Meensel-Kiezegem August 1944 – August 2019 Ansprache zur Gedenkveranstaltung in Meesel-Kiezegem

18. August 2019

Am 6. Juni diesen Jahres wurde des Jahrestages der alliierten Landung gedacht, die eine zweite Front eröffnete und den Fall Nazi-Deutschlands einleitete. Man glaubte, dass gegen Weihnachten Berlin fallen und der zweite Weltkrieg zu Ende sein werde – jedenfalls im Westen. Der belgische Widerstand wurde dadurch übermütig. Die Spannungen verstärkten sich zwischen denen, die mit der Besatzungsmacht kollaborierten, und dem Widerstand. Verdruss, der eigentlich wenig mit dem Krieg zu tun hatte, erhielt viel Spielraum. Auch in unserem Ortsteil Mennsel-Kiezegem, wo am 30. Juli 1944 Gaston Merckx erschossen wurde.
Bereits zwei Tage danach, am 1. August, führten Angehörige der Deutsch-Flämischen Arbeitsgemeinschaft (DeVlag) eine erste Razzia in Meensel durch: August Craeninckx, Petrus Vander Meeren und Oscar Beddegenoots wurden erschossen, zehn Männer, vier Frauen, ein kleiner Junge und ein Mädchen wurden festgenommen und nach Löwen gebracht. DeVlag wurde nach dem zweiten Weltkrieg als kriminelle Vereinigung verboten.
Diese Aktion genügte der Familie von Gaston Merckx und ihren Anhängern nicht. Seine Beerdigung am 3. August 1944 heizte die Gemüter auf Neue an und eine zweite Razzia viel größeren Umfangs sollte folgen.
Am frühen Morgen des 11. August kesselten 350 Mann der Allgemeinen SS-Flandern, Devlag, der Fabrikswacht, der Flämischen Wacht und ein paar Leute des Sicherheitsdienstes das gesamte Dorf ein und durchsuchten systematisch alle Häuser. Dabei wurde eine Handgranate in den Hof von Jules Schotsman geworfen, da zu Unrecht vermutet wurde, der kanadische Pilot Edward Blenkinsop, dessen Familie hier anwesend ist, sei dort untergetaucht. Der Hof ging in Flammen auf. Sein Besitzer wurde das vierte Opfer, allerdings nicht das letzte! Alle männlichen Einwohner zwischen 16 und 65 wurden zum Verhör zur örtlichen Mädchenschule gebracht. In der Schule mussten zwei schwer misshandelte Widerständler der Nationalen Königlichen Bewegung (NKB) auf Befehl zweier maskierte Männer auf die an dem Mordanschlag Schuldigen zeigen. Die von ihnen selektierten „verratenen“ Widerständler wurden nach Löwen gebracht. Tatsächlich wurden ganz kurz vor der Befreiung noch 71 der 91 Geiseln über (Brüssel -) St. Gillis und Schaarbeek ins KZ Neuengamme deportiert. Nur acht sollten ihr Dorf wiedersehen.
In Meensel-Kiezegem trauern wir um unsere Toten und bieten den ihnen Nahestehenden unsere Anteilnahme an. Auch nach 75 Jahren kommen wir an unseren Denkmälern zusammen, um zu bezeugen, dass der Streit zwischen unseren Mitbürgern noch nicht beendet ist. Dass wir 75 Jahre danach noch immer wachsam sein und bleiben müssen, weil Frieden, soziale Demokratie und Menschenrechte für jeden wertvoll sind.
Die amerikanischen, englischen und französischen Staatsoberhäupter, die dem Gedenken an die Landung in der Normandie beiwohnten, erwarten wir für heute nicht. In Meensel-Kiezegem ist keiner großen Heldentaten zu gedenken. Dennoch fühlen wir uns sehr geehrt, Gleichgesinnte vor allem aus Kanada, Deutschland, Niederlande und Dänemark begrüßen zu dürfen. Die persönliche Teilnahme des Leiters der Gedenkstätte Neuengamme und einiger Mitarbeiter sowie der Leiterin des Denkortes Bunker Valentin, zahlreicher Verantwortlicher von Lagergemeinschaften ehemaliger Neuengamme-Häftlinge und Angehörigen, der Internationalen Lagergemeinschaft Neuengamme AIN, ihres Jugendkomitees und der Antifaschisten aus Bremen bedeuten für uns Ermutigung und ein Zeichen, dass man auch anderswo in Europa den wahren Preis des Krieges kennt, bezahlt vom unbekannten kleinen Mann bei uns wie auch anderswo, wie im hier auch vertretenen niederländischen Putten.
Am 1. Mai diesen Jahres entstand der Jugendausschuss der Internationalen Lagergemeinschaft Neuengamme. Erfreut stelle ich fest, dass zwei der sieben aus Meensel-Kiezegem kommen, Ton Devos und Tom Lemmens, dazu noch zwei der fünf anderen Mitbegründer: Marc Cauwbergs und Katrin Duerinckx.
Die Zusammenarbeit des Gemeinderats mit St. Matthäus, OFSAR, der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der EU und dem Nationalen Comités der Politischen Gefangenen und Angehörigen NCPGR Meensel-Kiezegem ‘44 führte zur Eröffnung des in Eigenarbeit errichteten Museums Meensel-Kiezegem ‘44, wo wir jetzt auf zeitgemäße Weise die verhängnisvollen Ereignisse in unserer Gemeinde erklären können. In den kommenden Jahren werden wir weiter zusammenarbeiten, um das Museum, die Kirche und den Ehrenfriedhof zu einem gemeinsamen Gedenkort zu erweitern, wovon mein verstorbener Freund Frans Craeninckx träumte.
Die naheliegende Zusammenarbeit zwischen der belgischen Lagergemeinschaft Neuengamme und dem NCPGR Meensel-Kiezegem ‘44 soll die Teilnahme an künftigen Gedenkfahrten nach Neuengamme unterstreichen, bequemer gestalten und fördern.
Mit diesen drei genannten Maßnahmen versuchen wir in Tielt-Winge die Erinnerung an die Folgen extremer Ideologien und den Krieg am Leben zu erhalten. Der Gemeinderat rechnet mit Ihrer Beteiligung, um es weiterzutragen und andere zu ermutigen, nach Deutschland mitzureisen und sich aktiv und/oder als Mitglied im NCPGR Meensel-Kiezegem ‘44 einzusetzen.
Zum Schluss möchte ich im Namen des Gemeinderats, zweifellos auch in Ihrem Namen, den Verantwortlichen dieser Gedenkveranstaltung für ihren selbstlosen Einsatz danken. Dank an Vital, Freddy, Jos und Viviane, Dank an Marc, Katrin, Tom, Viviane, Fernand, Evrard und Stefan, Dank an die gesamte 33-köpfige Gruppe, derer aller Namen zu nennen angesichts der kurzen Zeit für diese Rede leider nicht möglich ist.
Zum Schluss danke ich Ihnen alle für Ihre geneigte Anwesenheit, Teilnahme und Bereitschaft zuzuhören.
Rudi Beeken (Bürgermeister der Samtgemeinde Tielt-Winge)