reinheitsgebot. Gauland und Höcke sind nicht weit voneinander entfernt und Meuthen gibt sich auch nur an der Oberfläche moderat. Immer deutlicher wird ein neoliberales und isolationistisches Konzept, das unser Land von Eliten regiert wissen will, … Der Wahrheitsgehalt ihrer Nachrichten gleicht Spurenelementen. Pegida entwickelt sich mehr und mehr zur Massenorganisation der AfD. Die Vorstellung mancher Konservativer, die AfD wirksam rechts überholen, ihren Einfluss kappen zu können, beschleunigt nur ihren Aufstieg. …

Auszug BAF 10./11.2018

Nützliche Idioten im Namen des Volkes

6. September 2018

… Beunruhigt vom Rüstungswettlauf besuchte Els de Groen 1984 die Sowjetunion. Sie schrieb Bücher über Atomkraft und Radioaktivität. Gemeinsam mit dem russischen Autoren Eduard Uspenski gewann sie 1989 den Arkadi-Gaidar-Preis. Aus Sorge über die Lage in Ost-Europa, über die Korruption mit EU-Geldern und die Lage der Roma kontaktierte sie 2002 das Europäische Parlament. 2004-2009 saß sie dort als niederländische Abgeordnete von Europa Transparant in der Gruppe der Europäischen Grünen, setzte sich intensiv ein für die Interessen und kulturelle Identität der Roma. … Insgesamt hat de Groen 50 Bücher publiziert, Romane, Kinderbücher, Poesie und Sachliteratur. Ihr Werk ist in 13 Sprachen übersetzt, mit einer Auflage von 1,7 Millionen. Unter dem Titel „Nützliche Idioten – Im Namen des Volkes“ erscheint jetzt ihr Buch zur Frankfurter Buchmesse in deutscher Sprache und um 40 Bilder erweitert, … Die Lesung am 10.10. erfolgt zeitgleich mit dem Erscheinen des Buches auf der Frankfurter Buchmesse. …

Auszug BAF 10./11.2018

Bergen Belsen Besuch

6. September 2018

An einem mildsommerlichen 05. August fuhren wir zu elft zur KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen. Wir wollten die Ausstellung „Kinder im KZ“ sehen und den Gedenkstein für Anne und Margot Frank, nach Möglichkeit natürlich auch den sowjetischen Kriegsgefangenenfriedhof. … Um dieser beklemmenden Atmosphäre zu entkommen, um die Gedanken die Zeitzeugnisse mit bereits bekannten Fakten zusammenzubringen, bietet ein Gang über die Gedenkstätte einen Aufschub. … die Dauerausstellung nächster Punkt. Erschütternd die Bilder der Berge von Umgekommenen, hastig mit Baumaschinen in ausgehobene Gruben geschoben und zugedeckt. Die Baracken wurden verbrannt, es herrschte Typhusgefahr. … Jahrzehnte dauerte es, bis der vieltausendfache Mord an sowjetischen Soldaten einem würdigeren Gedenken wich. Unter veränderten Bedingungen wächst heute wieder ein neues Feindbild heran, dem es mit viel Aufklärung und Begegnungsarbeit entgegenzuwirken gilt.

Auszug BAF 10./11.2018

Sommerfest in Heideruh

6. September 2018

Wie jedes Jahr fand am letzten Samstag im Juli das alt bewährte Sommerfest in Heideruh statt. … Es waren wieder viele Infostände befreundeter Organisationen vor Ort und man konnte sich gut informieren. Das Kuchenbüffet platzte wie jedes Jahr wieder aus den Nähten, es wurde für jeden Geschmack etwas angeboten. Die Grenzgänger sorgten schon vor ihrem abendlichen Konzert den ganzen Nachmittag mit musikalischen Einlagen aus ihren verschiedenen Programmen für gute Unterhaltung.

… den Vortrag von Rolf Becker und Ingo Werth (Resqship e.V.) zum Thema „Seenotrettung auf dem Mittelmeer“ anzuhören. Ingo berichtete, mit welchen Schwierigkeiten und Repressalien die Besatzungen der Rettungsschiffe zu kämpfen haben. Auch schilderte er eindrücklich, z.T. mit Bildern belegt, in welch schrecklichem Zustand die Geflüchteten sind, wenn sie an Bord der Rettungsschiffe kommen.

… Die Grenzgänger stellten Ausschnitte ihres neuen Programms und die CD „Die wilden Lieder des jungen Marx“ vor. Eine gelungene Mischung aus Liedertexten von Karl Marx aus seiner Studentenzeit in Bonn. Auch diesmal gelang es den Grenzgängern wieder das Publikum mit ihrem wirklich tollen Programm in ihren Bann zu ziehen. … Erschienen ist die CD im Müller-Lüdenscheidt-Verlag unter der Nummer 4250137277233 und kostet 15 ,00 Euro

Auszug BAF 10./11.2018

Nachruf auf Ludwig Baumann

6. September 2018

… Der hochbetagte Vorsitzende der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz e.V. ist seit 1990 Herz, Motor und Stimme der Opfervereinigung gewesen. Sein unermüdliches Engagement hat zur gesellschaftlichen Anerkennung und gesetzlichen Rehabilitierung der Kriegsdienstverweigerer, Wehrkraftzersetzer und Deserteure der Wehrmacht geführt. Sein authentisches Wirken, sein Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Gewaltfreiheit ist ein wichtiger Impuls für die zivilgesellschaftliche Entwicklung gewesen. Ludwig Baumann wird uns und geschichtsbewussten, kritischen Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft, die ihm für sein Lebenswerk sehr dankbar sind, in lebendiger Erinnerung bleiben.

… seine authentischen, lebendigen Vorträge können als Fundament dieser zivilgesellschaftlich-lebensfreundlichen Entwicklung gesehen werden. Diese gilt es unumkehrbar zu machen, dafür bleibt auch weiterhin viel zu tun. Sein autobiographisches Buch, NIEMALS GEGEN DAS GEWISSEN, das 2014 im Herder-Verlag (Freiburg) erschienen ist, regt dazu an und trägt dazu bei.

Auszug BAF 10./11.2018

Joseph Rossaint

16. August 2018

Erinnerungen Wir sind im Osten von Alt-Oberhausen im Ruhrgebiet, also im
Marien- und Knappenviertel. Es ist schmuddelig hier. Arbeitslosigkeit,
Überalterung, Wohnungsleerstände, Kirchenschließungen machen die Zukunft
zur Sackgasse. Das nahe Centro, die „Neue Mitte“, belebt diese Gegend
nicht. Früher war das anders. Die solide Belegschaft einer Zeche und
eines großen Eisenhüttenwerks trug eine prosperierende Mittelschicht.
Die Unternehmen, die Gewerkschaften, aber auch die Katholische
Arbeiterbewegung waren stark und am Puls der Zeit. Der Saal von „Haus
Union“ war zwischen den Kriegen legendärer Versammlungsort. Noch in den
80ern war diese Gastwirtschaft stolz auf jene Vergangenheit. Eine ganze
Pinnwand war voll mit Zeitungsartikeln, Manifestationen und Fotos aus
dieser Zeit. Mehrfach zeigten sie einen jungen Mann: Dr. Joseph Rossaint, Kaplan in St. Marien von 1927 bis 1932. Als wir uns vor fünf Jahren nach der Beerdigung meiner Mutter dort zum Kaffee trafen, war von all dem nichts mehr zu sehen. Der neue Pächter der „Union“ wusste gar nicht, wovon ich rede, als ich ihn darauf ansprach. Meine Mutter kannte Kaplan Rossaint als Kind. Meine Großtante soll als Backfisch von ihm geschwärmt haben. Hinter St. Marien gab es den Graf-Haeseler-Platz (heute John-Lennon-Platz). Dort war früher ein einfaches Fußballfeld, auf dem ich als Kind gekickt habe. Rossaint hat es mit arbeitslosen jungen Männern während der Weltwirtschaftskrise angelegt
1.Prozess und Vorgeschichte
Warum erzähle ich das? Vor 75 Jahren, am 28.April 1937, wurde vor dem Volksgerichtshof in Berlin das Urteil im so genannten „Katholikenprozess“ verkündet. Hauptangeklagter war Dr.
Rossaint, mitangeklagt einige Führungskräfte aus Katholischen
Jugendverbänden, vor allem der Sturmschar (Franz Steber), die zum Teil, wie er selbst, auch im Friedensbund Deutscher Katholiken aktiv waren. Folgt man der gleichgeschalteten Presse, sollte der Prozess – Bestrebungen für eine „katholisch-kommunistische Einheitsfront“
2. aufdecken, – christlich motivierte Friedensarbeit in der Kirche als
staatsfeindlich denunzieren, – eine scharfe Trennlinie zwischen
Seelsorge und politischer Betätigung markieren. Sie feierte die 11 Jahre
Zuchthaus für den „Sowjetapostel“ und „geistlichen Hochverräter“ als
Schlag gegen die „Katholisch-Kommunistische Einheitsfront“
3. So auch das Urteil. Es konzentriert sich auf die Zusammenarbeit mit Kommunisten,
nicht auf die christliche Motivation des Widerstandes selbst, und
versucht den Menschen Rossaint zu diskreditieren, bis hin – aus heutiger
Sicht besonders infam – zu Andeutungen auf sexuellen Missbrauch: „… ein
links eingestellter … und zugleich moralisch tiefstehender Mensch, …
weil er als Geistlicher und Jugenderzieher ohne Hemmungen seinen
widernatürlichen Trieben nachging“
4. Kaplan Rossaint hat schon vor 1933 Jugendliche für Gerechtigkeit,
Frieden und Völkerverständigung und gegen Arbeitslosigkeit, Wehrpflicht
und den aufkommenden Nationalsozialismus mobilisiert. Er sieht früh die Verbindung zwischen Militarismus, Nazismus und Wirtschaft
5. Er sucht Verbündete für seine Arbeit bis in den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands hinein. „Es wird dunkler im Saal“ soll man dort, auf seine Soutane anspielend, gerufen haben, aber Rossaint lässt sich nicht
beirren. Er selbst versucht, in Oberhausen den linken Flügel des Zentrum zu stärken; nach der Zustimmung dieser Partei zum Ermächtigungsgesetz
tritt er aus. Er setzt sich für eine Versöhnung mit Polen ein und wird
deswegen vom Polizeipräsidenten verwarnt. In den Düsseldorfer Jahren bis zu seiner Verhaftung Anfang 1936 hilft er mehreren Kommunisten, einfach
weil sie die ersten Opfer nazistischer Verfolgung und Gewalt waren. Ein
Beispiel ist Berta Karg, eine kommunistische Jugendfunktionärin, die
ständig auf der Flucht und dem Verhungern nahe war, und die er
durchzubringen versucht. Er gehört zu den Wenigen, die sich öffentlich
gegen den Boykott der jüdischen Bevölkerung wenden.
Der Mensch Joseph Rossaint Ich habe Ewald Weber, später Inhaber eines
Geschäfts für Damenmoden in Oberhausen, bei der Feier zum 100.
Geburtstag von Kaplan Rossaint noch kennen gelernt – einen von seinen
Sturmschar-Leuten. Schmunzelnd bestätigt er die kolportierte Geschichte,
er habe als Schneiderlehrling die (!) Hose von Rossaint geflickt; und
der musste darauf warten, bevor er sich wieder zeigen konnte. Joseph
Rossaint half, wo er konnte, mit Schlafplätzen, Essen, Kleidung, Geld, – was auch immer nötig war. Herkunft und Werdegang erklären diese
Lebensweise nicht. Die Familie ist nicht proletarisch, der Vater
Straßenmeister, ermöglicht ihm Gymnasium und Theologiestudium. Sein
Promotionsthema „Das Erhabene und die neuere Ästhetik“ ist nicht das
eines frühen „politischen Theologen“. Er leitet sein Verhalten einfach
aus seiner christlichen Weltanschauung und der Betrachtung der Realität
ab. „Die Lebensgesetze des Christentums … sind Opfer und Bruderliebe.
Darüber geredet habe ich nicht zuerst. … Ich habe versucht, aus dieser
Haltung die Konsequenzen zu ziehen.“
6. Prägend ist seine Herkunft aus dem
deutsch-belgischen Grenzgebiet. Er sieht 1914 die Truppen Belgien
überfallen, verwundet zurückkehren, seine Heimat dann an Belgien fallen
– die Familie setzt auf Deutschland, verliert ihr Haus, muss umziehen.
Zeitlebens bekämpft er den Krieg, denn – ganz nüchtern – seine „Folgen …
sind so gewaltig und furchtbar für Sieger und Besiegte, daß sie in
keinem Vergleich zu dem Gut stehen, das durch den Krieg geschützt wird“
7.Nach dem Krieg Joseph Rossaint überlebt den Krieg, weil er im letzten
Moment durch Gefängnispersonal versteckt wird, als die SS im April 1945 politische Gefangene umbringt. Noch am Tag seiner Befreiung fängt er an, Hilfe für ehemalige Gefangene zu organisieren. Er wird Publizist und
Politiker. Ein ganz neues, anderes Leben, aber tief geprägt von seinen
Erfahrungen. Und wieder ist er konsequent: 1946 gründet er den „Bund
Christlicher Sozialisten“ und kämpft gegen die früh erkannte Restauration, bis der Bund von der Adenauer-CDU an die Seite gedrückt wird. 1947 findet er seinen politischen Ort in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), ab 1961 in dessen Präsidium und ab 1971 bis 1990 als Präsident des VVN/BA (Bund der Antifaschisten). In der „Internationalen Föderation der
Widerstandskämpfer“ (FIR) ist er führend tätig und im Ausland geschätzt
und anerkannt. Und wieder wird er verfolgt. Die VVN wird von der
Adenauer-Regierung bekämpft; der Verbotsprozess 1962 scheitert, weil der
Vorsitzende Richter als ehemaliger Nazi entlarvt wird. Die Geschichte
wiederholt sich: Rossaint wird jahrelang vom NRW-Innenminister
geheimdienstlich überwacht, denn VVN und FIR seien kommunistisch gelenkt. Dazu Rossaint: „Als Christ darf ich zwar mit Atheisten auf Christen schießen, aber nicht mit Atheisten zusammen für den Frieden kämpfen. Das ist doch ausgemachter Blödsinn.“
8. Sein individuelles Lebenskonzept macht es ihm schwer, sich in der Parteienlandschaft zu beheimaten. Früh kandidiert er, wie auch der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann, für die Gesamtdeutsche Volkspartei, später für die Deutsche Friedens-Union. Er wird in kommunistischen Staaten, auch in der DDR, geehrt; in der BRD erst in den 80ern. 1989 erhält er den Aachener
Friedenspreis.
9.Rossaint und die Kirche
Joseph Rossaint war kein bequemer Priester.
Schon die Versetzung von Oberhausen nach Düsseldorf 1932 könnte Folge
seiner lokal erfolgreichen „linken“ Zentrumsarbeit gewesen sein. Im
Prozess leugnet er nicht seinen christlich motivierten Einsatz für
Kommunisten und bringt die Bischöfe in die Zwickmühle, „sich entweder,
trotz ihrer eigenen antikommunistischen Haltung, hinter Rossaint zu
stellen, oder ihn fallen zu lassen“9. Sie ließen ihn fallen. „Niemand
aus der Hierarchie des Erzbistums Köln setzte sich für ihn ein“, wohl
für zwei Mitangeklagte.
10. Selbst der Katholische Jungmänner-Verband
musste sich von seinem ehemaligen Vordenker distanzieren. Einzig im
Ausland und von einzelnen mutigen Katholiken in Oberhausen (Martin Heix)
wurde sein Zeugnis damals gewürdigt. Der deutsche Episkopat lehnte
seinen prinzipiellen Widerstand gegen das NS-Regime, seine Friedensarbeit und jede christlich motivierte Zusammenarbeit mit Kommunisten ab: „Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler hat den Anmarsch des Bolschewismus von weitem gesichtet und sein Sinnen und Sorgen darauf gerichtet, diese ungeheure Gefahr von unserem deutschen Volk und dem gesamten Abendland abzuwehren. Die deutschen Bischöfe halten es für ihre Pflicht, das Oberhaupt des Deutschen Reiches in diesem Abwehrkampf mit allen Mitteln zu unterstützen, die ihnen aus dem Heiligtum zur Verfügung stehen“
11. Wer so redet, hat für Rossaints
radikales Verständnis christlichen Verhaltens nur das Wort „Dummheiten“
(so der Prozessvertreter des Kölner Kardinals Schulte) übrig
12. Das Unglaubliche ist jedoch: Auch nach dem Krieg bis zu seinem Tod 1991 wird Rossaints Widerstand kirchlicherseits offiziell nicht wahrgenommen. Er möchte in die priesterliche Tätigkeit zurück, und Erzbischof Frings bietet ihm eine Pfarrstelle an – unter der Bedingung, sich nicht mehr politisch zu betätigen und die Beziehung zu den Überlebenden aus seiner Haft, mehrheitlich Kommunisten, abzubrechen. Er konnte diese Bedingungen nicht akzeptieren. Er bleibt Priester – ohne Amt. Das im Kirchenmilieu erscheinende (nicht das allgemein-historische) Schrifttum, das sich mit der katholischen Kirche im Dritten Reich auseinandersetzt, verschweigt ihn weitgehend
13. Das wundert nicht bei Veröffentlichungen, die der Amtskirche nahestehen
14, aber selbst ausgewogene oder kritische Schriften erwähnen ihn
im Zusammenhang mit Widerstand im Nazistaat nicht
15. – wohl Blutzeugen wie Metzger, führend im Friedensbund wie er, oder Delp und Letterhaus, auch Franz Steber, seinen Mitangeklagten, aber eben nicht ihn. Pax Christi blieb ihm durch Grußworte solidarisch verbunden. Hier und da liest man, es sei kurz vor seinem Tode zu einer „Versöhnung“ mit der Kirchenleitung in Gestalt des Kölner Erzbischofs gekommen
16. Im Begleitbrief zum Tode Rossaints
17. würdigt der Kölner Weihbischof Frotz, nach Jahrzehnten der Distanzierung, die Gewissensentscheidung des „Mitbruders“ Rossaint, nicht ohne zu erwähnen, dass er seinerzeit die von seinem Erzbischof angemahnte „Besonnenheit“ durch „leidenschaftliche Sorge“ ersetzt habe – aber immerhin spricht er den politischen Konflikt an. Der gern zitierte Brief von Joachim Kardinal Meisner vom Vortag des
Todes grüßt ihn „in der Gemeinschaft unseres Priestertums“
18. nicht aber als konsequenten Zeugen in der Nachfolge des Handelns Jesu. „Versöhnung“ mit dem, wofür Joseph Rossaint stand, geht anders. „Wo wart ihr alle, damals?“ Dieses Zeugnis eines christlichen Lebens im
Deutschland des 20. Jahrhunderts ist unbequem, steht verquer, eckt an.
Inzwischen ist mancherlei reflektiert und geschrieben worden über die
Rolle der Katholischen Kirche vor, während und unmittelbar nach dem
Krieg. Da wird, nach ausführlichem Verweis auf „Mit brennender Sorge“
(Enzyklika von Papst Pius XI. 1936) und auf den „Löwen von Münster“
(Kardinal von Galen), die Einseitigkeit des einen oder anderen Bischofs eingeräumt, da wird bedauert, die Kirche habe mehr für ihre Strukturen als für ihre Botschaft gekämpft, und da werden verschämt die wenigen Blutzeugen geehrt, deren Opfer man quasi stellvertretend für die Kirche in Anspruch nimmt. Aber dieser eine Priester ist wegen seines Glaubenseinen politischen Weg gegangen, ganz früh schon, aber auch nach dem Krieg, der die selbstgewählte Position dieser Kirche in der deutschen Gesellschaft in Frage stellt. Die Kirche spürt, dass die von ihr geforderte Haltung eigentlich ganz einfach, und doch außerordentlich
schwer ist. Der 83jährige Rossaint hat es auf seine klare, nüchterne Art
so ausgedrückt: „Viele gewannen den Eindruck, daß die Kirchen sich mehr
durch ihre Feinde, als durch die Menschen, die ihren Beistand brauchten,bestimmen ließen.“
19. Als ich – Jahrgang 1946 – 14 oder 15 war, habe ich in der Schülerzeitung einmal einen provokanten Artikel geschrieben: Wo wart Ihr alle, damals, Ihr Lehrer, Eltern, Richter, Industriellen und so weiter? Wart Ihr alle „keine“ …? Ein Lehrer hat sich dem Thema in der nächsten Nummer gestellt und mit mir auf Augenhöhe gestritten. Eine seiner Fragen war (er wusste von meinem kirchlichen Engagement): Und die Pfarrer? Die hast Du wohl vergessen bei Deiner Aufzählung? Hatte ich. Für mich war die Kirche scheinbar abgeschirmt durch diese Zeit gegangen. Erst später hörte ich mehr und verstand tiefer. Von ihm, Kaplan Joseph Rossaint, 30 Jahre zuvor ganz in der Nähe, hat mir damals keiner erzählt, weder in der Pfarrei, noch in der Jugendbewegung, noch in der Schule.
Joseph Rossaint: Der Verfolgte von Jochen Windheuser (erschienen in:
Publik-Forum, 20.04.2012)

Ausstellung Russenlager und Zwangsarbeit

2. August 2018

Vom 18. September bis zum 18. Oktober werden im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus Vegesack Bilder und Erinnerungen Sowjetischer Kriegsgefangener mit Portraitfotos von Lars Nickel gezeigt.

Gezeigt werden großformatige Portraits ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener. Text- und Bilddokumente bezeugen Rassismus, Brutalität und Rechtlosigkeit, denen die Gefangenen in den Lagern der Wehrmacht und während der Zwangsarbeit ausgeliefert waren. Unter den sowjetischen Kriegsgefangenen waren auch Frauen. Über ihr Schicksal ist nur wenig bekannt. Von den circa 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die ab dem deutschen Angriff am 22. Juni 1941 in den Gewahrsam der deutschen Wehrmacht gerieten, waren am Kriegsende circa 3,3 Millionen in den Lagern gestorben. Eine ausreichende Versorgung der Gefangenen gemäß Völkerrecht war nicht vorgesehen. Der zunehmende Arbeitskräftemangel zwang die deutsche Kriegswirtschaft schon im Juli 1941, sowjetische Kriegsgefangene anzufordern. »Russenlager« wurden eingerichtet. Sie unterstanden der Wehr- macht, die unter Missachtung der Genfer Konvention die Gefangenen als »Untermenschen« behandelte. Als 1999 den zivilen Zwangsarbeitern humanitäre Anerkennungsleistungen für erlittenes Unrecht zugesprochen wurden, gingen die sowjetischen Kriegsgefangenen leer aus. Der gemeinnützige Verein KONTAKTE- KOHTAKTbl in Berlin gab sich damit nicht zufrieden. Er informierte über das Los der Betroffenen, sammelte Spenden und überwies ab 2003 jedem von ihnen einen symbolischen Betrag von 300 Euro, begleitet von der Bitte um Verzeihung. Insgesamt kamen fast 3,8 Millionen Euro zusammen. In eindrucksvollen Briefen, die als »Freitagsbriefe« im Internet nachgelesen werden können, schildern die Empfänger ihr Schicksal. Nach jahrelanger Öffentlichkeitsarbeit des Vereins KONTAKTE-KOHTAKTbl entschloss sich 2015 der Deutsche Bundestag endlich, jedem der damals noch circa 4000 Überlebenden 2500 Euro als »Anerkennungsleistung« auszuzahlen.

Eröffnung: Dienstag, 18. September 2018 um 19 Uhr
, Studiobühne durch Jens Böhrnsen (Bürgermeister a.D.), Dr. Peter Jahn (ehem. Leiter des dt.-russ. Museums Berlin-Karlshorst), Ella Vaisman (Klavier)

Dienstag, 25. September 2018 um 19 Uhr, Studiobühne

Vergessene Opfer des deutschen Vernichtungskrieges in Dnipro, Rostow am Don und Moskau
Studierende des Memory-Wiki-Projekts

Donnerstag, 27. September 2018 um 19 Uhr, Studiobühne

Sowjetische Kriegsgefangene im Stalag X B Sandbostel
Andreas Ehresmann und Ronald Sperling, Gedenkstätte Lager Sandbostel
Ab Herbst 1941 kamen sowjetische Kriegsgefangene auch in das Lager Sandbostel bei Bremervörde. Von hier aus wurde ihr Arbeitseinsatz in der Region organisiert.


Dienstag, 09. Oktober 2018 um 19 Uhr, Raum E03

Vom Bremer Ruderer zum NS-Wehrwirtschaftsführer bei Blohm&Voss: Eine Spurensuche
Dr. Susanne Schunter-Kleemann
Die Hamburger Werft beutete auch sowjetische Kriegsgefangene aus. Der Großvater der Referentin war dort Schiffbaudirektor. Es werden die Lebensumstände der Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge aus Neuengamme und die Hintergründe der Versenkung der Cap Arkona im Mai 1945 untersucht. (Veranstaltung mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Bremen.)

Mittwoch, 17. Oktober 2018 um 19 Uhr, Studiobühne
»Flintenweiber« und »Untermenschen« Szenische Lesung mit Martin Heckmann (Sprecher) und Susanne Schrader (Schauspielerin). Aus Briefen ehemaliger Kriegsgefangener und zeitgenössischen Dokumenten über die Folgen der NS-Rassenideologie für den damaligen Kriegsalltag und unsere heutigen Familiengeschichten.

Der Schützenhof in Gröpelingen

16. Juli 2018

ein vielschichtiges Beispiel aus dem Konglomerat der Lager der Bremer Rüstungsindustrie

…Gleichzeitig sind diese kleinen Lager weniger bekannt, oftmals wurden sie schon bald nach 1945 überbaut. Allerdings muss ich als Bremer Landesarchäologin auch feststellen, dass während meiner 10jährigen Amtszeit schon Flächen ehemaliger Zwangsarbeiterlager zur Bebauung freigegeben wurden. Dies ist allerdings dem Umstand geschuldet, dass die Landesarchäologie zum einen zu wenig Kenntnis von der Lage all dieser Lager besitzt, zum anderen aber auch zu wenig Personal und Finanzmittel für eine vorbereitende Recherche zur Verfügung hat. Deshalb müssen die wenigen Spuren dieser ehemaligen Lagerstandorte als archäologische Bodendenkmale unter Denkmalschutz gestellt, aber auch vor modernen Baumaßnahmen durch Ausgrabungen untersucht werden…

Für die Vermittlung mit der archäologischen Untersuchung auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers „Schützenhof“ in Gröpelingen rückt eines der bislang von der Forschung nur selten berücksichtigen Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme in den Blick und dies an einem originalen Schaupatz. Eine Ausgrabung an einem Zwangsarbeiterlager ist keine alltägliche Aufgabe der Landesarchäologie, bei dieser Untersuchung gab es keinen vom Bauherrn und Baumaschinen vorgegebenen Zeitdruck, sondern es handelt sich hierbei um eine Untersuchung gegen das Vergessen und für eine Erweiterung der Erinnerungskultur im Stadtteil Gröpelingen… Dieses Lagergelände ist nur wenig bekannt, obwohl hier noch vier Baracken des Lagers von Ende 1944 stehen, an denen sich noch zahlreiche Spuren des ehemaligen Aussehens erhalten haben. Bei den noch stehenden Gebäuden handelt sich um eingeschossige und nicht unterkellerte Baracken mit einem flach geneigten Satteldach, die sich alle auch in den heutigen Luftbildern von Google etc. erkennen lassen. Ferner gibt es eine große Freifläche, die zum einen als Parkplatz der Schützengilde benutzt wird und die zum anderen mit Gras bewachsen ist… Es gab in den wenigen Monaten des Bestehens des Barackenlagers 257 Tote aus zahlreichen europäischen Ländern. Die TeilnehmerInnen der Ausgrabung gestalten zu den überraschenden Ergebnissen des Schützenhofgeländes eine Poster- und Fundpräsentation, die sie am Tag des offenen Denkmals den interessierten Besuchern und Besucherinnen im Beisein von Bürgermeister Dr. Carsten Sieling vorstellen.
Auszug BAF-Artikel 08./09.18

Gedenktag am Denkmal Bahrsplate

16. Juli 2018

…Unser leiser Austausch darüber wird aber unterbrochen, als Fahrzeuge heranfahren, und die Belgier aussteigen. „Die Belgier“, das sind Mitglieder des Vereins „Amicale Internationale KZ Neuengamme“, welcher gegründet wurde von Überlebenden und den Angehörigen, und heutzutage nur noch aus den Verbliebenen besteht. Als sie aussteigen, falten sie Flaggen und Banner aus – auf ihnen die Symbole des Vereins, und auch das rote Dreieck – Symbol für politische Gefangene in KZ-System, und getragen von allen der Opfer, denen heute hier gedacht wird. Als die Belgier näher kommen mit ihren eigenen Angehörigen und Freunden, wird ersichtlich, dass eine überraschend gute Stimmung herrscht. Verwundert treten wir näher, und werden mit Begeisterung begrüßt als wir vorgestellt werden als Studenten, die die Veranstaltung im Rahmen eines Seminars aufsuchen und mitschreiben. Unser Interesse wird äußerst positiv aufgenommen, und allseits wird uns beiden mit lächelnden Gesichtern begegnet. Wir kommen ins Gespräch mit einigen, so zum Beispiel Rudi Beeken, dem Bürgermeister der Gemeinde Meensel-Kiezegem, aus welchem neun der auf diesem Denkmal genannten Opfer stammten. Er besucht offenbar oft die Gedenkveranstaltungen, und ist den deutschen Besuchern offenbar bestens bekannt…

Im letzten Abschnitt der Tagesreise fährt die Gruppe dann zum Schützenhof in der Bromberger Straße 117. Auch dort ist ein Denkmal, dieses in der Form von zwei Tafeln aus Stahl an der Wand. Erneut folgen Kranzniederlegung und Ansprachen, doch dann folgt eine Besonderheit, welche auch die regelmäßigen Teilnehmer so noch nicht gesehen hatte: Denn dieses Jahr hat eine Gruppe Studenten von der Universität Bremen unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Uta Halle von der Landesarchäologie Bremen eine Lehrgrabung auf dem Gelände vollzogen – und ist auf die Fundamente der Baracken des Gefangenenlagers gestoßen. Die Grabungsstelle ist noch offen, und mit großem Interesse wird Johanna und mir zugehört – wir beide waren Teil der Grabungsgruppe und erzählen, was vor uns liegt, und was wir gefunden haben. Prof. Dr. Halle hat mehrere Bilder, wie ein Luftbild von damals, Planzeichnungen, die originale Bauakte von den Baracken, und anderes mitgebracht, und gebannt wird uns dreien zugehört (und dann natürlich direkt übersetzt in die verschiedenen Sprachen).

Hiernach wurde noch in den Vereinsräumen des Schützenhofes etwas gegessen, und einige Gespräche über das Vergangene, den Tag, oder die Zukunft geführt. Dann mussten sich die Belgier auf den Weg machen. Was blieb, waren die Eindrücke – Betroffenheit, aber auch neues Wissen, neuer Mut – und die Gewissheit, dass wir so etwas wie Nationalsozialismus nie wieder aufkeimen lassen dürfen.
Auszug BAF-Artikel 08./09.18

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