Joseph Rossaint

16. August 2018

Erinnerungen Wir sind im Osten von Alt-Oberhausen im Ruhrgebiet, also im
Marien- und Knappenviertel. Es ist schmuddelig hier. Arbeitslosigkeit,
Überalterung, Wohnungsleerstände, Kirchenschließungen machen die Zukunft
zur Sackgasse. Das nahe Centro, die „Neue Mitte“, belebt diese Gegend
nicht. Früher war das anders. Die solide Belegschaft einer Zeche und
eines großen Eisenhüttenwerks trug eine prosperierende Mittelschicht.
Die Unternehmen, die Gewerkschaften, aber auch die Katholische
Arbeiterbewegung waren stark und am Puls der Zeit. Der Saal von „Haus
Union“ war zwischen den Kriegen legendärer Versammlungsort. Noch in den
80ern war diese Gastwirtschaft stolz auf jene Vergangenheit. Eine ganze
Pinnwand war voll mit Zeitungsartikeln, Manifestationen und Fotos aus
dieser Zeit. Mehrfach zeigten sie einen jungen Mann: Dr. Joseph Rossaint, Kaplan in St. Marien von 1927 bis 1932. Als wir uns vor fünf Jahren nach der Beerdigung meiner Mutter dort zum Kaffee trafen, war von all dem nichts mehr zu sehen. Der neue Pächter der „Union“ wusste gar nicht, wovon ich rede, als ich ihn darauf ansprach. Meine Mutter kannte Kaplan Rossaint als Kind. Meine Großtante soll als Backfisch von ihm geschwärmt haben. Hinter St. Marien gab es den Graf-Haeseler-Platz (heute John-Lennon-Platz). Dort war früher ein einfaches Fußballfeld, auf dem ich als Kind gekickt habe. Rossaint hat es mit arbeitslosen jungen Männern während der Weltwirtschaftskrise angelegt
1.Prozess und Vorgeschichte
Warum erzähle ich das? Vor 75 Jahren, am 28.April 1937, wurde vor dem Volksgerichtshof in Berlin das Urteil im so genannten „Katholikenprozess“ verkündet. Hauptangeklagter war Dr.
Rossaint, mitangeklagt einige Führungskräfte aus Katholischen
Jugendverbänden, vor allem der Sturmschar (Franz Steber), die zum Teil, wie er selbst, auch im Friedensbund Deutscher Katholiken aktiv waren. Folgt man der gleichgeschalteten Presse, sollte der Prozess – Bestrebungen für eine „katholisch-kommunistische Einheitsfront“
2. aufdecken, – christlich motivierte Friedensarbeit in der Kirche als
staatsfeindlich denunzieren, – eine scharfe Trennlinie zwischen
Seelsorge und politischer Betätigung markieren. Sie feierte die 11 Jahre
Zuchthaus für den „Sowjetapostel“ und „geistlichen Hochverräter“ als
Schlag gegen die „Katholisch-Kommunistische Einheitsfront“
3. So auch das Urteil. Es konzentriert sich auf die Zusammenarbeit mit Kommunisten,
nicht auf die christliche Motivation des Widerstandes selbst, und
versucht den Menschen Rossaint zu diskreditieren, bis hin – aus heutiger
Sicht besonders infam – zu Andeutungen auf sexuellen Missbrauch: „… ein
links eingestellter … und zugleich moralisch tiefstehender Mensch, …
weil er als Geistlicher und Jugenderzieher ohne Hemmungen seinen
widernatürlichen Trieben nachging“
4. Kaplan Rossaint hat schon vor 1933 Jugendliche für Gerechtigkeit,
Frieden und Völkerverständigung und gegen Arbeitslosigkeit, Wehrpflicht
und den aufkommenden Nationalsozialismus mobilisiert. Er sieht früh die Verbindung zwischen Militarismus, Nazismus und Wirtschaft
5. Er sucht Verbündete für seine Arbeit bis in den Kommunistischen Jugendverband Deutschlands hinein. „Es wird dunkler im Saal“ soll man dort, auf seine Soutane anspielend, gerufen haben, aber Rossaint lässt sich nicht
beirren. Er selbst versucht, in Oberhausen den linken Flügel des Zentrum zu stärken; nach der Zustimmung dieser Partei zum Ermächtigungsgesetz
tritt er aus. Er setzt sich für eine Versöhnung mit Polen ein und wird
deswegen vom Polizeipräsidenten verwarnt. In den Düsseldorfer Jahren bis zu seiner Verhaftung Anfang 1936 hilft er mehreren Kommunisten, einfach
weil sie die ersten Opfer nazistischer Verfolgung und Gewalt waren. Ein
Beispiel ist Berta Karg, eine kommunistische Jugendfunktionärin, die
ständig auf der Flucht und dem Verhungern nahe war, und die er
durchzubringen versucht. Er gehört zu den Wenigen, die sich öffentlich
gegen den Boykott der jüdischen Bevölkerung wenden.
Der Mensch Joseph Rossaint Ich habe Ewald Weber, später Inhaber eines
Geschäfts für Damenmoden in Oberhausen, bei der Feier zum 100.
Geburtstag von Kaplan Rossaint noch kennen gelernt – einen von seinen
Sturmschar-Leuten. Schmunzelnd bestätigt er die kolportierte Geschichte,
er habe als Schneiderlehrling die (!) Hose von Rossaint geflickt; und
der musste darauf warten, bevor er sich wieder zeigen konnte. Joseph
Rossaint half, wo er konnte, mit Schlafplätzen, Essen, Kleidung, Geld, – was auch immer nötig war. Herkunft und Werdegang erklären diese
Lebensweise nicht. Die Familie ist nicht proletarisch, der Vater
Straßenmeister, ermöglicht ihm Gymnasium und Theologiestudium. Sein
Promotionsthema „Das Erhabene und die neuere Ästhetik“ ist nicht das
eines frühen „politischen Theologen“. Er leitet sein Verhalten einfach
aus seiner christlichen Weltanschauung und der Betrachtung der Realität
ab. „Die Lebensgesetze des Christentums … sind Opfer und Bruderliebe.
Darüber geredet habe ich nicht zuerst. … Ich habe versucht, aus dieser
Haltung die Konsequenzen zu ziehen.“
6. Prägend ist seine Herkunft aus dem
deutsch-belgischen Grenzgebiet. Er sieht 1914 die Truppen Belgien
überfallen, verwundet zurückkehren, seine Heimat dann an Belgien fallen
– die Familie setzt auf Deutschland, verliert ihr Haus, muss umziehen.
Zeitlebens bekämpft er den Krieg, denn – ganz nüchtern – seine „Folgen …
sind so gewaltig und furchtbar für Sieger und Besiegte, daß sie in
keinem Vergleich zu dem Gut stehen, das durch den Krieg geschützt wird“
7.Nach dem Krieg Joseph Rossaint überlebt den Krieg, weil er im letzten
Moment durch Gefängnispersonal versteckt wird, als die SS im April 1945 politische Gefangene umbringt. Noch am Tag seiner Befreiung fängt er an, Hilfe für ehemalige Gefangene zu organisieren. Er wird Publizist und
Politiker. Ein ganz neues, anderes Leben, aber tief geprägt von seinen
Erfahrungen. Und wieder ist er konsequent: 1946 gründet er den „Bund
Christlicher Sozialisten“ und kämpft gegen die früh erkannte Restauration, bis der Bund von der Adenauer-CDU an die Seite gedrückt wird. 1947 findet er seinen politischen Ort in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), ab 1961 in dessen Präsidium und ab 1971 bis 1990 als Präsident des VVN/BA (Bund der Antifaschisten). In der „Internationalen Föderation der
Widerstandskämpfer“ (FIR) ist er führend tätig und im Ausland geschätzt
und anerkannt. Und wieder wird er verfolgt. Die VVN wird von der
Adenauer-Regierung bekämpft; der Verbotsprozess 1962 scheitert, weil der
Vorsitzende Richter als ehemaliger Nazi entlarvt wird. Die Geschichte
wiederholt sich: Rossaint wird jahrelang vom NRW-Innenminister
geheimdienstlich überwacht, denn VVN und FIR seien kommunistisch gelenkt. Dazu Rossaint: „Als Christ darf ich zwar mit Atheisten auf Christen schießen, aber nicht mit Atheisten zusammen für den Frieden kämpfen. Das ist doch ausgemachter Blödsinn.“
8. Sein individuelles Lebenskonzept macht es ihm schwer, sich in der Parteienlandschaft zu beheimaten. Früh kandidiert er, wie auch der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann, für die Gesamtdeutsche Volkspartei, später für die Deutsche Friedens-Union. Er wird in kommunistischen Staaten, auch in der DDR, geehrt; in der BRD erst in den 80ern. 1989 erhält er den Aachener
Friedenspreis.
9.Rossaint und die Kirche
Joseph Rossaint war kein bequemer Priester.
Schon die Versetzung von Oberhausen nach Düsseldorf 1932 könnte Folge
seiner lokal erfolgreichen „linken“ Zentrumsarbeit gewesen sein. Im
Prozess leugnet er nicht seinen christlich motivierten Einsatz für
Kommunisten und bringt die Bischöfe in die Zwickmühle, „sich entweder,
trotz ihrer eigenen antikommunistischen Haltung, hinter Rossaint zu
stellen, oder ihn fallen zu lassen“9. Sie ließen ihn fallen. „Niemand
aus der Hierarchie des Erzbistums Köln setzte sich für ihn ein“, wohl
für zwei Mitangeklagte.
10. Selbst der Katholische Jungmänner-Verband
musste sich von seinem ehemaligen Vordenker distanzieren. Einzig im
Ausland und von einzelnen mutigen Katholiken in Oberhausen (Martin Heix)
wurde sein Zeugnis damals gewürdigt. Der deutsche Episkopat lehnte
seinen prinzipiellen Widerstand gegen das NS-Regime, seine Friedensarbeit und jede christlich motivierte Zusammenarbeit mit Kommunisten ab: „Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler hat den Anmarsch des Bolschewismus von weitem gesichtet und sein Sinnen und Sorgen darauf gerichtet, diese ungeheure Gefahr von unserem deutschen Volk und dem gesamten Abendland abzuwehren. Die deutschen Bischöfe halten es für ihre Pflicht, das Oberhaupt des Deutschen Reiches in diesem Abwehrkampf mit allen Mitteln zu unterstützen, die ihnen aus dem Heiligtum zur Verfügung stehen“
11. Wer so redet, hat für Rossaints
radikales Verständnis christlichen Verhaltens nur das Wort „Dummheiten“
(so der Prozessvertreter des Kölner Kardinals Schulte) übrig
12. Das Unglaubliche ist jedoch: Auch nach dem Krieg bis zu seinem Tod 1991 wird Rossaints Widerstand kirchlicherseits offiziell nicht wahrgenommen. Er möchte in die priesterliche Tätigkeit zurück, und Erzbischof Frings bietet ihm eine Pfarrstelle an – unter der Bedingung, sich nicht mehr politisch zu betätigen und die Beziehung zu den Überlebenden aus seiner Haft, mehrheitlich Kommunisten, abzubrechen. Er konnte diese Bedingungen nicht akzeptieren. Er bleibt Priester – ohne Amt. Das im Kirchenmilieu erscheinende (nicht das allgemein-historische) Schrifttum, das sich mit der katholischen Kirche im Dritten Reich auseinandersetzt, verschweigt ihn weitgehend
13. Das wundert nicht bei Veröffentlichungen, die der Amtskirche nahestehen
14, aber selbst ausgewogene oder kritische Schriften erwähnen ihn
im Zusammenhang mit Widerstand im Nazistaat nicht
15. – wohl Blutzeugen wie Metzger, führend im Friedensbund wie er, oder Delp und Letterhaus, auch Franz Steber, seinen Mitangeklagten, aber eben nicht ihn. Pax Christi blieb ihm durch Grußworte solidarisch verbunden. Hier und da liest man, es sei kurz vor seinem Tode zu einer „Versöhnung“ mit der Kirchenleitung in Gestalt des Kölner Erzbischofs gekommen
16. Im Begleitbrief zum Tode Rossaints
17. würdigt der Kölner Weihbischof Frotz, nach Jahrzehnten der Distanzierung, die Gewissensentscheidung des „Mitbruders“ Rossaint, nicht ohne zu erwähnen, dass er seinerzeit die von seinem Erzbischof angemahnte „Besonnenheit“ durch „leidenschaftliche Sorge“ ersetzt habe – aber immerhin spricht er den politischen Konflikt an. Der gern zitierte Brief von Joachim Kardinal Meisner vom Vortag des
Todes grüßt ihn „in der Gemeinschaft unseres Priestertums“
18. nicht aber als konsequenten Zeugen in der Nachfolge des Handelns Jesu. „Versöhnung“ mit dem, wofür Joseph Rossaint stand, geht anders. „Wo wart ihr alle, damals?“ Dieses Zeugnis eines christlichen Lebens im
Deutschland des 20. Jahrhunderts ist unbequem, steht verquer, eckt an.
Inzwischen ist mancherlei reflektiert und geschrieben worden über die
Rolle der Katholischen Kirche vor, während und unmittelbar nach dem
Krieg. Da wird, nach ausführlichem Verweis auf „Mit brennender Sorge“
(Enzyklika von Papst Pius XI. 1936) und auf den „Löwen von Münster“
(Kardinal von Galen), die Einseitigkeit des einen oder anderen Bischofs eingeräumt, da wird bedauert, die Kirche habe mehr für ihre Strukturen als für ihre Botschaft gekämpft, und da werden verschämt die wenigen Blutzeugen geehrt, deren Opfer man quasi stellvertretend für die Kirche in Anspruch nimmt. Aber dieser eine Priester ist wegen seines Glaubenseinen politischen Weg gegangen, ganz früh schon, aber auch nach dem Krieg, der die selbstgewählte Position dieser Kirche in der deutschen Gesellschaft in Frage stellt. Die Kirche spürt, dass die von ihr geforderte Haltung eigentlich ganz einfach, und doch außerordentlich
schwer ist. Der 83jährige Rossaint hat es auf seine klare, nüchterne Art
so ausgedrückt: „Viele gewannen den Eindruck, daß die Kirchen sich mehr
durch ihre Feinde, als durch die Menschen, die ihren Beistand brauchten,bestimmen ließen.“
19. Als ich – Jahrgang 1946 – 14 oder 15 war, habe ich in der Schülerzeitung einmal einen provokanten Artikel geschrieben: Wo wart Ihr alle, damals, Ihr Lehrer, Eltern, Richter, Industriellen und so weiter? Wart Ihr alle „keine“ …? Ein Lehrer hat sich dem Thema in der nächsten Nummer gestellt und mit mir auf Augenhöhe gestritten. Eine seiner Fragen war (er wusste von meinem kirchlichen Engagement): Und die Pfarrer? Die hast Du wohl vergessen bei Deiner Aufzählung? Hatte ich. Für mich war die Kirche scheinbar abgeschirmt durch diese Zeit gegangen. Erst später hörte ich mehr und verstand tiefer. Von ihm, Kaplan Joseph Rossaint, 30 Jahre zuvor ganz in der Nähe, hat mir damals keiner erzählt, weder in der Pfarrei, noch in der Jugendbewegung, noch in der Schule.
Joseph Rossaint: Der Verfolgte von Jochen Windheuser (erschienen in:
Publik-Forum, 20.04.2012)

Ausstellung Russenlager und Zwangsarbeit

2. August 2018

Vom 18. September bis zum 18. Oktober werden im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus Vegesack Bilder und Erinnerungen Sowjetischer Kriegsgefangener mit Portraitfotos von Lars Nickel gezeigt.

Gezeigt werden großformatige Portraits ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener. Text- und Bilddokumente bezeugen Rassismus, Brutalität und Rechtlosigkeit, denen die Gefangenen in den Lagern der Wehrmacht und während der Zwangsarbeit ausgeliefert waren. Unter den sowjetischen Kriegsgefangenen waren auch Frauen. Über ihr Schicksal ist nur wenig bekannt. Von den circa 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, die ab dem deutschen Angriff am 22. Juni 1941 in den Gewahrsam der deutschen Wehrmacht gerieten, waren am Kriegsende circa 3,3 Millionen in den Lagern gestorben. Eine ausreichende Versorgung der Gefangenen gemäß Völkerrecht war nicht vorgesehen. Der zunehmende Arbeitskräftemangel zwang die deutsche Kriegswirtschaft schon im Juli 1941, sowjetische Kriegsgefangene anzufordern. »Russenlager« wurden eingerichtet. Sie unterstanden der Wehr- macht, die unter Missachtung der Genfer Konvention die Gefangenen als »Untermenschen« behandelte. Als 1999 den zivilen Zwangsarbeitern humanitäre Anerkennungsleistungen für erlittenes Unrecht zugesprochen wurden, gingen die sowjetischen Kriegsgefangenen leer aus. Der gemeinnützige Verein KONTAKTE- KOHTAKTbl in Berlin gab sich damit nicht zufrieden. Er informierte über das Los der Betroffenen, sammelte Spenden und überwies ab 2003 jedem von ihnen einen symbolischen Betrag von 300 Euro, begleitet von der Bitte um Verzeihung. Insgesamt kamen fast 3,8 Millionen Euro zusammen. In eindrucksvollen Briefen, die als »Freitagsbriefe« im Internet nachgelesen werden können, schildern die Empfänger ihr Schicksal. Nach jahrelanger Öffentlichkeitsarbeit des Vereins KONTAKTE-KOHTAKTbl entschloss sich 2015 der Deutsche Bundestag endlich, jedem der damals noch circa 4000 Überlebenden 2500 Euro als »Anerkennungsleistung« auszuzahlen.

Eröffnung: Dienstag, 18. September 2018 um 19 Uhr
, Studiobühne durch Jens Böhrnsen (Bürgermeister a.D.), Dr. Peter Jahn (ehem. Leiter des dt.-russ. Museums Berlin-Karlshorst), Ella Vaisman (Klavier)

Dienstag, 25. September 2018 um 19 Uhr, Studiobühne

Vergessene Opfer des deutschen Vernichtungskrieges in Dnipro, Rostow am Don und Moskau
Studierende des Memory-Wiki-Projekts

Donnerstag, 27. September 2018 um 19 Uhr, Studiobühne

Sowjetische Kriegsgefangene im Stalag X B Sandbostel
Andreas Ehresmann und Ronald Sperling, Gedenkstätte Lager Sandbostel
Ab Herbst 1941 kamen sowjetische Kriegsgefangene auch in das Lager Sandbostel bei Bremervörde. Von hier aus wurde ihr Arbeitseinsatz in der Region organisiert.


Dienstag, 09. Oktober 2018 um 19 Uhr, Raum E03

Vom Bremer Ruderer zum NS-Wehrwirtschaftsführer bei Blohm&Voss: Eine Spurensuche
Dr. Susanne Schunter-Kleemann
Die Hamburger Werft beutete auch sowjetische Kriegsgefangene aus. Der Großvater der Referentin war dort Schiffbaudirektor. Es werden die Lebensumstände der Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge aus Neuengamme und die Hintergründe der Versenkung der Cap Arkona im Mai 1945 untersucht. (Veranstaltung mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Bremen.)

Mittwoch, 17. Oktober 2018 um 19 Uhr, Studiobühne
»Flintenweiber« und »Untermenschen« Szenische Lesung mit Martin Heckmann (Sprecher) und Susanne Schrader (Schauspielerin). Aus Briefen ehemaliger Kriegsgefangener und zeitgenössischen Dokumenten über die Folgen der NS-Rassenideologie für den damaligen Kriegsalltag und unsere heutigen Familiengeschichten.

Der Schützenhof in Gröpelingen

16. Juli 2018

ein vielschichtiges Beispiel aus dem Konglomerat der Lager der Bremer Rüstungsindustrie

…Gleichzeitig sind diese kleinen Lager weniger bekannt, oftmals wurden sie schon bald nach 1945 überbaut. Allerdings muss ich als Bremer Landesarchäologin auch feststellen, dass während meiner 10jährigen Amtszeit schon Flächen ehemaliger Zwangsarbeiterlager zur Bebauung freigegeben wurden. Dies ist allerdings dem Umstand geschuldet, dass die Landesarchäologie zum einen zu wenig Kenntnis von der Lage all dieser Lager besitzt, zum anderen aber auch zu wenig Personal und Finanzmittel für eine vorbereitende Recherche zur Verfügung hat. Deshalb müssen die wenigen Spuren dieser ehemaligen Lagerstandorte als archäologische Bodendenkmale unter Denkmalschutz gestellt, aber auch vor modernen Baumaßnahmen durch Ausgrabungen untersucht werden…

Für die Vermittlung mit der archäologischen Untersuchung auf dem Gelände des ehemaligen Außenlagers „Schützenhof“ in Gröpelingen rückt eines der bislang von der Forschung nur selten berücksichtigen Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme in den Blick und dies an einem originalen Schaupatz. Eine Ausgrabung an einem Zwangsarbeiterlager ist keine alltägliche Aufgabe der Landesarchäologie, bei dieser Untersuchung gab es keinen vom Bauherrn und Baumaschinen vorgegebenen Zeitdruck, sondern es handelt sich hierbei um eine Untersuchung gegen das Vergessen und für eine Erweiterung der Erinnerungskultur im Stadtteil Gröpelingen… Dieses Lagergelände ist nur wenig bekannt, obwohl hier noch vier Baracken des Lagers von Ende 1944 stehen, an denen sich noch zahlreiche Spuren des ehemaligen Aussehens erhalten haben. Bei den noch stehenden Gebäuden handelt sich um eingeschossige und nicht unterkellerte Baracken mit einem flach geneigten Satteldach, die sich alle auch in den heutigen Luftbildern von Google etc. erkennen lassen. Ferner gibt es eine große Freifläche, die zum einen als Parkplatz der Schützengilde benutzt wird und die zum anderen mit Gras bewachsen ist… Es gab in den wenigen Monaten des Bestehens des Barackenlagers 257 Tote aus zahlreichen europäischen Ländern. Die TeilnehmerInnen der Ausgrabung gestalten zu den überraschenden Ergebnissen des Schützenhofgeländes eine Poster- und Fundpräsentation, die sie am Tag des offenen Denkmals den interessierten Besuchern und Besucherinnen im Beisein von Bürgermeister Dr. Carsten Sieling vorstellen.
Auszug BAF-Artikel 08./09.18

Gedenktag am Denkmal Bahrsplate

16. Juli 2018

…Unser leiser Austausch darüber wird aber unterbrochen, als Fahrzeuge heranfahren, und die Belgier aussteigen. „Die Belgier“, das sind Mitglieder des Vereins „Amicale Internationale KZ Neuengamme“, welcher gegründet wurde von Überlebenden und den Angehörigen, und heutzutage nur noch aus den Verbliebenen besteht. Als sie aussteigen, falten sie Flaggen und Banner aus – auf ihnen die Symbole des Vereins, und auch das rote Dreieck – Symbol für politische Gefangene in KZ-System, und getragen von allen der Opfer, denen heute hier gedacht wird. Als die Belgier näher kommen mit ihren eigenen Angehörigen und Freunden, wird ersichtlich, dass eine überraschend gute Stimmung herrscht. Verwundert treten wir näher, und werden mit Begeisterung begrüßt als wir vorgestellt werden als Studenten, die die Veranstaltung im Rahmen eines Seminars aufsuchen und mitschreiben. Unser Interesse wird äußerst positiv aufgenommen, und allseits wird uns beiden mit lächelnden Gesichtern begegnet. Wir kommen ins Gespräch mit einigen, so zum Beispiel Rudi Beeken, dem Bürgermeister der Gemeinde Meensel-Kiezegem, aus welchem neun der auf diesem Denkmal genannten Opfer stammten. Er besucht offenbar oft die Gedenkveranstaltungen, und ist den deutschen Besuchern offenbar bestens bekannt…

Im letzten Abschnitt der Tagesreise fährt die Gruppe dann zum Schützenhof in der Bromberger Straße 117. Auch dort ist ein Denkmal, dieses in der Form von zwei Tafeln aus Stahl an der Wand. Erneut folgen Kranzniederlegung und Ansprachen, doch dann folgt eine Besonderheit, welche auch die regelmäßigen Teilnehmer so noch nicht gesehen hatte: Denn dieses Jahr hat eine Gruppe Studenten von der Universität Bremen unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Uta Halle von der Landesarchäologie Bremen eine Lehrgrabung auf dem Gelände vollzogen – und ist auf die Fundamente der Baracken des Gefangenenlagers gestoßen. Die Grabungsstelle ist noch offen, und mit großem Interesse wird Johanna und mir zugehört – wir beide waren Teil der Grabungsgruppe und erzählen, was vor uns liegt, und was wir gefunden haben. Prof. Dr. Halle hat mehrere Bilder, wie ein Luftbild von damals, Planzeichnungen, die originale Bauakte von den Baracken, und anderes mitgebracht, und gebannt wird uns dreien zugehört (und dann natürlich direkt übersetzt in die verschiedenen Sprachen).

Hiernach wurde noch in den Vereinsräumen des Schützenhofes etwas gegessen, und einige Gespräche über das Vergangene, den Tag, oder die Zukunft geführt. Dann mussten sich die Belgier auf den Weg machen. Was blieb, waren die Eindrücke – Betroffenheit, aber auch neues Wissen, neuer Mut – und die Gewissheit, dass wir so etwas wie Nationalsozialismus nie wieder aufkeimen lassen dürfen.
Auszug BAF-Artikel 08./09.18

Der weiße Affe

16. Juli 2018

Auf dem Weg ins Hinterhaus Wrangelstraße 185 nahe dem Görlitzer Bahnhof findet die achtjährige Erika Wuhlke auf der Treppe einen Toten. Der Bankier Eduard Fromm wird zum ersten Fall des frisch von Wittenberge nach Berlin versetzten Kriminalkommissars Ariel Spiro. Er muss sich trotz oder wegen seiner hohen Aufklärungserfolge gegen antisemitische Vorurteile seiner neuen Kollegen durchsetzen. Sein Partner Ewald Bohlke hat den Weg aus dem Ersten Weltkrieg noch nicht so recht gefunden. Die Mordrekonstruktion erweist sich als schwierig, zumal der Tote von Mitbewohnern nach unten getragen wurde. Immerhin kann eine Nachbarin angeben, dass Eduard Fromm regelmäßig bei der Tänzerin Hilde Müller im dritten Stock verkehrte. Bei ihr war er, bevor er abends im Treppenhaus erschlagen wurde. Hilde Müller hat seit kurzem einen Verlobten, Gustav Mrotzek. Bei seinem Freund Hugo Pattberg in der Falckenheinstraße 17 ist er nicht zu finden. Die beiden Ermittler erfahren, dass sich dort häufig minderjährige Mädchen aufhalten. Kommissar Ariel Spiro überbringt der Bankiersfamilie die Nachricht vom Tode Eduard Fromms. Aufgrund eines Tipps von Hugo Pattberg nimmt Kommissar Ewald Bohlke in der Linde Gustav Mrotzek fest. Am folgenden Tag erfährt Ariel Spiro in der Pathologie, dass der jüdische Bankier mit einem wohl gedrechselten spitzen und wuchtigen Holzteil erschlagen wurde. In der Kopfwunde fanden sich schwarz-weiß-rote Farbpartikel. Bei der Identifizierung der Leiche Fromms begegnet er dessen erwachsenen Kindern Nike und Ambros. Er kommt Nike sehr nahe, die ihn in Magnus Hirschfelds „Institut für Sexualwissenschaft“ einlädt. Ihr Verhältnis gestaltet sich als zunehmend schwierig, denn er hegt Verdacht gegen ihren Bruder Ambros wegen seines nicht so ganz gesellschaftsfähigen Lebensstils. Weitere Nachforschungen in der Privatbank Fromms ergeben, dass sein Compagnon Silberstein mit seinen Investitionsvorhaben im Rüstungsgeschäft nicht einverstanden war. Auffindungsort und Motivlage gestalten den Ermittlungsweg sehr verwirrend. Wurde der jüdische Bankier aus persönlichen Gründen erschlagen, vielleicht aus Rache? Handelt es sich um eine Abrechnung zwischen Geschäftspartnern? Geht es bei dem Mord vielleicht um Beseitigung eines politischen Gegners aus antisemitischen Vorurteilen heraus? Ist das Motiv im Zwielicht halbseidener Lebenswelten zu finden? Ebenso wie das Berlin der Zwanziger Jahre einem immer schneller werdenden Karussell gleicht, verschwimmen die Spuren des Mordfalls bei gründlichen Nachforschungen. Sollte der Fall etwa nicht aufgeklärt werden können, weil er bei einer zufälligen Begegnung zum falschen Zeitpunkt geschah? Und dann taucht auf dem Dachboden des Hinterhauses in der Wrangelstraße 185 eine kopflose Frauenleiche auf. Die Spannung bleibt bis zum Schluss erhalten.
Kerstin Ehmer, Der weiße Affe, 280 S. Pendragon Verlag Bielefeld 17 Euro ISBN 978-3-86532-584-6

Letzter Brief an Ludwig Baumann

16. Juli 2018

Zum Tod des Vorkämpfers für das Recht auf Desertion
Lieber Ludwig Baumann, es ist 18 Uhr. Um diese Zeit beginnen jeden Tag die Glocken des Bremer Doms zu läuten; bei Westwind höre ich sie so gut, als käme das Geläut vom benachbarten Deich am Werdersee. Wie lange noch? Die Reihe der Gräber, die meinen Lebensweg säumen, wird immer länger und bald wird niemand mehr da sein, mit dem ich Erinnerungen austauschen kann an Begebenheiten, von denen die meisten nur eine vage Ahnung haben.
Gegen den Geist der Zeit zu leben ist nicht einfach. Du hast es auf eine Weise geschafft, die Dich zum Vorbild werden ließ für ganze Generationen. Das eigene Leben zu riskieren, um nicht mitmachen zu müssen bei Mord und Totschlag in einem verbrecherischen Krieg, das haben nur wenige gewagt. Du wurdest deswegen zum Tode verurteilt und hast nur durch Zufall überlebt. Ich weiß, wie das ist, mit dem Leben abschließen zu müssen und dennoch bis zur letzten Sekunde auf Rettung zu hoffen.
Vor einigen Jahren haben wir miteinander korrespondiert. Ich hatte Dich während der Arbeit an einem Buch über die Rolle alter Nazis in der Nachkriegszeit um Rat gefragt. Du warst wegen Deines Kampfes um die Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure so eine Art Ikone für alle, denen nach den Erfahrungen der Vergangenheit alles Militärische ein Gräuel war. Deinem unermüdlichen Einsatz ist es zu verdanken, dass der Deutsche Bundestag per Gesetz die Unrechtsurteile der Nazijustiz aufgehoben hat und die Deserteure damit vom Makel des Kameradenverrats befreite.
Es gehört zu den Widersprüchlichkeiten der Nachkriegsgeschichte, dass Du beschimpft und gleichzeitig geehrt worden bist, angefangen vom Aachener Friedenspreis bis hin zum renommierten Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon in Bremen. In dieser Villa haben wir uns zum ersten Mal gegenübergestanden, als mir 2014 diese Auszeichnung überreicht wurde.
Von Klaus Hübotter, dem Inspirator der segensreichen Einrichtung, hatte ich erfahren, dass Du mit dem Fahrrad gekommen seiest, keine Selbstverständlichkeit, wenn man die Neunzig überschritten hat. Für mich war es ein bewegender Moment, als Du, rank und schlank, wenn auch ein bisschen gebeugt, auf mich zukamst, um mir zu gratulieren. Mit beiden Händen hast Du mir die Hand gedrückt. Dass es davon eine Aufnahme gibt, verdanken wir einer Wiener Freundin, die mit ihrem Mann nach Bremen gekommen war.
In der Zeitung habe ich jetzt gelesen, dass Du das Bundesverdienstkreuz mit der Begründung abgelehnt hast, Du wolltest keinen Orden haben, den auch ehemalige Nazis bekommen hätten. Das ehrt Dich und bringt mich ins Grübeln. In habe die Auszeichnung angenommen, mir aber in meiner Dankesrede die Frage gestellte, ob ich als Journalist vielleicht zu zahm gewesen sei.
Nun schweigt Dein Mund und es ist wieder etwas kälter geworden um mich herum. Ich wünsche mir, dass den nachfolgenden Generationen in Erinnerung bleibt, was Du den Menschen zu sagen hattest. Immer wenn ein neuer Jahrgang einberufen wurde, standest Du vor den Bundeswehrkasernen und versuchtest, mit den künftigen Soldaten ins Gespräch zu kommen. Deine Botschaft: „Leistet Widerstand, wenn ihr Befehle bekommt, denen ihr im zivilen Leben nicht folgen würdet.“
Gute Reise, alter Freund.
Kurt Nelhiebel (Weltexpresso, 8.7.2018)

OMAS GEGEN RECHTS

8. Juli 2018

Wer oder was sind die OMAS GEGEN RECHTS? Inspiriert durch die gleichnamige Gruppe, die sich 2017 in Wien/Österreich bildete, wurde im Januar 2018 auch in Deutschland auf Facebook eine Gruppe “OMAS GEGEN RECHTS in Deutschland“ gegründet. Seit Juni dieses Jahres gibt es jetzt auch in Bremen eine noch kleine aber feine Gruppe „OMAS GEGEN RECHTS Bremen“. Man findet uns auch auf Facebook. Wir sind ältere Frauen, die noch mitmischen und ihre Stimme gegen Ungerechtigkeit, gefährliche Auffälligkeiten und Fragestellungen erheben wollen. Natürlich dürfen bei den OMAS auch Opas, Kinder, Enkel und FreundInnen gerne mitmachen.
Auszug aus unserem Grundsatztext:
A. Ohnweiler, G. Smorra
„Es geht um die Erhaltung der parlamentarischen Demokratie in einem gemeinsamen Europa, um den Einsatz für die gleichen Rechte aller in Deutschland lebenden Frauen, Männer und Kinder, um die sozialen Standards, die von Eltern und Großeltern zum Teil bitter erkämpft wurden, um den Respekt und die Achtung gegenüber anderen Mitbürgerinnen und Mitbürgern unabhängig von ihrer Religion und ethnischer Zugehörigkeit u.v.m.
Dabei müssen die bedrohlichen Entwicklungen wie Antisemitismus, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Faschismus erkannt, benannt und im Konkreten auch der politische Widerstand und die Bewusstseinsbildung organisiert werden.
Die ältere Frau als öffentliche politische Kraft ist nicht in unserem kollektiven Bewusstsein gespeichert. Deshalb müssen Frauen öffentlich auftreten, nicht als Einzelperson und Ausnahme, nicht als Star, sondern als Gruppe, die auffällt.
Heraustreten aus der eigenen „small world“ und eine gemeinsame starke Stimme für die Zukunft aller Kinder und Enkelkinder bilden ist die Herausforderung der Stunde.
Denn vielleicht werden sie uns eines Tages fragen: Was habt ihr getan?
Wir setzen uns ein für eine demokratische, rechtsstaatlich organisierte, freie Gesellschaft, wir sind gegen faschistische Tendenzen, Fremdenfeindlichkeit, Ausgrenzungen Behinderter, alter Menschen und Ausländern, Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Sozialabbau, und wir wollen diesbezügliche Missstände in Politik und Gesellschaft mit geeigneten Methoden öffentlich machen.
Wir haben keine kleinen Kinder (mehr), wir müssen nicht mehr hart in Jobs arbeiten, wir haben mehr Zeit, uns politisch zu engagieren und gerade jetzt scheint es notwendig zu sein, einen Beitrag zu leisten. Es geht hier auch um Ermutigung,
Vernetzung und Sichtbar – Machen:
ALT SEIN HEISST NICHT STUMM SEIN!“
Bei der Demonstration am 07. Juni 2018 gegen den „Frauenmarsch der AFD“ waren wir mit 4 Frauen erschienen. Wir bekamen sehr viel positive Resonanz, womit wir gar nicht gerechnet hatten. Man bat uns vorne mitzulaufen. Sogar der Weser Kurier machte ein kurzes Interview mit uns, auch Buten und Binnen wollte etwas über uns wissen. Leider kam es nicht zur Ausstrahlung, da man dort den Schwerpunkt mehr auf die „armen AFDler“ richtete. Drei von uns machten den ganzen Marsch von 3,5 Stunden mit und schlossen ihn mit einer Auswertung bei einer wohlverdienten Tasse Kaffee ab. Wir werden uns auch weiterhin an Aktionen beteiligen und das bestimmt nicht nur leise., denn wie schon geschrieben „Alt sein heißt nicht stumm sein“. Also traut euch, kommt zu uns und zeigt es allen: auch wir Alten kämpfen noch mit.

Nachruf auf Ludwig Baumann

8. Juli 2018

Uns erreichte die traurige Nachricht, dass am 5. Juli Ludwig Baumann im 97. Lebensjahr verstorben ist. Der hochbetagte Vorsitzende ist seit 1990 Herz, Motor und Stimme der Opfervereinigung gewesen. Sein unermüdliches Engagement hat zur gesellschaftlichen Anerkennung und gesetzlichen Rehabilitierung der Kriegsdienstverweigerer, Wehrkraftzersetzer und Deserteure der Wehrmacht geführt. Sein authentisches Wirken, sein Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Gewaltfreiheit ist ein wichtiger Impuls für die zivilgesellschaftliche Entwicklung gewesen. Ludwig Baumann wird uns und geschichts- bewussten, kritischen Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft, die ihm für sein Lebenswerk sehr dankbar sind, in lebendiger Erinnerung bleiben.
Ludwig Baumann wurde am 13. Dezember 1921 in Hamburg-Dammtor geboren. Als Sohn eines gut situierten Kaufmanns aufgewachsen, änderte sich sein Leben mit dem Tod der geliebten Mutter 1936. Er rebellierte fortan gegen Autoritäten, vor allem gegen die Werber der Hitler-Jugend, die ihn schon als Maurerlehrling auf der Baustelle nervten. Aber die staatliche Zwangsverpflichtung holte ihn trotz aller Widerständigkeit ein: Nach Reichsarbeitsdienst beim Deichbau in Ostpreußen folgte im Februar 1941 die Einberufung zur Kriegsmarine in Belgien. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 folgte die Verlegung nach Bordeaux, wo er als Wachsoldat einer Hafenkompagnie eingesetzt wurde. Der 19jährige lernte Kurt Oldenburg kennen, etwas jünger und ebenfalls aus Hamburg. Die Bilder der Wochenschauen im Soldatenkino ließen die beiden fragen, was denn mit den Millionen russischen Kriegsgefangenen ist, die im eisigen Winter auf freiem Feld ausharren müssen? Der Entschluss, diese Kriegsverbrechen nicht mitzumachen, reifte und wurde umgesetzt. Die beabsichtigte Desertion aus der Wehrmacht endete im Juni 1942 mit Gefangennahme, Verurteilung zum Tode, 10-monatiger Haft in der Todeszelle, dann „Begnadigung“ zu KZ-Haft und „Bewährung“ im Strafbataillon. Kurt Oldenburg überlebte die Schrecken des Kriegs nicht. Ludwig Baumann nach Erleiden des Angriffs- und Vernichtungskrieges kam mit Verwundungen und ganz viel Glück lebendig nach Hause zurück. Seine Hoffnung, die praktizierte Widerständigkeit gegen die Wehrmacht werde nach dem Kriege anerkannt, erfüllte sich nicht. Statt Anerkennung erfolgten Ausgrenzung, Verfemung und Demütigung.
Zu den Nachwirkungen des Krieges gehörten Traumata, Vermögensverlust und Trunksucht, die Ludwig Baumann erst nach dem Tod seiner Ehefrau und der Geburt des sechsten Kindes in den Griff bekam. Die aufkommende Friedensbewegung zu Beginn der 80er Jahre ermutigte ihn zum Protest gegen Ungerechtigkeit und die Widersprüche einer Weltwirtschaft, die die Kluft zwischen arm und reich stetig vergrößert und Menschen verhungern lässt. Die im Rahmen der Aufarbeitung des NS-Unrechts aufkommende Diskussion, auch den Widerstand einfacher Menschen in das Gedenken einzubeziehen, führte friedensbewegte Gruppen vielerorts dazu, mit Deserteurdenkmälern diejenigen zu würdigen, die sich dem Angriffs- und Vernichtungskrieg der Wehrmacht entzogen, widersetzt und verweigert haben und Opfer der NS-Militärjustiz wurden.
Was als Tabubruch und Provokation begann, führte nach beharrlichem Kampf zu einer konstruktiven gesellschaftlichen Debatte und der sehr späten gesetzlichen Rehabilitierung: Das NS-Unrechtsaufhebungsgesetz von 1998 rehabilitierte Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer, das erste Ergänzungsgesetz 2002 pauschal homosexuelle NS-Opfer und die Deserteure der Wehrmacht, das zweite NS-Unrechtsaufhebungsgesetz 2009 schließlich auch die wegen Kriegsverrats verurteilten Opfer der NS-Militärjustiz. Ohne Ludwig Baumanns hartnäckiges und zielstrebiges Engagement, das vielfach ausgezeichnet wurde, wäre diese gesellschaftliche und politische Rehabilitierung, die eine – wenn auch marginale – Entschädigung einschloss, nicht zustande gekommen.
Ludwig Baumanns vielfältiges verdienstvolles Wirken in ungezählten Veranstaltungen, seine authentischen, lebendigen Vorträge können als Fundament dieser zivilgesellschaftlich-lebensfreundlichen Entwicklung gesehen werden. Diese gilt es unumkehrbar zu machen, dafür bleibt auch weiterhin viel zu tun. Sein autobiographisches Buch, NIEMALS GEGEN DAS GEWISSEN, das 2014 im Herder-Verlag (Freiburg) erschienen ist, regt dazu an und trägt dazu bei.
Günter Knebel

Stolpersteinverlegung

20. Juni 2018

Donnerstag, 20. September, 09-16 Uhr verlegt Gunther Demnig Stolpersteine im Bremer Westen, darunter Steine für Johann Lücke an der Gröpelinger Heerstraße, Eduart Ickert an der Humannstraße, Karl Klappan am Breitenbachhof.

Gedenken an das KZ Mißler

20. Juni 2018

Donnerstag, 13. September, 12 Uhr Volkshaus (Hans-Böckler-Straße) Christian Gloede (GEW) über Gewerkschaften im Visier des Faschismus damals und heute, das Rote Krokodil spielt traditionelle Arbeiterlieder Anschließend führt Angela Piplak (Kulturhaus Brodelpott) eine Antifaschistische Radtour auf den Spuren des Schicksals der 1933 inhaftierten Gewerkschafter, Kommunisten und Sozialdemokraten, vom Volkshaus, über den früheren Spielplatz an der Nordstraße, den Steffensweg und die Waller Heerstraße/Ecke Gerdstraße zum Bunker Admiralstraße und zur Gedenktafel für die im KZ-Mißler-Inhaftierten in der Walsroder Straße. Am Bunker Admiralstraße und an der Walsroderstraße stellen SchülerInnen der OS Findorff Biographien in Mißler Inhaftierter vor. Im Anschluss an die Blumenniederlegung erinnern Ulrike Pala (Leiterin Ortsamt West), Gönül Bredehorst (Beiratssprecherin Findorff) und Raimund Gaebelein (VVN-BdA) an der Gedenktafel für die im KZ Mißler Inhaftierten an die massenhafte Festnahme, Erniedrigung und Folterung organisierter Arbeiter durch die Nazis.

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