Eine Kirche für alle

12. Januar 2015

Im Frühsommer gaben neun Bremer Pastoren eine Erklärung heraus, in der sie vor der Verwässerung der christlich-biblischen Botschaft warnten. In der Zeitung erklärten sie zudem ihre ablehnende Haltung gegenüber der Homosexualität. …Wie würde Jesus reagieren, käme ein schwuler Mann auf ihn zu und klagte ihm sein Leid? Ich bin sicher, er wurde ihn in den Arm nehmen und sagen: Du bist, so wie du bist, ein gewolltes Kind Gottes….Wer vor der Verwässerung warnt, gerät mit fundamentalistischen Ansichten schnell in die Gefahr, die Bibel zu versteinern. Viel wichtiger ist es, die Bibel mit ihrem Eintreten für Gerechtigkeit zu einem Buch des Lebens werden zu lassen. Wir müssen den Geist weitertragen, in dem sie geschrieben ist, und nicht nur die Worte.
Auszug BAF 02./03.2015

70 Jahre später

12. Januar 2015

„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ schworen die Buchenwald-Häftlinge nach ihrer Selbstbefreiung…Sie forderten die Verantwortlichen für den millionenfachen Mord, für Kriegsentfesselung und Ausplünderung vor Gericht zu stellen und mit ihnen die Hintermänner und Nutznießer eines Krieges, der mehr als 50 Millionen Menschen das Leben kostete. Die Freude über die Befreiung wich bald der Ernüchterung über die Halbherzigkeit der Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Entkartellisierung….Mit dem Ende der Systemkonkurrenz veränderten sich in den 90er Jahren auch Strategie und Taktik in der Verfolgung des Ziels einen „Platz an der Sonne“ zu erringen. Deutschland sollte endlich „aus dem Schatten treten“…. Ergebnis dieses Turbo-Kapitalismus ist die millionenfache Flucht von Menschen aus der südlichen Erdhälfte vor der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, Hunger und Bürgerkrieg. Sie suchen Zuflucht in unserer vermeintlich sicheren Welt. …Vielleicht können wir mit unserer Rathausausstellung über den „Europäischen Widerstandskampf gegen den Nazismus“ dazu beitragen, sich auf die gemeinsamen Ziele der Friedensbewegung zurückzubesinnen. Der Friedenskampf ist ohne seine antifaschistischen Wurzeln nicht denkbar. „Menschen seid wachsam“!
Auszug BAF 02./03.2015

Ausstellung „Europäischer Widerstandskampf gegen den Nazismus“

18. Dezember 2014

Am 21. Januar 2015 um 18.30 Uhr wird Ausstellung „Europäischer Widerstandskampf gegen den Nazismus“ im Bremer Rathaus eröffnet. Es sprechen der Schirmherr der Ausstellung, Bürgermeister Jens Böhrnsen, und die beiden Ausstellungsmacher: Jean Cardoen, Historiker am Institut des Vétérans-INIG, Brüssel/Belgien, und Dr. Ulrich Schneider, Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR).

Die Ausstellung ist dann vom 22. Januar bis 5. Februar täglich 10.00-18.00 Uhr in der Unteren Rathaushalle zu sehen, am 6. Februar bis 13 Uhr.
Die dreisprachige Ausstellung gibt auf 50 Tafeln in Bildern, reproduzierten Dokumenten und knappen Texten einen Einblick in den Kampf gegen den Nazismus, die nationalen Besonderheiten des Kampfes in den verschiedenen Ländern.
An Film- und Hörstationen berichten Frauen und Männer von unterschiedlichen Formen des Widerstands und es kommen Lieder zu Gehör.
Weitere Information enthält der Flyer, der hier zum Download bereit steht.

Zusatz-Ausstellung „Das Dritte Reich“

Erstmalig in Bremen sind auch Zeichungen von Heinrich Vogeler mit Versen von Johannes R. Becher zu sehen, die 1934 in Moskau als Broschüre veröffentlicht wurden.

Flyer zur Ausstellung

Ausstellungsplakat

Verschwunden in Deutschland

24. November 2014

Aufmerksam geworden durch einen Artikel im „Wesergeschmier“ fuhr ich am 12.09.14 zum ersten Mal ins „Kuß Rosa“…zu einer Autorenlesung. Imke Müller-Hellmann (Jahrgang 1975) stellte ihr erstes Buch vor – bisher hatte sie Kurzgeschichten in Literaturzeitschriften und dem Internet geschrieben und veröffentlicht….Zur Buchvorstellung kamen ca. 80 Leute. Nach Vorstellung der Autorin und ihres Projekts las sie drei Kapitel (Einleitung inklusive alle 188 Namen der Ermordeten und zwei Lebensläufe)…Auf das Thema stieß die Autorin bei einem Friedhofsbesuch in Engerhafe bei Aurich, Ostfriesland, mit ihrer Großmutter, die im Faschismus dort gelebt hat. Dort stehen 2 Gedenksteine mit 188 Namen, die der Künstler und Lehrer Herbert Müller dort gegen lange Widerstände der sonstigen Dorfbevölkerung 1990 dort aufstellen durfte…Im Buch folgen auf die Einleitung und die Beschreibung ihres Neuengamme-Besuchs als Hauptteil 11 sorgfältig recherchierte Lebensgeschichten…..Ich habe das Buch verschlungen und empfehle es wärmstens weiter.
Auszug BAF 12.14/01.15

Unrecht der frühen 60er Jahre wieder gutgemacht

24. November 2014

Großes Interesse fand die Wegebenennung nach unserem Gründungsmitglied Willi Meyer-Buer am 25. September nahe der früheren Gestapo-Folterstätte Ostertorwache. 60 interessierte Bremerinnen und Bremer folgten der Mitteilung des Beirats Bremen-Mitte. „Politiker der KPD, Verfolgter des NS-Regimes, 1946-1959 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft“ steht neben seinen Lebensdaten auf dem ergänzenden Zusatzschild. Sehr einfühlsam schilderte sein langjähriger Freund und Verteidiger Dr. Heinrich Hannover ihre erste Begegnung. Recht deutlich war seinen Worten zu entnehmen, dass unser Kameraden Willi für seine parlamentarische wie außerparlamentarische Arbeit von allen Seiten Ansehen und Respekt gezollt wurde….Robert Bücking schilderte die Diskussionen im Beirat über den Politiker und Widerstandskämpfer Willi Meyer Buer. „Lange überfällig“ sei die Würdigung von Willi Meyer Buer….Nach Enthüllung des Straßenschilds durch Beiratsmitglieder lauschten die gut 60 Anwesenden den einfühlsam vorgetragenen Liedern Michael Zachcials (Musikgruppe Grenzgänger) und seiner ihn begleitenden Cellistin Lina Cordes aus dem Widerstand in den Konzentrationslagern Dachau, Sachsenhausen, Esterwegen.
Auszug BAF 12.14/01.15

In den Tod geschickt

24. November 2014

18 Stolpersteine wurden am 30. September in der Mitte Bremens verlegt. Ein großer Teil erinnert an Bremer Juden, die am 18. November 1941 nach Minsk deportiert und deren Leben dort aller Wahrscheinlichkeit nach binnen eines halben Jahres ausgelöscht wurde. Anderen gelang zeitweise die Flucht ins benachbarte Ausland, doch schließlich wurden sie nach Auschwitz, Treblinka, Theresienstadt, Bernburg, Sachsenhausen oder ins Warschauer Ghetto gebracht und ermordet…Gedacht wurde am 30. September einer weiteren Gruppe Menschen, die der Euthanasie zum Opfer fielen, nachdem die Klinikleitung sie nach der schweren Bombardierung Dezember 1943 als schwer pflegebedürftig aus Ellen nach Meseritz/Obrawalde in den Tod verlegen ließ. Sie starben durch Spritzen, Nahrungsentzug oder Vorenthalten von Pflege.
Auszug BAF 12.14/01.15

O Deutschland, bleiche Mutter!

17. November 2014

Über den Umgang mit Fritz Bauer, der Auschwitz vor Gericht brachte

Nichts gehört der Vergangenheit an,
alles ist noch Gegenwart
und kann wieder Zukunft werden.
(Fritz Bauer 1964)

Es war Volker Hauff, ein Mann aus der schwäbischen Heimat Fritz Bauers, der 1989 als sozialdemokratischer Oberbürgermeister von Frankfurt am Main die Idee hatte, ein wissenschaftliches Institut zur Erforschung des Holocaust ins Leben zu rufen und nach seinem Landsmann zu benennen. Gegründet wurde das Institut 1995. Nach eigener Aussage fühlt es sich dem Andenken des hessischen Generalstaatsanwalts und Initiators des Auschwitz-Prozesses, Fritz Bauer, verpflichtet.

Dem von den Nazis verfolgten Demokraten und Patrioten ging es nicht in erster Linie darum, Beteiligte an den Verbrechen der Nazis zur bestrafen, viel wichtiger war ihm, den Menschen die Augen zu öffnen für die Wurzeln des Bösen, wie er es nannte. Millionen Deutsche haben zu diesem Bösen geschwiegen, Hunderttausende haben es aktiv unterstützt, darunter die gesamte deutsche Richterschaft. Sie fürchtete Fritz Bauer, der das andere, das bessere Deutschland verkörperte, am meisten und verachtete ihn als Nestbeschmutzer. Er machte den Mitmachern von einst und ihren Alumnen ein schlechtes Gewissen, er war ihnen ein Stachel im Fleisch – und ist es 46 Jahre nach seinem Tod immer noch.

Unbeliebt machte sich Fritz Bauer bereits drei Jahre nach seiner Rückkehr aus der Emigration durch die von ihm 1952 erkämpfte Feststellung der Dritten Großen Strafkammer des Braunschweiger Landgerichts, der nationalsozialistische Staat sei „kein Rechtsstaat, sondern ein Unrechtsstaat“ gewesen. Er befreite die Widerstandskämpfer des 20. Juli damit vom Vorwurf des Landesverrats. Aber nicht alle dachten so. 1956 kam der Bundesgerichtshof zu dem Schluss, auch der nationalsozialistische Staat habe das Recht auf Selbstbehauptung gehabt und sprach einen ehemaligen SS-Richter frei, der die Widerstandskämpfer um Admiral Canaris und Dietrich Bonhoeffer zum Tode verurteilt hatte.

Nicht nur aus den Reihen der Richterschaft schlug Fritz Bauer Ablehnung und Hass entgegen, auch die CDU rieb sich immer wieder an ihm. Seine Absage an blinden Gehorsam gegenüber staatlicher Gewalt war ihr suspekt. Ein wissenschaftliches Institut nach Fritz Bauer zu benennen, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Das von der CDU regierte Land Rheinland-Pfalz verbot die Verteilung einer Broschüre an den höheren Schulen des Landes, in der sich Fritz Bauer zu den Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns äußerte. Anonyme Gutachter hatten den Inhalt im Auftrag des CDU-Kultusministers Eduard Orth als „sachlich fragwürdig und von einseitiger Betrachtungsweise diktiert“ bezeichnet. Zur selben Zeit wurde an den Schulen ein Geschichtsbuch benutzt, in dem die Verfolgung der Juden durch die Nazis mit sieben Zeilen abgetan wurde.

Der spätere Bundeskanzler Helmut Kohl hielt Fritz Bauer 1962 entgegen, der zeitliche Abstand sei noch zu kurz für ein abschließendes Urteil über das „Dritte Reich“. Der hessische CDU-Vorsitzende Wilhelm Fay unterstellte Bauer im Zusammenhang mit dem von ihm eingeleiteten Verfahren gegen den Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Hans Globke, Querverbindungen zur DDR, für einen Mann in gehobener Position eine geradezu tödliche Anschuldigung.

Als Hessen 1999 an die CDU fiel und Roland Koch Ministerpräsident wurde, sahen sich die Christdemokraten unversehens in der Verantwortung für das mit öffentlichen Mitteln geförderte Fritz-Bauer-Institut. An Geld haben sie es in der Folgezeit nicht mangeln lassen, aber politisch schlug der Wind nach dem Eindruck von Insidern um. Im Institut machte sich eine Anti-Bauer-Stimmung breit. Ihren Niederschlag fand sie erstmals 2005 in dem Artikel eines Instituts-Mitarbeiters, der den Auschwitz-Prozess insgesamt in Frage stellte. Unter der Überschrift „Täterexkulpation und Opfergedenken“ vertrat der Leiter des Archivs und der Dokumentation, Werner Renz, darin die Ansicht, die Angeklagten hätten auf der letzten Stufe eines Geschehens gestanden, für das sie nicht verantwortlich gewesen seien. Eine Bestrafung zum Zweck der Vorbeugung sei nicht notwendig gewesen, da die Angeklagten ähnliche Verbrechen nicht mehr hätten begehen können und ihre Treue gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat außer Zweifel stehe.

Der wissenschaftliche Beirat des Instituts war im Gegensatz den üblichen Gepflogenheiten vorher nicht gehört worden. Sein Vorsitzender Joachim Perels verfasste eine Erwiderung, deren Veröffentlichung der damalige Institutsdirektor Dietfried Krause-Vilmar verbot. „Diesen Artikel werde ich im nächsten Newsletter nicht abdrucken“, schrieb er dem Vorsitzenden des Beirates. „Dies gilt auch für den Fall, dass Ihre Kritik sachlich zutreffend ist, worüber ich nicht zu urteilen vermag.“ Jahre später räumte Krause-Vilmar ein: „Ob ich hier richtig gehandelt habe, ist umstritten“. Der Affront richtete sich schließlich nicht nur gegen den Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirates, sondern auch gegen den Sohn eines von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfers.

Joachim Perels wurde – wie er sich ausdrückte – aus dem wissenschaftlichen Beirat hinausbefördert. Der Verfasser des umstrittenen Artikels konnte bleiben. Ermutigt durch die Rückendeckung von oben veröffentlichte Renz in den folgenden Jahren weitere Aufsätze mit kritischen Äußerungen über Fritz Bauer und den Auschwitz-Prozess. Einer davon veranlasste den ehemaligen Untersuchungsrichter im Auschwitz-Verfahren, Heinz Düx, zu einem Protestbrief an das Fritz-Bauer-Institut. Nach seinem Eindruck enthielt der Artikel Elemente, die als Beginn der Demontage und Desavouierung Fritz Bauers gedeutet werden könnten. Gemeint war ein Aufsatz von Renz mit der Überschrift „Fritz Bauer zum Zweck der NS-Prozesse. Eine Rekonstruktion“.

Im Gegensatz zu der Duldung, auf die Werner Renz setzen konnte und anscheinend immer noch setzen kann, zeigte das Institut der international angesehenen Regisseurin Ilona Ziok die kalte Schulter. Ihr Fritz-Bauer-Film „Tod auf Raten“ lasse – so hieß es – Kritiker des hessischen Generalstaatsanwalts nicht zu Wort kommen. Werner Renz bezeichnete den von der deutschen Filmbewertungsstelle einstimmig mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ ausgezeichneten Film im institutseigenen Publikationsorgan als „medialen Missgriff“. Ähnliche Erfahrungen musste die Historikerin und ehemalige stellvertretende Direktorin des Fritz-Bauer-Instituts, Irmtrud Wojak, machen. Ihre Biographie über den Namensgeber des Instituts, mit der sie sich habilitierte, wird – wie der Film von Ilona Ziok – vom Fritz-Bauer-Institut boykottiert, weil sie nicht genügend Distanz zu Fritz Bauer wahre. Die Exponate einer von ihr betreuten und anfänglich hoch gelobten Ausstellung über den Auschwitz-Prozess wurden nach kurzer Zeit unter Hinweis auf angeblich fehlende Lagerkapazität vernichtet.

Gefördert wurde vom Fritz-Bauer-Institut eine Biographie, die Fritz Bauer als innerlich zerrissenen Homosexuellen darstellt, der seine politische Überzeugung nach Bedarf gewechselt und seine Freilassung aus Nazi-Haft mit einem Treuebekenntnis zu Hitler erkauft habe, der seine jüdische Herkunft verleugnet und nie ein Wort gegen den Antisemitismus in Deutschland gesagt, ja der nicht einmal gewusst habe, auf welchem Arm die Auschwitz-Opfer ihre Häftlingstätowierung trugen. Der dienstälteste Generalstaatsanwalt der Bundesrepublik, Erardo C. Rautenberg nannte diese Biographie in Anspielung auf den Boulevardstil des Verfassers das am besten geschriebene schlechte Buch, das er bisher gelesen habe. Es zeichne ein Zerrbild von Fritz Bauer, urteilte er unter der Überschrift „Die Demontage des Generalstaatsanwalts Dr. Fritz Bauer“ in der Zeitschrift „Neue Justiz. (Nr.9/2014).

Einen Teil der Vorwürfe machte sich das Fritz-Bauer-Institut in einer von der Historikerin Monika Boll gestalteten Ausstellung zu Eigen. Obwohl ein Zeitzeuge die Verantwortlichen auf den denunziatorischen Charakter des kommentarlos gezeigten und unverkennbar von den Nazis fabrizierten angeblichen „Treuebekenntnisses“ hinwies, wurde es nicht entfernt, sondern wird ab 9. Dezember im Gebäude des thüringischen Landtags zum Schaden Fritz Bauers wieder gezeigt werden. Gäbe es ein Dokument mit seiner Unterschrift, hätten die Nazis keine Sekunde gezögert, es der Öffentlichkeit zu präsentierten. Dass das nicht geschehen ist, spricht für sich.

Die von der CDU unterdrückte Broschüre mit Fritz Bauers Analyse über „Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns“ verstaubt seit Jahrzehnten im Archiv des Fritz-Bauer-Instituts. Wie Udo Dittmann, der Leiter eines Fritz-Bauer-Freundeskreises 2012 feststelle musste, ist die Broschüre mit dem Vortrag, den der hessische Generalstaatsanwalt auf Wunsch des Landesjugendringes von Rheinland-Pfalz 1960 in Mainz gehalten hat, in Deutschland nicht erhältlich. Erst bei einem Anbieter in den USA habe er schließlich zwei Exemplare entdeckt.

„O Deutschland, bleiche Mutter! Wie haben deine Söhne dich zugerichtet“, klagte Bertold Brecht, als er das nationalsozialistische Deutschland 1933 verließ. Den richtigen Umgang mit denen, die sich der Nazityrannei widersetzten, hat Deutschland immer noch nicht gefunden. „Sie opferten Leben und Ehre. Hat man ihnen wenigstens die Ehre wiedergegeben?“ fragte Erich Kästner 1954. „Ihre mit Gewissensqualen und dem Tod besiegelte, mit Folter und Schande besudelte, am Fleischerhaken aufgehängte menschliche Ehre und wahre Würde? Hat man versucht, diese Männer und Frauen in unserer vorbildarmen Zeit zu dem zu machen, was sie sind? Zu Vorbildern?“

Zwei Verfassungsorgane, Bundespräsident Joachim Gauck, und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, haben kürzlich dazu aufgerufen, die Verdienste Fritz Bauers in würdigem Andenken zu bewahren. Als Vorbild haben sie ihn nicht empfohlen.

„Das Moorsoldatenlied wurde nicht gesungen“

17. November 2014

Gespräch mit dem Zeitzeugen Kurt Nelhiebel zum 25. Jahrestag des Mauerfalls
Wie gehen die Deutschen mit historischen Gedenktagen um und welches Gewicht messen sie ihnen politisch jeweils bei? Als sich 1970 das Ende des Naziregimes zum 25. Mal jährte, hat sich die Bundesrepublik Deutschland nicht monatelang auf diesen Tag vorbereitet, so wie das beim 25. Jahrestag des Endes der DDR der Fall war. Wie erklärt sich dieser Unterschied? Bedeutet den Deutschen der Sieg über ein kommunistisches Regime mehr, als der Sieg über das Naziregime, das Europa in Schutt und Asche gelegt und Schlachthäuser für Menschen errichtet hat. Claudia S c h u l m e r i c h sprach darüber für WELTEXPRESSO mit dem deutschen Zeitzeugen Kurt Nelhiebel. (Abrufbar unter http://www.kulturexpress.de/wpo/ )

Herr Nelhiebel, Sie haben den Untergang zweier Diktaturen miterlebt, erst das Ende des Naziregimes, dann das Ende des SED-Regimes. Was geht Ihnen am 25. Jahrestag des Mauerfalls durch den Kopf?

Ich denke an einen anderen Jahrestag. Gesungen, wie jetzt Wolf Biermann im Deutschen Bundestag zu Ehren der SED-Gegner gesungen hat, gesungen wurde zu Ehren der Nazi-Gegner am 25. Jahrestag der Kapitulation Hitler-Deutschlands im Bundestag nicht. Das „Moorsoldatenlied“, das vom Leid der KZ-Häftlinge handelt, hätte zwar gut gepasst, so wie jetzt das Lied „Ermutigung“ von Wolf Biermann gut gepasst hat. Aber auf die Idee ist niemand gekommen.

In welchem Rahmen hat die Feier damals stattgefunden?

Tagelang gefeiert wurde damals nicht. An einem Tag war alles erledigt, eine 15 Kilometer lange Lichter-Installation gab es natürlich auch nicht. Aber immerhin hat zum ersten Mal ein Bundeskanzler, es war Willy Brandt, im Bundestag eine Erklärung zum 8. Mai abgegeben. Hauptsächlich ging es darin um die Aussöhnung mit dem Osten. Auch Richard von Weizsäcker, der für die CDU gesprochen hat, stellte das in den Mittelpunkt. Fünf Jahre später hat er dann als Bundespräsident erstmals den 8.Mai als Tag der Befreiung bezeichnet. Daran hatten viele zu schlucken.

Zum Jahrestag des Mauerfalls hieß es, die Aufarbeitung des DDR-Unrechts sei noch nicht abgeschlossen und die Opfer dürften auf keinen Fall vergessen werden. Wie hat man sich am 25. Jahrestag der deutschen Kapitulation zur NS-Vergangenheit verhalten?

Das war damals kein Thema. In meinem Archiv habe ich dazu nur zwei Artikel gefunden. In dem Bericht über die Bundestagssitzung steht nichts über NS-Verbrechen und auch nichts über die Leute, die Widerstand gegen Hitler geleistet haben. Über den Widerstand der Bürgerrechtler in der DDR wird jetzt viel mehr geredet und geschrieben. In dem anderen Artikel heißt es, dass Bundespräsident Gustav Heinemann zum 25. Jahrestag der Beendigung des zweiten Weltkrieges erklärt hat, von deutschem Boden dürfe nie wieder Krieg ausgehen.

Das sieht der jetzige Bundespräsident etwas anders. Wie beurteilen Sie das?

Dass Herr Gauck als ehemaliger Pastor meint, wir müssten weltweit auch militärisch mehr Verantwortung übernehmen, ist schon komisch, aber der Bundespräsident hält sich ja auch sonst politisch nicht zurück und wird deshalb sogar gelobt. Da musste sich Heinemann als Bundespräsident ganz andere Dinge anhören. Richard Stücklen von der CSU hielt ihm vor, wenn er Zweifel an seiner Unparteilichkeit aufkommen lasse, werde sich der Bundestag erstmals mit dem Verhalten eines Bundespräsidenten befassen müssen.

Zurück zum Fall der Mauer und zum Thema Unrechtsstaat. Die DDR wird häufig mit Nazi-Deutschland verglichen. Sie haben die Hitlerzeit selbst erlebt und gehören zu Verfolgten des Naziregimes. Wie finden Sie den Vergleich?

Dazu kann ich nur sagen: die DDR hat weder den zweiten Weltkrieg angefangen noch hat sie sechs Millionen Juden umgebracht. Ihre Grenzsoldaten haben – schlimm genug – 136 Tote an Mauer und Stacheldraht auf dem Gewissen – ein einziger Nazirichter hat 231 Todesurteile gefällt und wurde mit der Begründung freigesprochen, ihm sei ein strafbares Verhalten nicht nachzuweisen. Der Mann hieß Hans-Joachim Rehse.

Aber die Menschen in der DDR hatten doch allen Grund, sich zu freuen, dass sie mit ihren Montagsdemonstrationen das Ende des SED-Regimes herbeigeführt haben. Wenn Sie in der DDR gelebt hätten, wie hätten Sie sich verhalten?

Mich haben die Wachtürme an der Grenze der DDR immer an die Wachtürme rund um die Konzentrationslager der Nazis erinnert. Ich fand das abscheulich und hätte dort nicht leben wollen. Ich frage mich allerdings, warum die Deutschen zwar Montagsdemonstrationen gegen die Kommunisten und das SED-Regime veranstaltet haben, nicht aber gegen die Nazis und das Hitler-Regime.

Pax Americana contra Islamischer Staat

17. November 2014

Im Dezember 2011 hatte US-Präsident Barack Obama den von seinem Vorgänger 2003 entfachten Irakkrieg zum „Er-folg“ erklärt und behauptet, die USA würden nach dem Abzug ihrer Truppen einen „souveränen, stabilen und selbstän-digen Irak“ hinterlassen. 2013 erinnerte Obama an die 4800 im Irak gefallenen amerikanischen Soldaten und ehrte „den Mut und die Entschlossenheit von mehr als 1,5 Millionen Angehörigen des US-Militärs, die eines der bemerkenswertes-ten Kapitel des Militärdienstes geschrieben“ hätten. Krasse Fehlurteile, Zeichen unglaublicher Ignoranz und Selbstge-rechtigkeit – betrachtet man die verheerenden Folgen amerikanischer Irakpolitik in den letzten 25 Jahren.
Bereits im ersten Irakkrieg 1991 wurde ein großer Teil der Infrastruktur des Landes zerstört. Während der Wirt-schaftssanktionen von 1991 bis 2003 starben nach Schätzungen von UN-Organisationen mehr als eine Million Men-schen im Irak – vor allem Kleinkinder, die nicht ausreichend mit Medikamenten und Lebensmitteln versorgt werden konnten. Die Opferzahlen für den Irakkrieg von 2003 und die Jahre der Besatzung belaufen sich auf bis zu eine Million Zivilisten, etwa 40.000 irakische Soldaten und eine unbekannte Zahl Verwundeter (s. auch Ossietzky 8/14). Folgen ei-nes Krieges, den die USA für die „irakische Freiheit“ führte. Rund fünf der 33 Millionen Iraker wurden zu Flüchtlingen, die Infrastruktur erneut weitgehend zerstört. Die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser und Strom verschlechterte sich dramatisch, und rund sieben Millionen Iraker leben in einem der potentiell reichsten Länder der Welt unter der Ar-mutsgrenze. Nach den Recherchen des in Kanada lebenden Autors Asad Ismi wurden „unter dem Diktat der USA große Bereiche der irakischen Wirtschaft privatisiert. Dadurch kann das irakische Volk nicht mehr direkt von seinen Ressour-cen profitieren … Der Gewinn aus dem Ölverkauf fließt jetzt hauptsächlich in die Taschen von Ölkonzernen aus den USA und anderen westlichen Staaten und in die Taschen des [im August zurückgetretenen; F. K.] Maliki-Regimes.“ Zu-dem spalteten die neuen Kolonialherren das Land nach dem römischen Prinzip des „Teile und herrsche!“ unheilbar in Kurden, Schiiten und Sunniten. Die Auflösung der irakischen Armee, das Verbot der seit 1968 regierenden Baath-Partei sowie die einseitige Förderung der schiitischen Bevölkerung führten zu dem bis heute andauernden Bürgerkrieg.
Vor dem Hintergrund der Zerstörung des Irak, Afghanistans, Libyens und seit über drei Jahren Syriens bekamen sun-nitische Al-Kaida-Gruppen viel Zulauf oder bildeten sich neu. Im Widerspruch zur US-Propaganda wurde im Irak erst-mals 2004 eine „Gemeinschaft für den Dschihad“, den „Heiligen Krieg“, gegründet, die sich ein Jahr später umbenannte in „Al-Kaida im Irak“; ab Oktober 2006 hieß sie „Islamischer Staat im Irak“ (ISI). 2013 bildeten ISI und die syrische Nusra-Front den „Islamischen Staat im Irak und Syrien“ (ISIS), und seit Juni dieses Jahres nennt sich die Organisation nur noch „Islamischer Staat“ (IS). Am 29. Juni 2014 rief der IS das Kalifat und den eigenen Anführer Abu Bakr al-Baghdadi zum Kalifen aus. Das Kalifat soll zunächst Syrien und den Irak umfassen, letztlich aber auch Jordanien, Paläs-tina, Israel und den Libanon. Für Charles Lister, Experte des politischen Islam, ist dieser Vorgang seit den Anschlägen vom 11. September 2001 das wohl bedeutsamste Ereignis innerhalb des internationalen Dschihadismus. Die Idee des Kalifats geht auf die Frühzeit des Islams zurück, als die Anhänger des Propheten Mohammed nach seinem Tod ein Großreich errichteten mit dem Kalifen als politischem und religiösem Oberhaupt. Von vielen Muslimen wird dieses frühe Kalifat, das von 749 bis 1258 bestand, als das goldene Zeitalter des Islams angesehen, da die Mohammedaner Gebiete von Spanien bis Pakistan beherrschten. Ein islamischer Staat soll nach den Grundsätzen des Islams aufgebaut und re-giert werden. Nationale Grenzen zwischen Muslimen kennt er nicht.
Laut Wikipedia – Stand vom 4. September 2014 – haben die Islamisten in den letzten zehn Jahren im Irak über 6000 Menschen getötet; im syrischen Bürgerkrieg kämpfen sie gegen die Regierung Assad, die „freie syrische Armee“ sowie gegen die Kurden. In Syrien kontrollieren sie einige Regionen, ohne daß westliche Medien und Politiker dies kritisiert, geschweige denn Mitgefühl mit von ihnen getöteten Menschen gezeigt hätten. Erst seit ISIS (inzwischen IS) auch im Irak auf dem Vormarsch ist, er Mossul, die zweitgrößte, ölreiche Stadt des Landes, eroberte, er Christen und die religi-öse Minderheit der Jesiden verfolgt und besonders seit der Hinrichtung von zwei amerikanischen Journalisten und einem britischen Entwicklungshelfer ist die öffentliche Betroffenheit groß. Da ist von einer „absolut ekelhaften, verachtenswer-ten Tat“ die Rede, von „barbarischen Mördern“, „Monstern“ oder der „Verkörperung des Bösen schlechthin“. US-Vizepräsident Joe Biden meinte: „Wir werden die Täter bis zu den Toren der Hölle verfolgen, bis sie zur Rechenschaft gezogen werden. Denn die Hölle ist der Ort, wo sie sein werden.“ Präsident Obama sagte in seiner Rede „Strategie zur Bekämpfung der Terrormiliz Islamischer Staat“ am 10. September, die Dschihadisten würden ausgeschaltet, „wo im-mer sie sind“. Um das zu erreichen, werde seine Regierung die Luftangriffe auf IS-Kämpfer im Irak verstärken und sie gegen IS auf Syrien ausweiten. Es werde aber Zeit brauchen, „ein Krebsgeschwür wie den IS zu beseitigen.“ (Amerika Dienst, 10.9.2014)
Beispielhaft zeigen diese Reaktionen: Mitleid empfinden die Regierenden in den USA und der westlichen Welt vor allem dann, wenn eigene Opfer zu beklagen sind. Eine erschreckende Gleichgültigkeit herrscht jedoch vor, wenn ein fremder, souveräner Staat wie der Irak auf gesetzlose Weise völlig zerstört wird und Menschen tausendfach getötet werden. Unter anderem sollte das Bild von Saddam Hussein als dem „neuen Hitler“ und „Schlächter von Bagdad“ diese Politik rechtfertigen. In der Geschichte gibt es unzählige Beispiele für die fatalen Folgen von ausgeprägten Feindbil-dern. Ich denke nur an das von den wilden, nicht zivilisierbaren, mordenden Indianer-Horden, nach dem Motto: „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.“ Es half bei der Vernichtung von unzähligen nordamerikanischen Ureinwohnern im Laufe von zwei Jahrhunderten als Voraussetzung der amerikanischen Staatsgründung – mit Hilfe von Kriegen, Völker-mord, Zwangsumsiedlungen, eingeschleppten Krankheiten und dem Bruch aller ausgehandelten Verträgen. Diese Ver-brechen sind bis heute nicht gesühnt. Und bis heute glauben die USA und ihre Verbündeten immer die Guten und immer im Recht zu sein, wenn sie „Freiheit“, „Demokratie“, „Menschenrechte“ und „Zivilisation“ auf ihre Fahnen schreiben, obwohl sie imperiale Kriege führen, um fremde Rohstoffe und Arbeitskräfte billig auszubeuten sowie neue Märkte und Investitionsgebiete zu erobern. Und sie glauben, selbst dann noch unschuldig zu sein, wenn dabei Zivilisten ermordet und Menschen gefoltert werden. Die werden dann als „Kollateralschäden“ bei der Durchsetzung vermeintlich hehrer Ziele abgebucht.
Auch zeigen die „Bleichgesichter“ wenig Rührung, wenn aufgrund der durch Kolonialismus und Imperialismus entstan-denen Weltwirtschaftsordnung jährlich 30 Millionen Menschen verhungern oder verdursten. Forderungen nach mehr Ge-rechtigkeit innerhalb des Kapitalismus werden die riesigen Probleme auf der Welt von heute jedoch nicht lösen. Not-wendig ist eine neue Form der Wirtschaft, die allen Menschen auf der Welt ein Leben frei von Armut und Hunger ge-währleistet. Darauf hinzuarbeiten, wäre ein entscheidendes Mittel, zukünftigem Terror entgegenzuwirken. Doch die westlichen Staaten tun alles, ihre Luxusinseln, auf denen nur 13 Prozent der Weltbevölkerung leben, nicht nur zu ver-teidigen, sondern weiter auszubauen. Kriege spielen dabei eine immer größere Rolle. Aktuell die gegen Syrien und den „Islamischen Staat“ im Irak; sie dürften die katastrophale Lage in beiden Ländern noch einmal dramatisch verschlech-tern, verbunden mit der Gefahr, daß der gesamte Nahe und Mittlere Osten im Blut ertrinkt. Obama ignoriert die Ge-fahr. In seiner Rede vom 10. September lobte er „die amerikanische Führungsstärke als die Konstante in einer unsiche-ren Welt. Es sind die Vereinigten Staaten, die die Fähigkeit und den Willen haben, die Welt gegen Terroristen zu mo-bilisieren“. Und nachdem er die „unendlichen Segnungen“ Amerikas für die Welt gepriesen hatte, sagte er: „Von Europa bis Asien, von den entlegensten Orten in Afrika bis zu den kriegsgeschüttelten Hauptstädten des Nahen Ostens stehen wir für Freiheit, Gerechtigkeit und Würde. Dies sind die Werte, die unser Land seit seiner Gründung leiten.“ (Amerika Dienst) Bei soviel Blindheit gegenüber dem eigenen Tun ist das Festhalten am Konzept einer „Pax Americana“ die größte Bedrohung für den Weltfrieden.
Ferdinand Krogmann Ossietzky, Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft, Heft 20/2014

„Arbeit macht frei“ mit Goethe in Bremen und in Dachau.

17. November 2014

„Goethe in Dachau“- das richtige Thema am Goetheplatz in der Villa des ehemaligen Intendanten des Bremer Schauspielhauses am Goetheplatz? Welche Herausforderung in der Stadt von Rudolf Alexander Schröder, dem Schriftsteller und Übersetzer, dem national-konservativen Goethe- Verehrer und Leiter der Kunsthalle. Ein Ehrenbürger Bremens, den freilich die „Ungnade der frühen Geburt“ langsam einzuholen droht, weil er und seine Freunde um den ersten Bundespräsidenten Theodor Heuß der „Gnade der späten Geburt“ (Ex-Kanzler Kohl) nicht teilhaftig wurden. Gewiss, auch Repräsentanten der Wissenschaft und des Bürgertums gehörten zum Widerstand. So wurden u.a. drei prominente Mitglieder der Berliner Mittwochgesellschaft Opfer des NS-Terrors: Johannes Popitz; Ulrich von Hassel und Ludwig Beck. Schröder gehörte nicht dazu, auch wenn er sich mit Manfred Hausmann nach 1945 zum Anhänger der „inneren Emigration“ stilisierte.
Von dem Goethe-Verehrer war kein Einwand zu hören, dass „Arbeit macht frei“, dieses missbrauchte Goethe-Wort aus dem Faust, die Eingangstore von Auschwitz und Dachau „schmückte“. Aber, was er wahrscheinlich nicht wusste: In den Baracken der Lager konnte Goethe durchaus zur Ermutigung und zum Überleben beitragen. Die Konzentrationslager waren als Einrichtung der Ausbeutung und Vernichtung zugleich Orte, in denen Beethoven und Mozart auf dem Programmzettel standen und Goethes Faust gespielt wurde. Es erklang gelegentlich entartete Musik und es wurde zum Swing oder Jazz getanzt. Ein „Nigger-Gesang“, der im „Dritten Reich“ verboten war und dazu führte, dass Schüler nicht nur aus Hamburg, Lübeck und Bremen deshalb ins Jugendkonzentrationslager Moringen bei Göttingen deportiert wurden. Der dafür verantwortliche Oberschulrat wurde nach 1945 einer meiner Lehrer in Lübeck. Es war der einstige Hamburger Gauschulungsleiter Albert Henze, nach 1945 als „Mitläufer“ eingestuft und ab Ostern 1952 wieder Im Schuldienst, eingestellt vom Lübecker Schulsenator Lembke, dem selbst schwer belasteten späteren Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein.
Gewiss, das Konzentrationslager war kein Konzertlager. Aber in den deutschen KZ waren Musik und Literatur nicht ausgelöscht. Fast jedes KZ hatte ein Orchester und eine Bibliothek. Was für die Bürger in Deutschland verboten war, das war den Häftlingen erlaubt. Sie konnten die verbrannten Bücher der deutschen Dichter und Denker lesen und „entartete“ Musik“ von Schönberg hören, gespielt in Auschwitz von seinem Schüler Gideon Klein, der am 18. Januar 1945, dem Tag der Befreiung der Lager, aus Krankheitsgründen zurückbleiben musste und dort starb, bevor die sowjetische Armee Auschwitz am 27. Januar 1945 befreite. Unter den schwierigsten Bedingungen und oft illegal bot sich so den Häftlingen die Möglichkeit, an ihren eigenen Ideen und Fähigkeiten festzuhalten, psychisch zu überleben, widerständig zu bleiben. Erich Klann, der aus Lübeck stammende und ins KZ Sachsenhausen deportierte spätere Direktor des Arbeitsamtes der Hansestadt, organisierte z.B. mit dem illegalen Lagerleiter von Sachsenhausen Harry Naujoks aus Hamburg und dem Bremer Leiter der Häftlingsbücherei Edgar Bennert nach dem Massenmord an 18. 000 sowjetischen Soldaten und der Exekution von jüdischen Häftlingen Musikabende und Lesungen von Goethe- und Tolstoi-Stücken. Sie wollten damit die Moral derjenigen aufrecht erhalten, die angesichts dieser Morde und Untaten verzweifelten. Ein Versuch, die gequälten Häftlinge zu stärken, ihnen Mut zu geben, den Kampf gegen den Faschismus auch und gerade im KZ so lange wie möglich zu führen.
Warum ging die Erinnerung an diese eng mit den Hansestädten verbundenen Männer und Frauen des Widerstands verloren? Zum Beispiel an Edgar Bennert (1890-1960). Er war vor 1933 ein prominenter Schauspieler und Redakteur aus Bremen, der als KPD-Mitglied schon vor 1933 verfolgt wurde. Bennert gehörte zusammen mit seinem Bremer Freund Max Burghardt zum Schauspielensemble des Bremer Stadttheaters und war von 1928 bis 1933 Chefredakteur der Bremer Arbeiterzeitung, der Tageszeitung des KPD-Bezirks Nordwest. Als solcher wurde er schon vor 1933 mehrfach mit Prozessen überzogen und verurteilt. Ähnlich erging es dem Vater von Bürgermeister Hans Koschnick. Beide engagierten sich in der Agitprop-Arbeit der Partei. Edgar Bennert leitete die legendären „Blauen Blusen“. Er gründete an der Wende von 1932 auf 1933 die Marxistische Arbeiterschule Bremen, dem Vorläufer der Masch. Und er leitete mit Eberhard Peters die „Soziologische Studiengemeinschaft“, eine Bildungseinrichtung in Kooperation mit fortschrittlichen bürgerlichen Kräften zur Intensivierung der antifaschistischen Aufklärung. Hier kamen noch vor 1933 Erich Weinert, Erich Mühsam und Alfons Goldschmidt zu Wort.
Als KZ-Häftling in Bremen-Mißler, in Esterwegen und Sachsenhausen setzte Bennert die kulturelle Überlebensarbeit fort, u.a. mit Helmut Bock von der SPD als Regisseur von Theaterstücken von Goethe und Hauptmann im KZ Sachsenhausen. Er spielte im KZ den Faust, Gustav Voss den Wagner und Bock den Mephisto. Und er leitete die Häftlingsbibliothek als Keimzelle des Widerstands im KZ. Nach der Befreiung kam kein Ruf aus Bremen. Aber Bennert wurde Intendant des Mecklenburgischen Staatstheaters in Schwerin. 1955 war er mit seiner legendären Schweriner Inszenierung des „Teufelkreises“ von Hedda Zinner in 11 Städten der BRD zu Gast. Warum nicht in seiner alten Wirkungsstätte Bremen? Lag es am politischen Inhalt dieser mehrfach ausgezeichneten Inszenierung, die unter Verwendung dokumentarischen Materials aus dem Reichstagsbrandprozess die Fehler der Arbeiterbewegung aus Anlass der Machtübertragung an Hitler thematisiert- aus der Sicht der Erzählerin mit jüdisch-österreichischer Herkunft?
Nicht anders und besser erging es zunächst dem Bremer Schauspieler, Regisseur, Theaterleiter und Kulturpolitiker Max Burghardt(1893-1977). 1945 nach Verfolgung und Zuchthaus zurückgekehrt nach Bremen, gehörte er zu denen, die das Theaterleben hier wieder aufbauten. Er verfasste für die Bremer Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus (KGF) einen Grundsatzbeitrag zum „Theater als Spiegel der Zeit“, nachzulesen im „Aufbau“, dem Organ der KGF, Nr.8 vom September 1945: „Aus tiefer Not geboren, dient das Theater der Milderung der Not und der Herstellung der Wahrheit“. Vergeblich wartete der Kommunist Burghardt auf ein Angebot aus Bremen. Er hatte dennoch Glück: Der prominente Theatermann überlebte für kurze Zeit ab Mai 1946 mit Hilfe der britischen Besatzungsmacht als „Roter Intendant“ am Kölner Sender, dem Vorläufer des WDR. Er wurde 1947 Intendant der Leipziger Bühnen, bevor er den ehrenvollen Ruf als Leiter der Deutschen Staatsoper in Berlin erhielt und Präsident des Kulturbundes wurde. Ebenso erging es seinem Freund aus Bremer und Düsseldorfer Jahren, dem KZ- Börgermoor-Häftling Wolfgang Langhoff (Die Moorsoldaten). 1945 zurückgerufen aus dem Exil als Mitglied des Züricher Schauspielhauses in seine Heimatstadt als Generalintendant der Städtischen Bühnen Düsseldorf, musste er Platz machen für den Göring-Freund Gustaf Gründgens, konnte aber seine Weltkarriere als Intendant des Deutschen Theaters in Berlin fortsetzen. Also in jenem Theater, das von 1934 bis 1944 von Gründgens als Staatstheater geleitet worden war . In den offiziellen Darstellungen des Theaterlebens von Bremen tauchen sie bis heute nicht auf. Keine Straße, keine Ehrentafel hält die Erinnerung an sie fest.
Jörg Wollenberg Vortrag am 28.10. 2014 um 20 Uhr in der Villa Ichon

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