Gedenktag an die Opfer von Faschismus und Krieg

geschrieben von Raimund Gaebelein

23. September 2013

Am 8. September fanden sich trotz Regens an die 40 Friedensfreunde und Antifaschisten an der Ostertorwache ein, um gemeinsam der Opfer von Faschismus und Krieg zu gedenken. …Aus der Rede Eduardo Barahonas
Obwohl es lange Zeit nicht so ausgesehen hat, erwacht die Erinnerung an den Putsch zu neuem Leben, …eine unermessliche Tragödie, die politische Hoffnungen auf eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu Nichte machte und denen, die sich dafür eingesetzt hatten, mit Gefängnis, Folter, Mord und Exil unfassbares Leid zufügte…..
Und nun erwachen ihre Forderungen nach Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und vor allem nach historischer Wahrheit zu neuem Leben und finden ihren Ausdruck in der wachsenden Popularität des Liedes „Niemals wieder“: Chile erinnert sich. Chile und die Chilenen erinnern sich, damit die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerate, damit dieses Kapitel nicht beendet werde ohne gerechte Strafe, vor allem nicht ohne das notwendige Urteil der Geschichte…“

Auszüge aus dem BAF10./11.2013

Experimentierfeld der Machteroberung Eröffnung der Ausstellung über das frühe Konzentrationslager in Ahrensbök

geschrieben von Gedenkstätte Ahrensbök

23. September 2013

„Ganz Deutschland war ein KZ“. Unübersehbar, gut lesbar steht der Text über einer Landkarte, die Deutschland in den Grenzen von 1933 zeigt. Wer weiterliest erfährt: „1933/34 gab es über 80 frühe Konzentrationslager (KZ) in Deutschland mit fast 30.000 ‚Schutzhäftlingen’. Ab Oktober 1933 gehörte auch Ahrensbök für 8 Monate mit rund 100 KZ-Häftlingen zu diesen Orten“.

Die Landkarte wurde 1936 während der Olympischen Spiele in Berlin von französischen Teilnehmern verteilt. Großformatig hängt sie als erste Tafel einer Ausstellung, die den sperrigen aber informativen Titel „Das Konzentrationslager Eutin – Ahrensbök – Holstendorf mit den Außenlagern für ‚Schutzhäftlinge’ in Bad Schwartau, Nüchel und Neukirchen“ trägt. Diese Ausstellung wird am Sonntag, den 29. Oktober 2013 um 11 Uhr in der Gedenkstätte Ahrensbök in Anwesenheit des Staatssekretärs im Ministerium für Justiz, Kultur und Europa, Eberhard Schmidt-Elsaeßer, und der Vizepräsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtags, Marlies Fritzen, eröffnet. Bärbel Seehusen, stellvertretenden Kreispräsidentin spricht Grußworte für den Kreis.

Die Ausstellung ist das Ergebnis intensiver und jahrelanger Forschungsarbeit des Historikers und Erziehungswissenschaftlers Jörg Wollenberg (Universität Bremen), ein geborener Ahrensböker. Er hat sie seinem Mitstreiter Lawrence D. Stokes gewidmet, mit dem Wollenberg den ersten Entwurf dieser Ausstellung erarbeitete. Stokes, der 2007 verstorbene kanadische Historiker ist Autor des Werks „Eutin, eine Kleinstadt im Nationalsozialismus“ .

Wollenberg bezeichnet das frühe Konzentrationslager als „Experimentierfeld“ der nationalsozialistischen Machteroberung. Verantwortlich war Johann Heinrich Böhmcker, Regierungspräsident des Landesteils Lübecks im Freistaat Oldenburg, zu dem Eutin, Ahrensbök

und andere Teile des späteren Ostholsteins damals gehörten. Der SA-Führer ließ die etwa hundert Häftlinge des frühen KZs in Ahrensbök entgegen damals noch geltender Gesetze für ihre Haftkosten arbeiten, indem er sie im Straßenbau einsetzte – ein „erster verhängnisvoller Schritt auf dem Weg zur späteren Vernichtung durch Arbeit“, so Wollenberg.

Wie kaum anderswo lassen sich in der Gedenkstätte Ahrensbök Anfang (1933) und Ende (1945) der NS- Diktatur beispielhaft thematisieren. Die Gedenkstätte wurde im Mai 2001 mit der Dauerausstellung „Der Todesmarsch von Ausschwitz nach Holstein“ eröffnet. Nun wird in den Räumen des ehemaligen Schlafsaals des frühen KZ der Teil der Geschichte des Hauses gezeigt, der Anlass war, im Direktionsgebäude einer ehemaligen Fabrik einen Ort des Gedenkens dauerhaft einzurichten. Wollenberg spricht von „überregionaler Bedeutung“ der Gedenkstätte Ahrensbök, in der auch Zwangsarbeit und nationalsozialistisches Bildungssystem am Beispiel von Ahrensbök exemplarisch dargestellt werden,.

Zur Eröffnung der Ausstellung, in die Professor Wollenberg einführen wird, sind Interessierte eingeladen. Die Gedenkstätte liegt an der Flachsröste 16 im Ahrensböker Ortsteil Holstendorf (B 432), Telefon 04525 – 493 060, E mail: gedenkstaetteahrensboek@t-online.de. Eintritt und Teilnahme an Sonntagsgesprächen sind kostenfrei. Spenden sind willkommen. Die Gedenkstätte und ihre Dauerausstellungen können außerdem jeden Sonntag von 14 bis 18 Uhr besucht werden. Auf Wunsch führen Mitglieder des Trägervereins – auch zu anderen Terminen – durch das historische Gebäude.

Der verlorene Kampf … aber er war nicht umsonst!

geschrieben von Willi Gerns

22. September 2013

Lebenserinnerungen des Antifaschisten Willi Meyer-Buer
Im Neue Impulse Verlag, Essen ist die Autobiographie unseres 1997 verstorbenen Kameraden Willi Meyer-Buer erschienen. Darin hat der antifaschistische Widerstandskämpfer, Mitbegründer der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes und kommunistische Parlamentarier auf 220 Seiten seine reichen Lebens- und Kampferfahrungen niedergeschrieben. Vorangestellt ist ein Vorwort des Verlages sowie ein Geleitwort seines Rechtsanwalts und Freundes Heinrich Hannover. Ein Anhang mit Presseberichten über das 1963 gegen ihn inszenierte Gerichtsverfahren sowie eine Broschüre, in der die KPD-Fraktion in der Bremischen Bürgerschaft Rechenschaft über ihre Arbeit ablegt, schließen die Publikation ab.
Am 20. Mai 1963, gerade mal 18 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus, verurteilte das Landgericht Bremen Willi zu acht Monaten Gefängnis mit fünfjähriger „Bewährung“. Das einzige „Vergehen“: er hatte trotz KPD-Verbot als Einzelbewerber bei der Bundestagswahl 1961 kandidiert. Dieser erneute Prozess gegen ihn steht am Anfang seiner Lebenserinnerungen. Der Staatsanwalt des Landgerichts hielt dem Antifaschisten vor, “ein unbelehrbarer, fanatischer Anhänger der KPD“ zu sein. Drei Jahrzehnte vorher, 1934 hatte der Staatsanwalt des Nazi-Gerichts in Hamm dem von den Folterknechten der Gestapo geschundenen Häftling Willi Meyer-Buer in ähnlichen Worten vorgeworfen, er sei ein „unverbesserlicher Kommunist“ vor dem die Volksgemeinschaft geschützt werden müsse.
Am 30. April 1911 in Gelsenkirchen geboren, wurde Willi mit 20 Jahren Mitglied des KJVD und der KPD. Schon bald darauf übergab das deutsche Großkapital Hitler die Macht. Der junge Kommunist ging in die Illegalität. Teil 1 seiner Lebenserinnerungen umfasst die Zeit des Faschismus, in der er sieben Jahre in Zuchthäusern und Konzentrationslagern verbringen musste. Die Solidarität seiner kommunistischen Mithäftlinge, aber auch die sozialdemokratischer Leidensgenossen, half ihm diese schweren Jahre zu überstehen, wie seine unter Gefahr für das eigene Leben geleistete Solidarität zum Überleben kranker und gefährdeter Kameraden beitrug.
Nach der Befreiung vom Faschismus engagierte Willi sich sofort in der Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus, beim Aufbau der KPD und der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes. Er wirkte mit bei der Erarbeitung der Bremischen Landesverfassung und in einer Arbeitsgruppe für das Grundgesetz. Von 1946 bis 1959 gehörte er dem bremischen Parlament an, zehn Jahre der Landesbürgerschaft und nach dem Verbot der KPD 1956 noch drei Jahre der Stadtbürgerschaft als „Unabhängiger Sozialist“. In der Literatur über die Bremische Bürgerschaft kommen selbst bürgerliche Chronisten nicht umhin, dem Fraktionsvorsitzenden der KPD zu bescheinigen, er habe „sicher in der Diktion, routiniert und geschliffen, ja mitunter brillant als Redner“ seine Aufgabe erfüllt.
Willi kämpfte von der Parlamentstribüne wie auf der Straße entschieden gegen die Remilitarisierung und die Spaltung Deutschlands durch das Adenauer-Regime. Unermüdlich klärte er über die Verbrechen des Faschismus auf und trat neofaschistischen Umtrieben entgegen. Ebenso unentwegt wirkte er für die sozialen Anliegen der Werft- und Hafenarbeiter, der Kriegsopfer, Parzellenbewohner und kleinen Grundstückseigentümer. Die ersten Nachkriegsjahrzehnte stehen im Zentrum von Teil 2 der Lebenserinnerungen.
Als es 1968 möglich wurde, eine legale kommunistische Partei zu konstituieren, gehörte Willi zu denen, die in Bremen die Initiative zum Aufbau der DKP ergriffen. Viele Jahre brachte er seine reichen Erfahrungen in die Arbeit des Bezirksvorstands der Partei ein.
Mit den Erinnerungen Willi Meyer-Buers liegt ein spannendes und lehrreiches Buch über das Leben eines mutigen antifaschistischen Kämpfers und herausragenden kommunistischen Politikers vor, dem eine möglichst große Verbreitung zu wünschen ist. Dies gerade in einer Zeit, in der die NPD und neonazistische Kameradschaften ihr Unwesen treiben und der Skandal um die Mörderbande NSU deutlich macht, dass die Staatsorgane in unserem Land noch immer auf dem rechten Auge blind sind.
Willi Meyer-Buer, Erinnerungen, Der verlorene Kampf … aber er war nicht vergebens! Neue Impulse Verlag Essen Mai 2013, 277 S. 19,80 Euro ISBN 978-3-910080-79-9

Willi Meyer-Buer

Rotglut

geschrieben von Marion Bonk

22. September 2013

Wer ist der Tote, den man im Bürgerpark beim Heinestein findet, der aber schon 35 Jahre als tot gilt. Was haben Che, Gue, und Vara mit seinem Tod zu tun? Kommissar Hölzle und sein Team dürfen wieder weit zurück in der Vergangenheit ermitteln. Diesmal geht es um einen Entführungsfall, das Bombenattentat 1974 im Bremer Hauptbahnhof und die RAF. Was haben der Verfassungsschutz und einige angesehene Bremer Bürger mit den Geschehnissen zu tun? Die Ermittler stoßen bei ihren Ermittlungen in ein Wespennest aus Intrigen und Machenschaften des Verfassungsschutzes. Bis zum Schluss bleibt es spannend, mit einem unerwarteten Ende.
Meine Meinung: In ihrem zweiten Krimi befasst sich das Bremer Autorinnenduo Skalecki/Rist wieder mit einem brisanten Thema der deutschen Vergangenheit. Auch dieses Buch spielt in verschiedenen Jahren. Wie in ihren ersten Roman ist ihnen der Wechsel sehr gut gelungen. Man wird in die Jahre der RAF zurückversetzt und bekommt ein wenig Einblick in die damals schon sehr fragwürdigen Methoden und Machenschaften des Verfassungsschutzes. „V-Leute waren auch zu dieser Zeit schon sehr beliebt.“ Die als Fußnoten angefügten Verweise auf Personen oder Ereignisse in dieser Zeit machen es auch nicht so geschichtsfesten Lesern möglich sich zurechtzufinden. Die Mischung aus Krimi und brisantem Thema ist hier wieder sehr eindrucksvoll miteinander verbunden. Es ist nicht blutrünstig, sondern animiert den Leser zum Mitdenken und Kombinieren. Kommissar Hölzle bringt durch seine schwäbische Mundart den Leser wie immer zum Schmunzeln. Ein Buch, das man lesen sollte. Ich hoffe, dass wir diesmal nicht wieder fast ein Jahr warten müssen, bis unser Kommissar Hölzle einen neuen und hoffentlich auch in die Vergangenheit führenden Fall lösen darf.
Rotglut, von Liliane Skalecki /Biggi Rist, Gmeiner Verlag, ISBN 978-3-8392-1442-8, 377 Seiten, 11,99 Euro

Rotglut

Bremer Kulturinstitutionen unterm Hakenkreuz

geschrieben von Ferdinand Krogmann

19. September 2013

Wenig Neues im Verlauf der wissenschaftlichen Tagung „Verstrickt. Bremer Kulturinstitutionen unterm Hakenkreuz“ am 29. Juni im Himmelssaal vom Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße! Laut Programm sollte nicht nur die Rolle dieses Hauses aufgehellt werden, sondern ebenso die der Nordischen Kunst-hochschule, der Kunsthalle, des Paula-Becker-Modersohn-Hauses und des Fo-cke- sowie „Väterkunde“-Museums. 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein längst überfälliger Schritt, der jedoch das Ziel mehrfach verfehlte. Wissen-schaftlich voll überzeugen konnte nur der Vortrag von Dirk Mahsarski über den Bremer Bildungssenator und SS-Oberführer Ernst Richard von Hoff. Detailliert schilderte Mahsarski Lebenslauf und Rolle des führenden Rassentheoretikers in der Hansestadt. Von Hoff war, um nur ein Beispiel zu geben, die treibende Kraft bei der Gründung der ersten nationalsozialistischen Kunsthochschule in Deutschland, der Nordischen Kunsthochschule.
Im Auftrag der Hochschule für Künste Bremen, so der Name der Lehranstalt heute, erforschte Susen Krüger Saß deren Geschichte. In ihrem Vortrag behan-delte sie vor allem Gründung sowie Machtkämpfe innerhalb der Institution, be-sonders den Streit zwischen dem ersten Direktor, dem Worpsweder Maler Fritz Mackensen, und dem Nachfolger im Amt, Carl Horn. Krüger Saß bestätigte, daß Mackensen, für den die Hochschule „eine nationalsozialistische Angelegenheit ersten Ranges“ darstellte, seinen Direktorenposten 1935 nicht deshalb verlor, weil der Bremer Senat seine politische Gesinnung anzweifelte, sondern weil er ihm fehlende Führungsqualitäten sowie Spaltung der Hochschule vorwarf.
Über den nationalsozialistischen Charakter der Einrichtung sowie über Hal-tung und Einstellung von Studentenschaft und Lehrkörper berichtete Krüger Saß nicht: nicht über Rudolf Hengstenberg, den letzten Direktor der Anstalt, der sich als „Frontberichter mit Pinsel und Palette“ während des Zweiten Weltkriegs ei-nen Namen als Spezialist für Panzerbilder machte, nicht über den Maler Hans Groß, der Bilder von nordischen Seeleuten schuf, die dem Wikinger-Kult der Nazis entsprachen und ebenfalls nicht über Ottomar Anton, der als Leiter der Abteilung Grafik auflagenstarke Plakate für Reedereien und die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ machte. Nach Ansicht des Berliner Kunsthis-torikers Kai Artinger gestaltete Anton mit seinem bekanntesten Werbeplakat für die Waffen-SS das Bild vom SS-Mann schlechthin.
Über Ernst Gorsemann, den Leiter der Abteilung für Bildhauerei an der Nor-dischen Kunsthochschule, sprach der Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses Arie Hartog. Doch weder sein Beitrag noch der von Dorothee Hansen über die Kunsthalle, deren stellvertretende Direktorin sie seit 2008 ist, entsprach den An-forderungen einer wissenschaftlichen Tagung, da beide weder den Forschungs-stand ihres Themas wiedergaben noch den wissenschaftlichen Prinzipien der Vollzähligkeit und Unparteilichkeit verpflichtet schienen. Hartog war bemüht, Gorsemann in die Bildhauerei des 20. Jahrhunderts einzuordnen, in die Tradition von Louis Tuaillon, verschwieg aber völlig, wie eng Gorsemann mit den Nazis zusammenarbeitete. Auf der Großen Deutschen Kunstausstellung in München stellte er von 1938 bis 1942 insgesamt elfmal seine Skulpturen aus, darunter zwei Statuen mit den Titeln „Bereitschaft“ und „Ausschau“, die Krieg und Mili-tär im Sinne damaliger Propagandakunst symbolisch überhöhten. Wie sehr Gor-semanns Plastik den Ideen nationalsozialistischer Landschaftspflege in den er-oberten Ostgebieten entsprach, offenbart sein Entwurf eines Pferdebrunnens, den er für Plätze in zukünftigen „Wehrdörfern“ gestaltet hatte und der ihm den 1. Preis des Reichsführers der SS eintrug. Und Hartog erwähnt noch nicht einmal den großen Stellenwert, den der NS-Staat der von Gorsemann 1935 geschaffe-nen Großplastik „Wisentstier“ beimaß, die heute noch im Bremer Rhodo-dendronpark steht, ihren größten Auftritt 1937 auf der Weltausstellung in Paris hatte, wo sie auf dem deutschen Pavillon thronte als Symbol germanischer Kraft und Überlegenheit.
In mehreren Büchern und Aufsätzen hat Kai Artinger gezeigt, wie stark die Bremer Kunsthalle in den NS-Kulturbetrieb eingebunden war. Während Doro-thee Hansen erneut das Museum sowie seinen langjährigen Direktor Emil Waldmann vor allem als Opfer des Nationalsozialismus darstellte, belegt Artin-ger, wie dieser nach den Angriffen durch den Bremer „Kampfbund für deutsche Kultur“ „zum funktionierenden Subjekt des NS-Staates“ wurde, indem er zum Beispiel als Sachverständiger für Kunst aus jüdischem Besitz arbeitete oder mit dem Bremer Bürgermeister, SA-Obergruppenführer Böhmker, im besetzten Am-sterdam Kunst „kaufte“. Wer wie Hansen Ergebnisse wissenschaftlicher Litera-tur ignoriert, sie noch nicht einmal erwähnt, muß sich den Vorwurf gefallen las-sen, unbequeme Wahrheiten nicht aufdecken, sondern immer noch vertuschen zu wollen. Und so sprach eine Frau aus dem Publikum als Reaktion auf den Beitrag Hansens über Emil Waldmann zu Recht von „Legendenbildung“.
Auch der Direktor der Kunstsammlungen Böttcherstraße, Frank Laukötter, konnte mit seinen Ausführungen über das Paula-Becker-Modersohn-Haus und das Haus Atlantis nicht punkten, da er – um wieder nur ein Beispiel zu nennen – ein äußerst unvollständiges Bild von Bernhard Hoetger zeichnete, dem Architek-ten der Straße. Daß dieser 1934 in Rom Mitglied der NSDAP wurde, verschwieg Laukötter, ebenso den brennenden Wunsch des Künstlers, wie Albert Speer ein Architekt der „Bewegung“ zu werden. Dem dienten Hoetgers Modelle für ein „Deutsches Forum“ von 1935, ein Kuppelbau über hakenkreuzförmigem Grund-riß, erdacht als riesiger Zweckbau für den NS-Festkalender, aber auch die Skulp-tur „Der Tag“ im Himmelssaal vom Haus Atlantis.
Grundlegend und erhellend für Hoetgers Rolle im Dritten Reich ist das von Maria Anczykowski herausgegebene Buch über den Künstler, grundlegend für das Verständnis der Böttcherstraße die Literatur des Bremer Autors Arn Stroh-meyer. Indem Laukötter mit keiner Silbe auf diese Arbeiten hinweist, mißachtet auch er wie Hartog und Hansen den Grundsatz, Forschung nicht nur zur Kennt-nis zu nehmen, sondern sich mit ihr auch öffentlich auseinanderzusetzen, das heißt Tatsachen – mögen sie noch so unbequem sein – durch eigene Nachfor-schungen zu bestätigen oder mit Hilfe neuer Fakten zu widerlegen.

Literaturnachweis- und empfehlung: Anczykowski, Maria (Hrsg.): „Bernhard Hoetger – Skulptur, Malerei, Design, Architektur“, Bremen 1998; Artinger, Kai: „Die Kunsthalle im Dritten Reich“, Saarbrücken 2010; ders.: „Germanisches Waldrind“ in Berlin, Paris und Bremen, in: Arbeiterbewegung und Sozialge-schichte, Heft 26 Bremen 2012; Strohmeyer, Arn: „Der gebaute Mythos. Das Haus Atlantis in der Bremer Böttcherstraße“, Bremen 1993; ders.: „Parsifal in Bremen. Richard Wagner, Ludwig Roselius und die Böttcherstraße“, Weimar 2002

Rede von Eduardo Barahonas zum Gedenktag der Opfer von Faschismus und Krieg am 8.9.2013

geschrieben von Eduardo Barahonas

19. September 2013

„Niemals wieder“
„Damit es in Chile niemals wieder zu einem Putsch und seinen Folgen kommt!“
Dies ist der Refrain eines Liedes, das in Chile in der letzten Zeit sehr populär geworden ist.
Obwohl es lange Zeit nicht so ausgesehen hat, erwacht die Erinnerung an den Putsch zu
neuem Leben. Was hat sich verändert?
„Ein Putsch und seinen Folgen“. Fünf Worte umfassen eine unermessliche Tragödie, die
politische Hoffnungen auf eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu Nichte machte und denen,
die sich dafür eingesetzt hatten, mit Gefängnis, Folter, Mord und Exil unfassbares Leid
zufügte.
Die Hoffnung war gewachsen, als die Unidad Popular, ein breites Bündnis von
sozialistischen, kommunistischen und christlichen Parteien mit Salvador Allende 1970 die
Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte und begann, den Reichtum der Gesellschaft
umzuverteilen:
• Schulbildung und Gesundheitsversorgung wurden kostenfrei. Jedes Kind bekam täglich kostenlos einen halben Liter Milch. Preise für Mieten und Grundbedarfsartikel wurden reguliert. Viele ärmere Familien konnten sich erstmals Fleisch leisten.
• Mit einer Landreform wurde Boden aus Großgrundbesitz an Bauern und Kollektive umverteilt. Dadurch sollte erstmals auch Land an die Mapuche zurückgegeben werden, die seit der Kolonisierung mit Waffengewalt aus ihren angestammten Gebieten in unwirtliche Gegenden vertrieben und ihrer Existenzgrundlagen beraubt wurden.
Die Bodenschätze, vor allem Kupfer und Kohle, sollten nicht mehr den ausländischen Großunternehmen Gewinne bringen, sondern der chilenischen Gesellschaft. Sie wurden deshalb in mehreren Schritten verstaatlicht, genau wie fast alle Banken.
Damit bedeutete die Hoffnung für viele die Enteignung von wenigen. Sie ließen sich jedoch
nicht von den Schaltstellen der Macht verdrängen und planten schon bald ihr come back.
Besonders die großen us-amerikanischen Unternehmen wollten keine Einbußen hinnehmen.
Zu ihnen gehörte neben dem Pepsi-Cola-Konzern und der Chase Manhattan Bank vor allem
der us-amerikanische Mischkonzern ITT, der in Chile Kupferminen betrieb. Er ging zum
Sturz von Allende eine intensive Kooperation mit der CIA ein. Die CIA beriet ITT beim
heimlichen Transfer von hohen Geldsummen an konservative Politiker. Dafür legten Manager
von ITT der CIA frühzeitig ein 18-Punkte-Programm zum Sturz Allendes vor. Das Rezept
lautete: „Aushungern der chilenischen Wirtschaft durch die USA und befreundete Staaten,
Subventionen für oppositionelle Gruppen und Zeitungen und „verlässliche Quellen innerhalb
des chilenischen Militärs anbohren“. Genau das wurde durchgeführt.
Henry Kissinger, damals noch Nationaler Sicherheitsberater der USA, sagte schon 1970 nach
dem Wahlsieg der Unidad Popular: „Ich sehe nicht ein, warum wir zusehen sollen, wie ein
Land kommunistisch wird, weil seine eigenen Leute unverantwortlich sind.“ Und so
„übernahm er Verantwortung“. Zusammen mit der CIA schmiedete er zur Vorbereitung eines
Umsturzes ein Komplott mit Führungspersonen des chilenischen Militärs, von denen viele
vorher schon in der US-Militärakademie in der Panamakanal-Zone, einer berüchtigten CIA-
Folterschule, ausgebildet worden waren.
Das Aushungern der chilenischen Wirtschaft wurde beschleunigt durch Manipulation
der Kupferpreise, durch Streichung von Krediten der Weltbank und den Boykott von
Ersatzteil-Lieferungen aus dem Ausland.
• . Die CIA subventionierte mit Geld und Waffen in Höhe von 13 Millionen US-Dollar nicht nur oppositionelle Parteien und Medien, sondern auch direkte Sabotageakte.
• . Führende Militärs, die loyal zu der gewählten Regierung standen, wurden von den Putschgeneralen schon vor dem gewaltsamen Umsturz eliminiert.
• . Gleichzeitig übergab die CIA dem chilenischen Militär auch schon Listen mit den Namen von mehr als 20.000 Führern von linken Parteien, Gewerkschaften, Studentengruppen und anderen Bürgerkomitees.
Am 11. September 1973 griffen chilenische Militärs unter Führung von General Augusto
Pinochet mit Bombern den Präsidentenpalast Moneda in Santiago de Chile an, brachten
Allende um und begannen, seine Anhänger zu Tausenden gefangen zunehmen, zu foltern und
zu ermorden. Es begann eine Zeit unaussprechlicher Grausamkeit.
An amerikanischen Börsen dagegen stiegen die Notierungen für ITT und die Kupferpreise
bereits Minuten nach den ersten Meldungen über den Putsch. In Deutschland kommentierte
der CSU-Politiker Franz-Josef Strauß: „Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat,
erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang.“
Die chilenische Tochtergesellschaft der Farbwerke Hoechst AG bestätigte in einem Brief den
zentral gesteuerten Komplott:
„Der so lang erwartete Eingriff der Militärs hat endlich stattgefunden … Säuberungsaktion ist
immer noch im Gange… Wir sind der Ansicht, dass das Vorgehen der Militärs und der Polizei
nicht intelligenter geplant und koordiniert werden konnte, und dass es sich um eine Aktion
handelte, die bis ins letzte Detail vorbereitet war und glänzend ausgeführt wurde… Chile wird
in Zukunft ein für Hoechster Produkte zunehmend interessanter Markt sein… „.
Es folgte ein Belagerungszustand bis 1978 und eine Diktatur bis 1990, in der die Rezepte des
Neoliberalismus erstmals umgesetzt wurden:
• Die natürlichen Ressourcen wurden zum großen Teil wieder privatisiert und dabei große Teile des
Staatsbesitzes an die Militärs überschrieben. Heute ist weniger als ein Drittel der chilenischen Kupferindustrie in öffentlicher Hand.
• Die Bodenreform wurde rückgängig gemacht
• Ein Gesetz zur Abschaffung des Gemeineigentums der Mapuche enthielt den Passus, dass mit seinem Inkrafttreten der Boden und seine Bewohner aufhören indigen zu sein, um gleichzeitig die Existenzbedingungen und die Identität der Mapuche selber zu eliminieren.
• kollektive Tarifverhandlungen wurden verboten
• die Ausbildungskosten wurden auf die Familien verlagert.
Erst 14 Jahre später wurde die Bildung von Parteien wieder zugelassen und 1989 fand nach 16
Jahren eine Präsidentenwahl statt. Chile wurde nominell wieder eine bürgerliche
Demokratie. Aber die Verfassung, die Pinochet 1980 installiert hatte, blieb im Wesentlichen
unverändert gültig und mit ihr ein undemokratisches Wahlsystem, mit dem alle
ausgeschlossen werden sollten, die gegen den neoliberalen Umbau der Gesellschaft eintraten.
Unter diesen Bedingungen wurde die Politik der Privatisierungen und des Sozialabbaus
fortgesetzt. Vor allem die staatlichen Ausgaben für die Bildung wurden weiter gekürzt. Heute
sind die Studiengebühren so hoch, dass man zum Studieren entweder viel Geld haben oder
sich hoch verschulden muss.
Auch die Unterdrückung der Mapuche wurde fortgesetzt. Der größte Teil ihres Landes wurde
ihnen durch Besetzung und Konfiszierung inzwischen entrissen, so dass sie in größte Armut
stürzten. Proteste beantwortete die Regierung mit immer gewaltsameren Methoden bis hin
zum Einsatz von Schusswaffen, denen auch Jugendliche und Kinder zum Opfer fielen. Viele
wurden festgenommen, über lange Zeit gefangen gehalten und sogar misshandelt und
gefoltert, um widerrechtlich ein Geständnis zu erzwingen. Die Regierung beruft sich bei der
unverhältnismäßigen Unterdrückung der gerechten Proteste auf ein „Antiterrorgesetz“ aus der
Zeit der Diktatur, um sie als Terrorakte zu stigmatisieren.
nzwischen hat aber die zunehmende Verschlechterung der sozialen Lage zu einem neuen
Aufschwung von sozialen Bewegungen geführt. Vor allem die Studentenbewegung gegen
Studiengebühren, für Reformen und mehr staatliche Mittel im Bildungssystem brachte die
größten Massenproteste seit Ende der Pinochet-Diktatur hervor, bei denen später dann auch
eine neue verfassunggebende Versammlung gefordert wurde.
2006 konnten Arbeiter von Subunternehmen im Kupferbergbau und in der Forstwirtschaft
auch die ersten echten Tarifverhandlungen wieder durchsetzen. Im Juli 2011 traten 17000
Bergarbeiter der in staatlicher Hand verbliebenen Nationalen Kupfergesellschaft
(CODELCO) in den Streik, um gegen eine weitere Privatisierung zu protestieren.
Auch der lange Kampf der Familien und Freunde der Verschwundenen und Ermordeten für
Gerechtigkeit und Wahrheit wird stärker. Er bewahrte die Erinnerung an die Bilanz der
Schmerzen, der Verfolgungen und Tragödien, der Gefängnisse und Folterungen und des Exils
für hunderttausende Chilenen. Und nun erwachen ihre Forderungen nach Gerechtigkeit,
Wiedergutmachung und vor allem nach historischer Wahrheit zu neuem Leben und finden
ihren Ausdruck in der wachsenden Popularität des Liedes „Niemals wieder“: Chile erinnert
sich. Chile und die Chilenen erinnern sich, damit die Vergangenheit nicht in Vergessenheit
gerate, damit dieses Kapitel nicht beendet werde ohne gerechte Strafe, vor allem nicht ohne
das notwendige Urteil der Geschichte.
So trugen viele dazu bei, dass sich für die kommenden Präsidentschaftswahlen eine
fortschrittliche Allianz zur Wahl stellen kann, die mit der Unterstützung der Bevölkerung die
Möglichkeit hätte, in Chile grundsätzliche Veränderungen zur Verbesserung der sozialen
Lage durchzusetzen. Dieses neue Bündnis für eine gerechtere und selbstbestimmte
Gesellschaft in Chile bestätigt Allendes letzte Worte „Die Geschichte gehört uns, es sind die
Völker die sie machen!“

Morgengrauen

geschrieben von Marion Bonk

1. Juli 2013

Es ist der dritte Krimi von Rose Gerdts mit brisantem Hintergrund. Für mich allerdings war es der erste. Im vorliegenden Roman befasst sie sich mit den Gräueltaten der Bremer Polizeibatallione in Litauen während des Dritten Reichs. Dies bildet die Brücke zur Gegenwart. Der Angriff auf den Bremer Polizeibeamten Michael Wessel ruft das Ermittlerduo Frank Steenhoff und Navideh Petersen auf den Plan. Was haben die Morde zweier alter Männer in München und Amsterdam mit dem Übergriff auf den Polizisten zu tun? Warum wird die Laube Erich Wessels, des verstorbenen Vaters von Michael, durchsucht? Die Vergangenheit holt auch in Bremen einige alte Männer und ihre Familien wieder ein. Steenhoff und Petersen müssen ihre Ermittlungen nicht nur nach Amsterdam und München, sondern bis nach Litauen ausdehnen, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Bei ihren Ermittlungen stößt das Team immer tiefer in den Strudel der Vergangenheit, und es zeigt mal wieder, dass es immer noch die ewig Gestrigen gibt und sie sich leider auch nicht mehr ändern, sondern auch einen Teil ihrer Mitmenschen in ihrem Sinne beeinflussen. Das Ende bleibt sehr lange offen und kommt ein wenig unerwartet, was das Ganze noch spannender macht. Der historische Hintergrund lässt den Krimi aber nicht an Spannung und guter Unterhaltung verlieren, sondern regt den Leser dadurch noch mehr an, über die Vergangenheit nachzudenken. Ein Krimi, der gute Unterhaltung mit einem brisanten geschichtlichen Thema verbindet. Ein Muss für jeden Krimifan, der es auch gleichzeitig mag in die Tiefe der Vergangenheit einzutauchen. Als Antifaschistin hätte ich mir allerdings ein wenig mehr Tiefe in den Ausführungen über die Hintergründe des Polizeibatallions gewünscht. Am Ende des Buches befinden sich aber Verweise auf einschlägige Literatur zu diesem Thema.

„Morgengrauen“, Rose Gerdts, erschienen im Rowolth-Taschenbuch-Verlag, 320 Seiten, Preis: 9,99Euro, ISBN 978-3-499-25987-6

Mein Vater, Hitler und ich

geschrieben von Raimund Gaebelein

1. Juli 2013

Vor 19 Jahren erreichte die Bremer VVN-BdA eine Anfrage von der Ile aux moines (Mönchsinsel) in der Bretagne. Ein Bremer, Jahrgang 1913, Theologe aus gutbürgerlicher Familie, fragt, ob denn schon alle Widerstandsleute in Deutschland gestorben seien. Nach und nach enthüllte sich eine Lebensgeschichte. Herbert François Charles de Beaulieu verließ das Gymnasium, trat Ende der Zwanziger in die Firma Melchers ein und machte seine Kaufmannsgehilfenlehre. Oktober 1933 wurde er zum Londoner Zweigbetrieb geschickt, anschließend nach Paris. In London begegnete er Dietrich Bonhoeffer, der einen tiefen Eindruck auf ihn hinterließ. In Paris begegnete er im Frühjahr 1934 seinem alten Klassenkameraden Pastor Dahlgrühn. Nach Abschluss seiner Prüfung vor der Handelskammer nahm de Beaulieu das Theologiestudium auf. Über Marburg und Tübingen kam er nach Berlin, immer im Umfeld der „Bekennenden Kirche“. Der beginnende Krieg sah ihn seiner Sprachkenntnisse wegen in der Abteilung „Fremde Heere West“ beim Generalstab in Zossen. Sein Gewissen bewegte ihn dazu, Fronterlebnisse, Briefe aus Theresienstadt, Gedichte von Pfarrer Reinhold Schneider, Predigten des Münsteraner Bischofs von Galen und des Papstes abzuschreiben und Freunden zuzustecken. Am 11. Februar 1942 wurde er von der Geheimen Feldpolizei verhaftet, am 16. April 43 zu sieben Monaten Gefängnis und Degradierung verurteilt und in die Feldstrafgefangenenabteilung Nr. 10 an der Ostfront versetzt. Als er sich nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im September 1946 um eine Pfarrstelle bewarb, enthielt sein polizeiliches Führungszeugnis den Vermerk: “vorbestraft mit 7 Monaten Gefängnis“. Die Urteilsgründe waren nicht aufgeführt. Er ging nach Paris und fand über den „Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge“ Anstellung bei der deutschen Gemeinde. Wegen seiner Verdienste bei der systematischen Erfassung deutscher Soldatengräber in Frankreich und der Bearbeitung der Nachforschungsanträge erhielt er vom Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge Verdienstplakette und Ehrennadel, von Bundespräsident Heuß das Verdienstkreuz.

Sein Sohn François de Beaulieu hat 2008, ein Jahr nach Vaters Tod Erinnerungen an ihn als Buch veröffentlicht. Die deutsche Fassung erscheint im Donat Verlag in Bremen unter dem Titel: „Mein Vater, Hitler und ich“. Es ist eine faszinierende Geschichte, eine Zeitreise zurück in die Zeit der Vertreibung der Hugenotten und ihrer Aufnahme in preußischen Landen. Der Großvater, kurzzeitig Kolonialoffizier im heutigen Namibia, starb als deutscher Offizier 1915 in Frankreich, sein Name ist in der Krypta der Liebfrauenkirche und im Rondell der Altmannshöhe zu lesen. Mütterlicherseits ist die Familie de Beaulieu eng mit dem bremischen Bürgertum verbunden. Die Großmutter war eine Oelrichs. „Ich brauchte lange Zeit, bis ich begriff, was mein Vater während des Krieges gemacht hatte“, schreibt Sohn Beaulieu. Im Sommer 1949 war Vater Beaulieu in Bremen und trat als Mitglied Nr. 102019 der VVN bei. Sein Elternhaus in Bremen war durch Bomben vernichtet, seine Mutter einem Fliegerangriff zum Opfer gefallen. Mit einer gewissen Zurückhaltung, auf liebvolle Weise und vielleicht auch mit etwas Erfurcht nähert sich Sohn François de Beaulieu dem Vermächtnis seines Vaters, beschreibt Erinnerungen an die Insel, auf der er aufwuchs, an ein verwunschenes Häuschen hinten im Garten, in dem sein Vater Pläne schmiedete, an die bisweilen skurrile Sammelleidenschaft. Vater Beaulieu mochte nichts wegwerfen, vielleicht könnte es doch noch einmal gebraucht werden. Gastfreundschaft stand ganz hoch im Kurs, was der Verfasser 1998 bei einem Besuch selbst erfuhr.

François de Beaulieu, Mein Vater, Hitler und ich“, 239. S., 14,80 Euro, Donat Verlag Bremen 2013, ISBN 978-3-943425-20-8

Braune Erde

geschrieben von Silke

1. Juli 2013

„Ich hörte ihre Schritte, ihren keuchenden Atem, ihre Versuche leise zu sein. (…) Ich schloss die Augen und versuchte meine Angst ganz tief in meinen zu Kopf zu sperren. Ich wollte mir nicht ausmalen, was sie mit mir anstellen würden, wenn sie mich erwischten.“ „Alle Menschen, die ich kannte, lebten in diesem Dorf. (…) Und weit und breit war niemand, den ich um Hilfe bitten konnte. Ich hatte keine Beweise, keine Zeugen, ich war nur ein dummer Junge, dem niemand glaubte. Was war bloß passiert seit ihrer Ankunft vor sieben Monaten.“
Sie sind die neuen Siedler. Eine Gruppe bestehend aus einer Familie mit Vater, Mutter mit ihrer jugendlichen Tochter sowie einem verwitweten Vater mit seinen beiden Söhnen von 16 Jahren.
Benjamin der 15-jährige Ich-Erzähler erlebt seit Jahren zum ersten Mal wieder, dass er vermisst wird, dass seine Meinung den Leuten aus Fremden wichtig ist. Die Neuen leben das, was es seit der Wende in dem sterbenden oder schon gestorbenen Dorf nicht mehr gibt. Sie leben eine Gemeinschaft, deren Mitglieder aufeinander acht geben. Sie engagieren sich in ihrer neuen Heimat. Sie kümmern sich um die Alten, die Kranken und die Verlassenen. So schaffen sie es in kürzester Zeit aus den Verlierern der Wende wieder eine Dorfgemeinschaft werden zu lassen. Aus frustrierten Sozialhilfeempfängern werden Menschen, die wieder lachen. Benjamin versteht nichts von Politik, „aber Reinhold, [der Anführer der Siedler] redete nicht einfach daher, er wusste, was er sagte.“ Und vor allem wusste Reinhold, dass Benjamins Einsamkeit ihn zu einem bereitwilligen Gefäß machte, dass er mit seiner Ideologie von einer überlegenen Rasse füllen konnte. Reinhold muss Benjamin dafür nur an der Gemeinschaft der Siedler Teil haben lassen und ihn ernst nehmen. Was Benjamin nicht sieht, sehen seine Mitschüler in der Schule, die in der nächsten Kreisstadt liegt, sehr wohl: Während einer Auseinandersetzung wird er als Nazi beschimpft. Selbst wenn Benjamin mal etwas suspekt ist, etwa die Gewaltbereitschaft der Söhne, so werden diese Zweifel immer gleich wieder davon überdeckt, dass er endlich zu einer Gemeinschaft gehört und als Hort des Wissens – insbesondere über die Einstellung der einzelnen Dorfbewohner – sogar hofiert wird.
Die Situation im Dorf spitzt sich zu, als es in der Gegend zu Diebstählen kommt. Die Siedler gründen mit den Bewohnern eine Bürgerwehr, da sie sich von der Polizei allein gelassen fühlen. Auch Benjamin geht mit auf Streife und erlebt mit Entsetzen eine Scheinerschießung (mit). Zwei Polen trifft es, weil sie zu gut ins Feindbild passen. Benjamin gerät in einen Strudel, in dem er fürchtet zu ertrinken.
Georg bemerkt seine Not und lädt ihn zu einem Besuch in Stettin ein. Er ist ein väterlicher Freund von früher und wohnt ebenfalls in dem Dorf. Um dem Strudel wenigsten kurz zu entkommen, fährt Benjamin mit. Gerüchte Georg habe Benjamin während der Fahrt nach Polen missbraucht werden gestreut. Benjamin, hat dem nichts entgegen zu setzen, da er wegen eines Vollrausches, keine Erinnerung an die Nacht in Stettin hat. Die Bürgerwehr greift ein (…). Als Benjamin endlich aus dem Nebel von Suggestion und Realität aufwacht und erkennt, dass rein gar nichts an den Missbrauchsvorwürfen gegen Georg dran ist, geht er zur Staatsanwaltschaft. Doch die Woge des Hasses gegen Georg ist nicht mehr zu brechen.

Das Buch „Braune Erde“ von Daniel Höra, erzählt nachvollziehbar, wie ein unpolitischer Jugendlicher in den Sog von Nazis gerät. Man zittert mit Benjamin vor Angst, als er von den Siedlern verfolgt wird, ist mit ihm hin und her gerissen zwischen dem Wissen um Menschlichkeit und seiner Sehnsucht nach Liebe, Gemeinschaft und Anerkennung. Man versteht, wie er die doch so menschenfeindliche Ideologie in sich aufnimmt, obwohl er „kein Fan von Hitler war und nichts gegen Juden hatte. (…) Dass sich heutzutage überall die Ausländer breit machten, war was anderes, störte mich aber auch nicht wirklich.“ (S. 109). Das Buch kommt ohne Jugendslang aus und entspricht doch bis auf wenige Stellen, der Sprache von Jugendlichen. An diesen wenigen Stellen ist es etwas zu sehr auf der Methaebene.
Insgesamt ist es eine gute Lektüre für Jugendliche, sowohl zum alleine Lesen, als auch als Klassenlektüre, als Diskussionsbasis für den Gemeinschaftskundeunterricht sowie für den Unterricht in Wert und Normen.

Daniel Höra „Braune Erde“, 300 Seiten, Bloomsbury Verlag, Berlin, 2012, ISBN 978-3-8333-5099-3, 8,99 EUR

Skandal ohne Ende – Deutscher Umgang mit dem Rechtsextremismus,

geschrieben von Raimund Gaebelein

1. Juli 2013

So zitiert der Bremer Publizist Conrad Taler zu Beginn seines jüngsten Buches „Skandal ohne Ende – Deutscher Umgang mit dem Rechtsextremismus“ Walter Rathenau. Der liberale deutsche Außenminister wurde 1922 Opfer eines Attentats des Freikorps „Organisation Consul“. In der Einleitung entlarvt er die von konservativen Kreisen heraufbeschworene Angst vor dem Bolschewismus zur Zeit des Kalten Krieges. Um die Wiederbewaffnung gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen, scheute sich Konrad Adenauer nicht, als Kriegsverbrecher verurteilte Wehrmachtsgeneräle und hochbelastete SS- und SD-Chargen in höchste Führungsgremien einzusetzen. Ob Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Bundeskriminalamt, viele der Spitzenleute „kamen aus dem braunen Sumpf“. Vergleichbares wie das 131er Gesetz zur Beendigung der „Naziriecherei“ (Adenauer) sollte es nach 1990 nicht geben, die DDR-Elite wurde abgewickelt.

Conrad Taler greift tief hinein in die Geschichte der Bundesrepublik und stellt umfassend dar, wie 1959/60 versucht wurde, Beschädigungen jüdischer Einrichtungen und Beschmierungen von Grabsteinen mit Hakenkreuzen durch faschistische Täter linken Kräften und der DDR-Führung anzulasten. Nach dem Oktoberfestattentat 1980 in München spielte Franz-Joseph Strauß dieselbe Karte. Zwei Dutzend Leute der Wehrsportgruppe Hoffmann seien aus der DDR gekommen. Belege dafür konnten zu keiner Zeit erbracht werden. In den Wahlkämpfen der 90er Jahre beschworen Unionspolitiker immer wieder die Gefahr von links. Der damalige Generalbundesanwalt schürte die Vorstellung, Faschismus und Rassismus seien nach 1990 aus der DDR herübergeschwappt. Nazilieder an Bundeswehrhochschulen und Erhalt der Namen von belasteten Wehrmachtsgenerälen an Kasernen hält Conrad Taler für symptomatisch für den Geist des erweiterten Deutschland.

Empört wies der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Mitte November 2011 die Frage Hans Leyendeckers in der Süddeutschen Zeitung zurück, ob es sein könnte, „dass Staatsbedienstete im Innersten verkappte Staatsfeinde sind und sich mit dem rechten Pack gemein gemacht haben?“ Die Spuren zu den Morden der Gruppe um Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos wurden jedenfalls gründlich verwischt, Hintergründe vertuscht, der Untersuchungsausschuss am Nasenring entlang geführt. Ein Haupthindernis für ein NPD-Verbot sieht Conrad Taler darin, „dass am rechten Rand der Unionsparteien mitunter ähnlich geredet wird wie bei der NPD.“

Er beendet das Buch mit einem ausführlichen Porträt unseres langjährigen Ehrenvorsitzenden Alfred Hauser von Ende März 1995. Conrad Taler zeichnet die aufrechte Haltung eines Mannes nach, den weder Verfolgung, noch Folter oder Einzelhaft zu brechen vermochten. Er schildert die breite Anerkennung, die sich Alfred Hauser durch seine offene Art erworben hat, als stete Mahnung gegen Wegsehen, Leugnung, trügerische wie falsche Legenden und Reinwaschen faschistischer Verbrechen. Conrad Talers Buch „Skandal ohne Ende“ ist ein Geschichtsbuch der Bundesrepublik, gehört in Schulen und Redaktionsstuben.

Conrad Taler, Skandal ohne Ende – Deutscher Umgang mit dem Rechtsextremismus, 174 S., 12,90 Euro, Papyrossa Verlag Köln 2012, ISBN 978-3-89438-503-3

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