19. September 2013
Wenig Neues im Verlauf der wissenschaftlichen Tagung „Verstrickt. Bremer Kulturinstitutionen unterm Hakenkreuz“ am 29. Juni im Himmelssaal vom Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße! Laut Programm sollte nicht nur die Rolle dieses Hauses aufgehellt werden, sondern ebenso die der Nordischen Kunst-hochschule, der Kunsthalle, des Paula-Becker-Modersohn-Hauses und des Fo-cke- sowie „Väterkunde“-Museums. 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein längst überfälliger Schritt, der jedoch das Ziel mehrfach verfehlte. Wissen-schaftlich voll überzeugen konnte nur der Vortrag von Dirk Mahsarski über den Bremer Bildungssenator und SS-Oberführer Ernst Richard von Hoff. Detailliert schilderte Mahsarski Lebenslauf und Rolle des führenden Rassentheoretikers in der Hansestadt. Von Hoff war, um nur ein Beispiel zu geben, die treibende Kraft bei der Gründung der ersten nationalsozialistischen Kunsthochschule in Deutschland, der Nordischen Kunsthochschule.
Im Auftrag der Hochschule für Künste Bremen, so der Name der Lehranstalt heute, erforschte Susen Krüger Saß deren Geschichte. In ihrem Vortrag behan-delte sie vor allem Gründung sowie Machtkämpfe innerhalb der Institution, be-sonders den Streit zwischen dem ersten Direktor, dem Worpsweder Maler Fritz Mackensen, und dem Nachfolger im Amt, Carl Horn. Krüger Saß bestätigte, daß Mackensen, für den die Hochschule „eine nationalsozialistische Angelegenheit ersten Ranges“ darstellte, seinen Direktorenposten 1935 nicht deshalb verlor, weil der Bremer Senat seine politische Gesinnung anzweifelte, sondern weil er ihm fehlende Führungsqualitäten sowie Spaltung der Hochschule vorwarf.
Über den nationalsozialistischen Charakter der Einrichtung sowie über Hal-tung und Einstellung von Studentenschaft und Lehrkörper berichtete Krüger Saß nicht: nicht über Rudolf Hengstenberg, den letzten Direktor der Anstalt, der sich als „Frontberichter mit Pinsel und Palette“ während des Zweiten Weltkriegs ei-nen Namen als Spezialist für Panzerbilder machte, nicht über den Maler Hans Groß, der Bilder von nordischen Seeleuten schuf, die dem Wikinger-Kult der Nazis entsprachen und ebenfalls nicht über Ottomar Anton, der als Leiter der Abteilung Grafik auflagenstarke Plakate für Reedereien und die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ machte. Nach Ansicht des Berliner Kunsthis-torikers Kai Artinger gestaltete Anton mit seinem bekanntesten Werbeplakat für die Waffen-SS das Bild vom SS-Mann schlechthin.
Über Ernst Gorsemann, den Leiter der Abteilung für Bildhauerei an der Nor-dischen Kunsthochschule, sprach der Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses Arie Hartog. Doch weder sein Beitrag noch der von Dorothee Hansen über die Kunsthalle, deren stellvertretende Direktorin sie seit 2008 ist, entsprach den An-forderungen einer wissenschaftlichen Tagung, da beide weder den Forschungs-stand ihres Themas wiedergaben noch den wissenschaftlichen Prinzipien der Vollzähligkeit und Unparteilichkeit verpflichtet schienen. Hartog war bemüht, Gorsemann in die Bildhauerei des 20. Jahrhunderts einzuordnen, in die Tradition von Louis Tuaillon, verschwieg aber völlig, wie eng Gorsemann mit den Nazis zusammenarbeitete. Auf der Großen Deutschen Kunstausstellung in München stellte er von 1938 bis 1942 insgesamt elfmal seine Skulpturen aus, darunter zwei Statuen mit den Titeln „Bereitschaft“ und „Ausschau“, die Krieg und Mili-tär im Sinne damaliger Propagandakunst symbolisch überhöhten. Wie sehr Gor-semanns Plastik den Ideen nationalsozialistischer Landschaftspflege in den er-oberten Ostgebieten entsprach, offenbart sein Entwurf eines Pferdebrunnens, den er für Plätze in zukünftigen „Wehrdörfern“ gestaltet hatte und der ihm den 1. Preis des Reichsführers der SS eintrug. Und Hartog erwähnt noch nicht einmal den großen Stellenwert, den der NS-Staat der von Gorsemann 1935 geschaffe-nen Großplastik „Wisentstier“ beimaß, die heute noch im Bremer Rhodo-dendronpark steht, ihren größten Auftritt 1937 auf der Weltausstellung in Paris hatte, wo sie auf dem deutschen Pavillon thronte als Symbol germanischer Kraft und Überlegenheit.
In mehreren Büchern und Aufsätzen hat Kai Artinger gezeigt, wie stark die Bremer Kunsthalle in den NS-Kulturbetrieb eingebunden war. Während Doro-thee Hansen erneut das Museum sowie seinen langjährigen Direktor Emil Waldmann vor allem als Opfer des Nationalsozialismus darstellte, belegt Artin-ger, wie dieser nach den Angriffen durch den Bremer „Kampfbund für deutsche Kultur“ „zum funktionierenden Subjekt des NS-Staates“ wurde, indem er zum Beispiel als Sachverständiger für Kunst aus jüdischem Besitz arbeitete oder mit dem Bremer Bürgermeister, SA-Obergruppenführer Böhmker, im besetzten Am-sterdam Kunst „kaufte“. Wer wie Hansen Ergebnisse wissenschaftlicher Litera-tur ignoriert, sie noch nicht einmal erwähnt, muß sich den Vorwurf gefallen las-sen, unbequeme Wahrheiten nicht aufdecken, sondern immer noch vertuschen zu wollen. Und so sprach eine Frau aus dem Publikum als Reaktion auf den Beitrag Hansens über Emil Waldmann zu Recht von „Legendenbildung“.
Auch der Direktor der Kunstsammlungen Böttcherstraße, Frank Laukötter, konnte mit seinen Ausführungen über das Paula-Becker-Modersohn-Haus und das Haus Atlantis nicht punkten, da er – um wieder nur ein Beispiel zu nennen – ein äußerst unvollständiges Bild von Bernhard Hoetger zeichnete, dem Architek-ten der Straße. Daß dieser 1934 in Rom Mitglied der NSDAP wurde, verschwieg Laukötter, ebenso den brennenden Wunsch des Künstlers, wie Albert Speer ein Architekt der „Bewegung“ zu werden. Dem dienten Hoetgers Modelle für ein „Deutsches Forum“ von 1935, ein Kuppelbau über hakenkreuzförmigem Grund-riß, erdacht als riesiger Zweckbau für den NS-Festkalender, aber auch die Skulp-tur „Der Tag“ im Himmelssaal vom Haus Atlantis.
Grundlegend und erhellend für Hoetgers Rolle im Dritten Reich ist das von Maria Anczykowski herausgegebene Buch über den Künstler, grundlegend für das Verständnis der Böttcherstraße die Literatur des Bremer Autors Arn Stroh-meyer. Indem Laukötter mit keiner Silbe auf diese Arbeiten hinweist, mißachtet auch er wie Hartog und Hansen den Grundsatz, Forschung nicht nur zur Kennt-nis zu nehmen, sondern sich mit ihr auch öffentlich auseinanderzusetzen, das heißt Tatsachen – mögen sie noch so unbequem sein – durch eigene Nachfor-schungen zu bestätigen oder mit Hilfe neuer Fakten zu widerlegen.
Literaturnachweis- und empfehlung: Anczykowski, Maria (Hrsg.): „Bernhard Hoetger – Skulptur, Malerei, Design, Architektur“, Bremen 1998; Artinger, Kai: „Die Kunsthalle im Dritten Reich“, Saarbrücken 2010; ders.: „Germanisches Waldrind“ in Berlin, Paris und Bremen, in: Arbeiterbewegung und Sozialge-schichte, Heft 26 Bremen 2012; Strohmeyer, Arn: „Der gebaute Mythos. Das Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße“, Bremen 1993; ders.: „Parsifal in Bremen. Richard Wagner, Ludwig Roselius und die Böttcherstraße“, Weimar 2002