Das Bild in der Erinnerung eingegraben

19. März 2015

Es bedurfte einer ganzen Reihe von Schreiben und Gesprächen, bis die Ausstellung „Europäischer Widerstandskampf gegen den Nazismus“ in der Unteren Rathaushalle in Bremen stand….Zum ersten Mal wurde eine deutschsprachige Fassung der 51 Tafeln gezeigt. Die Bilanz: 3.252 Besucher*innen, davon 371 Schüler*innen aus 19 Klassen….Bei der Eröffnung wies Bürgermeister Jens Böhrnsen,die Rechtspopulismus und Antisemitismus hervorbringen…. Jean Cardoen, Direktor des Brüsseler Instituts der Veteranen, wies auf die Vielfalt der Widerstandsformen in den 21 Ländern hin, deren wichtigsten Ereignisse in der Ausstellung zu sehen sind, von der Untergrundpresse in Belgien und den Niederlanden, zu bewaffneten Partisanenaktionen in Griechenland und der Sowjetunion, Fluchtlinien von Piloten mithilfe eines Netzwerks durch das besetzte Europa und der Rettung tausender jüdischer Kinder vor ihrer Vernichtung….Durch Bremer Beispiele wie dem Wahrheitsprozess wegen Verbreitung illegaler Zeitungen zur Aufklärung der Bevölkerung über das wahre Gesicht des Faschismus wurde Widerstand fassbar…Sechzig Einträge im Gästebuch spiegelten das Interesse wider, mehr über die Dimension und Tiefe des Widerstands zu erfahren….Bemängelt wurde allerdings auch, dass befreite Gebiete und zentrale Partisanenaktionen auf manchen Tafeln zu kurz gekommen waren…Der Bremer Widerstand kam vor allem durch zwei Vorträge unseres Kameraden Prof. Dr. Jörg Wollenberg zu Wort….. Weitere Zeitzeugenberichte konnten Interessierte während des Besuchs an Hörstationen und auf Videoclips abrufen.
Auszug BAF04./05.2015

Referat zur Eröffnung der Ausstellung „Antifaschistischer Widerstand in Europa“

9. Februar 2015

Ich freue mich, dass wir die Ausstellung „Antifaschistischer Widerstand in Europa“ hier in Bremen eröffnen können. Und es ist ein angemessener Ort. Wurde doch – wenn ich mich richtig erinnere – vor etwa 40 Jahren ebenfalls in den Räumen des Rathaussaals die große Ausstellung „Widerstand und Verfolgung in Bremen“ gezeigt – eine Ausstellung, die von einem Kuratorium von Einzelpersönlichkeiten getragen wurde, da man es damals vermeiden wollte, politische Kooperation – selbst zu diesem Thema – zu dokumentieren.

Dass diese Ausstellung damals überhaupt möglich wurde, verdankten wir insbesondere dem Engagement derjenigen Frauen und Männer, die selbst im antifaschistischen Kampf gestanden haben, die sich nicht allein für das Thema engagierten, sondern uns als Zeitzeugen zur Verfügung gestanden haben.
Ihre Erfahrungsberichte waren für mich und viele Angehörige meiner Generation – selbst wenn wir familiär nichts mit Antifaschismus zu tun hatten – ein wichtiger Zugang zum Thema, der nicht nur historisch-wissenschaftlich vermittelt war. Ihre Haltung war für uns in gewisser Weise Vorbild und politische Orientierung.

Mit Blick auf diese historische Ausstellung vor 40 Jahren stehen wir heute vor der Herausforderung, dass von diesen Zeitzeugen nur noch wenige unter uns sind und ihre Erfahrungen weitergeben können.

Daher muss die historische Erinnerungsarbeit, die nicht allein auf trockene Faktenvermittlung setzt, eine andere sein. Wir müssen uns mit folgenden Fragen auseinandersetzen:
Wie schaffen wir es, die Erfahrungen und das politische Wirken dieser Menschen, die ihre Freiheit, ihre Gesundheit, oftmals auch ihr Leben für diesen antifaschistischen Kampf riskiert hatten, für Nachgeborene lebendig zu halten?
Wie gelingt es uns als Historiker und als Pädagogen, heutige Jugendliche, für die die Geschichte der NS-Zeit oftmals so fern ist wie die Geschichte der alten Römer, die außerdem eigene politische Erfahrungen und Rezeptionsgewohnheiten mitbringen, mit dem Thema zu konfrontieren und Zugänge zu ihrem Verständnis zu finden?

Angesichts der umfassenden Medialisierung der Kommunikation können Visualisierungen durchaus hilfreich sein. Der Satz: „Ein Bild sagt mehr als 1000 Wort“ gilt natürlich auch hier. Aber die Bilder müssten in ihrer Aussagekraft so sein, dass sie nicht nur allgemeingültige, fertige Antworten geben, sondern auch Nachfragen provozieren – Nachfragen, die zu einer aktiven eigenen Beschäftigung der Betrachter mit den Themen veranlassen. Das ist eine ganz praktische Herausforderung, da es zu vielen Ereignissen des antifaschistischen Kampfes naturgemäß kein Bildmaterial gegeben hat bzw. geben konnte.

So muss eine Präsentation einen „Spagat“ schaffen zwischen Visualisierbarem und notwendigen historischen Erläuterungen. Die Ausstellung, die wir nachher unten in der Rathaushalle offiziell eröffnen werden, versucht diesen Spagat zu leisten.

Sie dokumentiert auf ihren etwa 50 Stellwänden die historische und politische Breite der antifaschistischen Bewegung in Europa. Und versucht mit so knappen Texterläuterungen auszukommen, wie es uns nur möglich erschien.

Um die Betrachter auf die Problematik der Vielfalt und der politischen Breite der Zugänge zum antifaschistischen Handeln einzustimmen, haben wir uns bemüht, in acht Thesen ein Grundverständnis für den Widerstand nachzuzeichnen.
Wir unterstrichen,
dass es vielfältige Gründe und Zugänge zum Widerstand gab,
dass im Widerstand traditionelle politische oder ideologische Spaltungen überwunden wurden,
dass praktische Solidarität mit Verfolgten ein zentrales Element von Widerstand war,
dass der Widerstand eine Sache von Frauen und Männern war,
dass Antifaschismus immer auch Internationalismus bedeutete,
dass der Widerstand zumeist mit einer Zukunftsvision einer anderen, einer gerechteren und friedlicheren Gesellschaft und Welt verbunden war.

Ausgehend von diesem Verständnis konnten wir Informationen zum antifaschistischen Widerstand zu fast allen damals bestehenden Staaten in Europa präsentieren. Dieser Hinweis ist wichtig, denn man findet in der Ausstellung Tafeln zu Jugoslawien, zur Tschechoslowakei und zur Sowjetunion, aber nicht zu den heutigen Nachfolgestaaten. Lücken bestehen nur bezogen auf Finnland, Schweden und die Schweiz. Natürlich gab es auch in diesen Ländern antifaschistische Kräfte, insbesondere aus dem Exil. Da diese Länder – entweder als neutrale Staaten oder als separate Kriegspartei – jedoch nie vom deutschen oder italienischen Faschismus okkupiert waren, findet man dort jedoch keine originäre antinazistische Struktur.

Für alle anderen Länder konnten wir dank der Unterstützung von antifaschistischen und Veteranenverbände aus den Regionen sowie musealer Einrichtungen, die sich mit dem Thema beschäftigen, eindrucksvolles Bildmaterial und andere Dokumente zusammentragen.
Auch wenn uns die platz-mäßige Begrenzung, die sich durch zumeist ein bzw. zwei Stelltafeln pro Land ergaben, einschränkten, haben wir uns – ich denke erfolgreich – bemüht, die wichtigsten Stichworte der antifaschistischen Geschichte der jeweiligen Ländern angemessen zu dokumentieren.
Dabei haben wir nicht nur allgemeine historische Informationen aufgelistet, sondern besonders diejenigen Ereignisse in den Blick genommen, die als gesellschaftliches Narrativ das historische Selbstverständnis der jeweiligen Nation berühren.
Dazu gehört beispielsweise in den Niederlanden der Dockarbeiter-Streik vom 25. Februar 1941.
Dazu gehört der militärische Sieg der sowjetischen Streitkräfte im Februar 1943 in Stalingrad, ein Ereignis, das mehr als eine militärstrategische Konsequenz hatte und weit über die UdSSR als Symbol für die Besiegbarkeit des deutschen Faschismus wahrgenommen wurde.
Dazu gehört in Griechenland die Sprengung der Eisenbahnbrücke über den Gorgopotamos im November 1942, in Frankreich die Befreiung von Paris im August 1944 unter besonderer Beteiligung der Resistance und französischer Militäreinheiten sowie der Slowakische Nationalaufstand, der ebenfalls im Sommer 1944 in der Region von Banska Bystriza seinen Ausgang nahm.
Zu den Ereignissen zählen in Polen der Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 ebenso wie der Warschauer Aufstand von 1944.
Aber auch erfolgreiche Widerstandsaktionen, wie die Herausgabe einer komplett gefälschten Ausgabe der Tageszeitung „Le Soir“ unter den Augen der Besatzungsmacht, wie es der belgische Widerstand am 9. November 1943 vermochte, gehören in diese Reihe.
Da es eine Vielzahl solcher Ereignisse gab, die natürlich von den ehemals Beteiligten und den nationalen Verbänden der Widerstandskämpfer entsprechend gewichtet werden, standen wir als Ausstellungsmacher vor einer großen Herausforderung. Es war zwingend, dass wir für die endgültige Gestaltung der Ausstellung eine Auswahl aus dem reichhaltigen Dokumenten- und Bildmaterial, das wir von den Veteranenverbänden erhalten hatten, treffen mussten. Dabei ließen wir uns von drei Überlegungen leiten:
1. Es sollte auf einem begrenzten Raum nicht nur der Umfang, sondern auch die politische Breite der antifaschistischen Bewegung sichtbar werden. Das führte in manchen Fällen dazu, dass in der Darstellung quantitative Verhältnisse (d.h. welche politischen Gruppen trugen die Hauptlast) zugunsten von qualitativen Überlegungen (welche verschiedenen Kräfte gehörten zum Widerstand) verschoben werden mussten.
2. Bestimmte antifaschistische Aktionen und Kampfformen findet man in allen Ländern, in denen z.B. Partisanen kämpften. Wir hätten also mindestens 20 Mal Bilder mit zerstörten Eisenbahnanlagen zeigen können. Diese Aktionen waren von großer Bedeutung für die Behinderung der faschistischen Kriegspolitik, aber gleichzeitig wäre so etwas redundant. Deshalb haben wir uns bemüht, auf den jeweiligen Landestafeln nationale Spezifika in den Fokus zu rücken (Belgien: klandestine Presse; Griechenland: EAM/ Demokratische Armee etc.)
3. Wir waren nicht bereit, den geschichtspolitischen Auseinandersetzungen der Nachwendezeit seit 1990 in den heutigen Staaten des ehemaligen Ostblocks zu folgen und nur noch die gegenwärtig politisch opportune Sichtweise zu präsentieren. Wir haben uns dabei auf die Haltung der nationalen Mitgliedsverbände der FIR gestützt, die in ihren Ländern einen aktiven Kampf gegen die Revision der Geschichte des antifaschistischen Kampfes führen.

Damit könnte – aus der Sicht einer umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas möglicherweise berechtigt – der Einwand gegen diese Ausstellung erhoben werden, dass einzelne Ereignisse oder Gruppen des Widerstandes nicht vollständig und umfassend genug dargestellt worden seien. Aber wir stehen zu dieser Präsentation und der getroffenen Auswahl.

Und man könnte – aus einer vorgeblich neutralen Perspektive – der Ausstellung auch vorhalten, sie sei parteilich. Das ist sie in der Tat.
Denn sie ergreift Partei für alle diejenigen,
• die bereit waren unter Einsatz ihrer Gesundheit, ihrer Freiheit und manchmal auch des Lebens für Menschen- und Freiheitsrechte einzutreten,
• die sich solidarisch mit Verfolgten und unterdrückten Minderheiten zeigten,
• die sich für das freie Wort und gegen Gleichschaltung und faschistische Propaganda einsetzten,
• die – aus zum Teil ganz unterschiedlicher Motivation – für die Freiheit des eigenen Landes gegen die NS-Okkupation kämpften,
• die für die Beendigung des Krieges eintraten, indem sie die militärische Kampfkraft der faschistischen Armeen schwächten,
• die damit insgesamt ihren Beitrag für einen antifaschistisch-demokratischen Neubeginn in Europa geleistet haben,
und das ungeachtet der jeweiligen parteipolitischen Orientierung oder religiösen Überzeugung der handelnden Frauen und Männer.

Wenn wir uns heute bemühen, Vertretern der heutigen Generationen einen Zugang zu dem Thema zu eröffnen, dann bietet sich – trotz der europäischen Perspektive der Ausstellung selber – durchaus ein regionaler Bezug an.
Es ist eine didaktische Erfahrung, dass sich für Nachgeborene über die regionale Geschichte leichter Verbindungen zu allgemeinen historischen Themen aufzeigen lassen, indem damit die Abstraktheit der globalen Dimension geschichtlicher Ereignisse aufgebrochen und gleichzeitig verdeutlicht werden kann, dass – wie bei diesem Thema – jede Widerstandsaktion in Bremen – selbst wenn sie noch so bescheiden gewesen ist – Teil eines umspannenden Netzes antifaschistischer Bewegung in ganz Europa war.
Schon vor zwei Jahren hatte ich die Gelegenheit auf Einladung der VVN-BdA zu diesem Thema in Bremen zu referieren und in dem Zusammenhang unter anderen an Friedrich Eildermann, Wilhelm Knigge und Gustav Röbelen erinnert, die als Bremer Antifaschisten im europäischen Rahmen Widerstand leisteten.
Friedrich Eildermann emigrierte bereits 1933 in die Niederlande, später nach Frankreich, von wo er mit Publikationen den antifaschistischen Kampf unterstützte. 1939 wurde er in Le Vernet interniert und kam 1943 in das Lager Djelfa (Algerien); nach der Niederlage des deutschen Afrika-Korps trat er 1943 in die Britischen Armee ein, bevor er im März 1944 nach Moskau ging und dort an der Zeitung »Freies Deutschland« mitarbeitete;
Wilhelm Knigge, war als Kommunist 1933 Mitglied der Bremer Bürgerschaft. Auch er emigrierte in die Niederlande und war Mitglied der KPD-Emigrations-Leitung. 1935 ging er im Auftrag der KPD nach Frankreich und schloss sich – nach dem faschistischen Überfall der Résistance an. Er war Mitarbeiter der Zeitschrift »Soldat im Westen«, einer antifaschistischen Zeitung, die sich explizit an Wehrmachtsoldaten richtete, und Mitglied von CALPO, dem Komitee „Freies Deutschland für den Westen“.
Gustav Röbelen emigrierte nach Belgien, von wo aus er Grenzarbeit für die KPD leistete. 1936 bis 1939 kämpfte er in den Reihen der Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg zur Verteidigung der spanischen Republik. 1939 ging er in die UdSSR und meldete sich nach dem Überfall auf die Sowjetunion freiwillig zur Roten Armee. Als deutscher Antifaschist wurde er zur politischen Aufklärung in Kriegsgefangenenlagern eingesetzt und Ende 1944 auch zur Unterstützung von Partisaneneinheiten an der Front.
Schon diese Beispiele zeigen, dass auch Bremer ihren Beitrag im europäischen Widerstand leisteten.

Aber auch der Widerstand in Bremen selber verdient es – im Zusammenhang mit dieser Ausstellung – eine Würdigung zu erfahren. Kollege Jörg Wollenberg, der sich ja seit vielen Jahren mit der Geschichte der Bremischen Arbeiterbewegung beschäftigt, wird am kommenden Mittwoch über zwei Bremer Antifaschistinnen, Maria Krüger und Käthe Lübeck-Popall, referieren.
Maria Krüger habe ich Anfang der 70er Jahre noch persönlich erlebt, als wir gemeinsam gegen Berufsverbote in Bremen Aktionen organisierten – ich als Schülervertreter, sie als gestandene Antifaschistin und Sonderschullehrerin.
Und Sie, Herr Bürgermeister, könnten sicherlich etwas über Ihren Vater Gustav Böhrnsen, der als Schlosser auf der AG Weser im Widerstand kämpfte, verhaftet wurde und – trotz Wehrunwürdigkeits-Schein – 1942 in der Strafkompanie 999 für die Ziele des deutschen Faschismus kämpfen sollte, beisteuern.
Alle diese Namen zeigen, über welch reiche antifaschistische Tradition die Bremer Stadtgeschichte verfügt, die vielleicht im Rahmen der Beschäftigung mit der Ausstellung über europäischen Widerstand aktiviert werden kann.

Und zu dieser Tradition haben wir in Bremen immer auch Heinrich Vogeler gezählt, auch wenn er eigentlich in Worpswede gelebt und gewirkt hat.
Es freut mich deshalb, dass zur Eröffnung der Ausstellung hier in der Rathaushalle ebenfalls die Zeichnungen, die Heinrich Vogeler gemeinsam mit Johannes R. Becher für die antifaschistische Publikation „Das Dritte Reich“ 1934 in Moskau zusammengestellt hat, gezeigt werden können.
Einige dieser Zeichnungen sind sicherlich durch verschiedene Publikationen bekannt. Ich selber habe aber – ehrlicherweise – den gesamten Zyklus erst 2012 anlässlich der großartigen Gesamtschau zu Heinrich Vogeler in Worpswede wahrgenommen.
Die Bilder haben mich so beeindruckt, dass ich 2013 einen Reprint dieser antifaschistischen Publikation auf den Weg brachte. Mit diesen Zeichnungen – elf Jahre vor der tatsächlichen Befreiung vom Faschismus und Krieg entwickelt – versuchten Vogeler und Becher selbst vom Ausland her nicht nur über die Verbrechen der faschistischen Herrschaft in Deutschland und die gesellschaftlichen Träger dieser Terrorherrschaft aufzuklären, sondern – und das wird in den letzten Zeichnungen besonders deutlich – den Menschen Mut und Optimismus im antifaschistischen Kampf mitzugeben. Es war ein Mut und Optimismus, der sich auch in dem berühmten „Lied der Moorsoldaten“ der Häftlinge des KZ Börgermoor ausdrückte, in dem es unter anderem heißt: „… ewig kann‘s nicht Winter sein.“

In diesem Sinne wünschen wir uns ein Publikum, das die Ausstellung und die dort gezeigten Informationen nicht nur historisch oder retrospektiv betrachtet. Denn die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand vor über 70 Jahren hat – aus unserem Verständnis – immer auch eine sehr gegenwärtige Dimension. Nicht dass wir eine falsche Analogie zwischen der faschistischen Herrschaft und heutigen Verhältnissen ziehen würden. Aber die heutigen demokratischen Verhältnisse verdanken wir zu nicht geringem Umfang dem Kampf und dem Einsatz von Antifaschisten gegen die NS-Herrschaft und nach der Befreiung im antifaschistisch-demokratischen Neuanfang.
Und so verstehen wir die auf den Tafeln gezeigten Beispiele des antifaschistischen Kampfes auch als „Mutmacher“ für heute,
als „Mutmacher“ auch für Auseinandersetzungen mit Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus, mit Neofaschismus und Antisemitismus, mit Kriegspolitik und sozialen Ungerechtigkeiten,
als „Mutmacher“ heute einzutreten für Demokratie, Frieden, Freiheit und eine solidarische Gesellschaft, in der alle Menschen mit gleichen Rechten lebenswert

Ansprache Jean Cardoen am 21. Jan. im Rathaus zur Eröffnung der Ausstellung „Europäischer Widerstandskampf gegen den Nazismus“

9. Februar 2015

Sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren

Aus mehreren Gründen freut es mich sehr, heute Abend hier anwesend sein zu dürfen:
Auf der einen Seite ermöglicht es mir, meine guten Freunde Ulrich Schneider und Thomas Wilms, mit denen ich schon seit vielen Jahren zusammenarbeite, wieder zu sehen.
Auf der anderen Seite ist es das erste Mal, dass die Ausstellung, die von der FIR und dem belgischen Institut für Veteranen entwickelt wurde, in Deutschland zu sehen ist und wir sind somit stolz und fühlen uns sehr geehrt.

Der Zufall will, dass mein eigenen Vater, der leider vor 2 Monate gestorben ist, ein Kriegsgefangener in Deutschland war und im Lager Sandbostel (was nicht sehr weit von hier ist) interniert war. Er sprach oft von seiner Festnahme und dem Lager. Ich versprach ihm immer, dass wir eines Tages zusammen dorthin gehen würden, aber die Gelegenheit hat sich nie geboten. In Erinnerung an meinen Vater und ihm zu Ehren, werde ich deshalb morgen Sandbostel besuchen.

Aber zurück zu der berühmten Ausstellung „Widerstand in Europa.“
Wie wurde sie geboren?

Es sind ja schon vier Jahren her, dass ich in Italien war für eine Tagung mit ANPI, der Vereinigung der italienischen Partisanen, um einige Bildungs-Tools, insbesondere über die Deportation und den Widerstand, zu präsentieren, die das belgische Institut für Veteranen produziert und vertreibt. Als ich die Anzahl der anwesenden Personen anschaute, sowohl Jugendliche als auch ältere Widerstandskämpfer, und ihre Zeugnisse hörte, erkannte ich, dass der antifaschistische Widerstand in ganz Europa vorhanden war.

Ich erkannte auch, dass es nicht nur die belgischen und italienischen Erfahrungen gab, sondern dass es in ganz Europa Männer und Frauen gab, die aufgestanden sind, um gegen den Faschismus und Nationalsozialismus zu kämpfen: vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Bei meinen Recherchen habe ich auch gemerkt, dass es nicht so etwas gab wie ‘den Widerstand‘ und dass der Widerstand in den jeweiligen Ländern oft verschieden war von dem Widerstand, der mir in Belgien bekannt war. Der Widerstand der russischen Partisanen und ihre Erfahrungen haben eine andere Form und andere Farben als der Widerstand der Untergrundpresse in Belgien. Operationen in Holland waren unterschiedlich von denen in Albanien.

Jedes Land hat seine Gründe, seine Wirkungsweisen, seine Geschichte. Aber alle hatten gemeinsam den heftigen Wunsch, den Nationalsozialismus zu zerstören (wie es auch im Schwur von Buchenwald heizt: „die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“).

Es sind diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die wichtig hervorzuheben sind Daher die Idee eine zusammenfassende Tabelle der Widerstandsbewegungen in Europa zu machen in Form einer Ausstellung. Es war eine riesige Mammutaufgabe

Wenn man aber mit großen Schwierigkeiten konfrontiert wird, bittet man seine Freunde um Hilfe. Das habe ich gemacht, indem ich Kontakt mit Ulrich Schneider aufnahme und ihm den Vorslag machte zusammen mit der FIR dieses große Abenteuer anzufangen. Ulrich war sofort begeistert und hat die verschiedenen europäischen Mitgliedsvereinigungen mit ins Projekt aufgenommen. Wir haben uns mächtig angestrengt, um den Termin einzuhalten und haben es auch geschafft

Und was sind die Ergebnisse? Widerstand ist was? oder vielmehr die Widerstände, was ist das?

1. Widerstand ist vielfältig. Es gab bewaffneten Widerstand (in Belgien beteiligten sich mehr als 100.000 Männer und in Ländern wie Jugoslawien, Albanien, Polen, Griechenland, Italien und die Sowjetunion war diese Form von Widerstand der Hauptmodus ).

Aber es war nicht nur das:
2. Psychologischer Widerstand: Flugblätter n und Untergrundpresse: Holland, Frankreich und vor allem Belgien waren in darin ausgezeichnet
3. Die Fluchtlinien für Piloten die, nachdem sie über besetzten Gebieten abgeschossen wurden, versteckt wurden, um sie anschließend durch ein Netz von Agenten von Frankreich nach Spanien später dann über die Pyrenën und zuletzt durch Portugal nach England zu bringen.
4. Die Informationsnetzwerke, notwendig für die militärischen Operationen der Alliierten.
5. Sabotage … auch das gibt es in allen Ländern. Bei uns gab es eine Besonderheit, nämlich die Gruppe G, eine Gruppe von 4000 belgischen Widerstandskämpfern, zum größten Teil zusammengestellt aus Lehrern und Schülern von der ULB und andere tapfere wie Jacques Jadoul.
6. Die Unterstützung von versteckten Juden, die es möglich gemacht hat, dass schlussendlich tausende jüdische Kinder im Verborgenen überleben und entkommen konnten.
7. Es gibt aber auch den passiven Widerstand … was bedeutete, dass die Menschen die deutsche Kriegsmaschine ohne grosse Heldentaten verlangsamt haben. Auch gab es große Streiks, wie den Streik der 100.000 in Lüttich, der Streik der Minenarbeiter in Nord Pas de Calais und die Streiks in Ungarn, Dänemark, den Niederlanden und Norwegen.
Auch wenn es keinen europäischen Widerstand gab, wohl aber einen Widerstand in Europa, so gab es doch eine Menge internationaler Kontakte. Auf jeder Tafel sehen wir einen Akt des Widerstands, der von einem Ausländer ausgeführt werde.
Zum Beispiel Theodor Angelov (Bulgare) in Belgien, die Manouchian Gruppe (Armenier, Juden, Polen, Ungarn und spanische Kommunisten) in Frankreich, die „Rote Kapelle“ in Deutschland (Belgien, Frankreich), das NKFD (= National Komité Freies Deutschland), Deutsche Anti-Nazi die als Soldaten gedient haben in der Roten Armee aber auch bei den griechischen und rumänischen Partisanen sowie italienischen Soldaten bei den albanischen Partisanen. Die Aktion der spanischen Antifaschisten und italienische Exilanten in Frankreich aber auch die 600 sowjetischen Kriegsgefangenen, die entkommen sind und in Belgien gekämpft haben … All dies sind nur Beispiele, die Sie in der Ausstellung finden.

Noch ein weiteres Merkmal: der Widerstand umarmte alle Ideologien: von der kommunistischen Ideologie (wie zB. die griechischen Partisanen von ELAS, die Unabhängigkeitsfront in Belgien, …) zu den sozialdemokratischen Ideologien ( wie zB. die geheime Nachrichtendienst der deutschen Sozialdemokraten). Dem Widerstand gehören auch Menschen aller religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen an: Atheisten sowohl als Christen (zB in Deutschland, die Rolle der katholischen Kirche (Kardinal Galen, der sich offen gegen das T4-Euthanasieprogramm aussprach ), evangelische und protestantische Kirchen (Martin Niemöller), aber auch in Italien (der Priester Minzoni) und Polen (1200 Priester hingerichtet).
Die traditionelle Konservative waren auch antifaschistisch (General De Gaulle, Polnische Generäle wie Sikorski und Komorowski, die Königin der Niederlande, die meisten europäischen Regierungen im Exil in London, …).

Es gab auch eine Menge von Frauen im Widerstand. Es gab eine Sophie Scholl in jedem Land. Ich möchte auch in diesem Zusammenhang eine Anekdote erzählen. Diese Geschichte finden Sie auf einer der Tafeln über die Sowjetunion.
Sie sehen ein Foto von einem 19-jährigen Mädchen, Zoia Kosmodeiamskaïa. Sie wurde im Jahr 1941 von den Deutschen für Widerstandshandlungen festgenommen. Auf den beiden Bildern, die wir haben, sieht man den Platz eines Dorfes, wo die Dorfbewohner gezwungen werden,einer Hinrichtung beizuwohnen. Und wir sehen, das 19-jährige Mädchen, sie weiß, sie wird sterben und sagt: „. Wir sind 190 000 und sie können uns nicht alle hängen. Dieses Beispiel von Mut ist zu einem Symbol geworden für die Russen, denn nach Stalingrad, als die Rote Armee nach Deutschland marschierte, schrieben sie auf ihren Panzern „für Zoia“ .

Ich denke, dass alles gesagt ist: 21 Länder, 51 Paneele, 450 Fotos, Hunderte von Texten und Legenden, in mehreren Sprachen übersetzt:
– Zuerst in Französisch, Niederländisch und Englisch, wurde die Ausstellung im Juli 2013 in Belgien im Europäischen Parlament eröffnet und zirkulierte dann in Belgien und in der Niederlanden.
– Anschließend wurde sie in zwei anderen Sprachen übersetzt:
– Erst in Deutsch. Die erste Eröffnung in Deutschland findet heute hier in Bremen statt. Dies zeigt auch die Dynamik der Organisatoren: der VVN-BdA Bremen und alle Verbände, die dieses ganze Programm, das zwei Wochen dauern wird, geplant haben.
– Dann in Ungarisch: die Ausstellung wird am 13. Februar im Haus der Presse in Budapest sein um dann nach anderen ungarischen Städten reisen

Diese Ausstellung wird auch schon bald in Form eines Buches erhältlich sein. Es wird in vier Sprachen veröffentlicht, darunter auch in Deutsch und beinhaltet alle Texte und Fotos der Ausstellung. Es wird am 18. Juni in Paris veröffentlicht, Jahrestag an dem General de Gaulle in 1940 alle Franzosen aufrief, den Deutschen zu widerstehen.

Und ich beende meine Ansprache hier mit einem schönen Satz, den ich in einer Nachkriegszeitung aus dem Jahr 1946 las (ich kenne den Namen des Verfassers leider nicht mehr). Dieser Satz erinnert an unseren Kampf gegen die Diktatur und den Faschismus. Er unterstreicht die Denkfreiheit und den Kampf für diese Freiheit. Der Verfasser kannte weder Charlie Hebdo noch den Slogan « Je suis Charlie ». Er schrieb einfach „Vergiss nicht, dass jeder Satz der heimlichen Presse mit Blut gedruckt wurde ». Das ist Widerstand.

Vielen Dank

Stéphane Hessel und der europäische Widerstand

15. Januar 2015

Mittwoch, 4. Februar, 18.00 – 20.00 Uhr, Untere Rathaushalle:
Stéphane Hessel und der europäische Widerstand. Vortrag mit Filmausschnitten von Jörg Wollenberg
Im Oktober 2010 erschien der Bestseller von Stéphane Hessel „Empört Euch!“. Über eine Million verkaufte Exemplare des schmalen Bändchens dokumentieren: der damals 93jährige Autor hatte den Nerv der Zeit getroffen. Kurz darauf erschien der Aufruf zum Engagement für eine bessere Welt. „Engagiert Euch!“ gegen die Zerstörung der Umwelt und gegen die Verletzung der Menschenrechte.
Ein Leben lang hat der 1917 in Berlin geborene französische Diplomat und Erfolgsautor für eine demokratische Gesellschaft gekämpft. So u.a. als Widerstandskämpfer gegen die NS-Diktatur, die ihn 1944 nach der Verhaftung in das KZ Buchenwald deportierte. Nach der Befreiung vertrat er Frankreich bei den Vereinten Nationen in New York und war 1948 einer der Verfasser der UNO-Charta der Menschenrechte. Bis zu seinem Tode appellierte „Frankreichs Rebell für die Stunde“ (FAZ) gegen die Zerstörung der Werte der Zivilisation durch den Finanzkapitalismus und engagierte sich besonders für die illegal in Frankreich Eingewanderten ohne Aufenthaltserlaubnis.
Jörg Wollenberg hat mit Stéphane Hessel seit 2008 mehrere Gespräche geführt, vor allem über die Kunst des Überlebens in deutschen Konzentrationslagern. Der Bremer Historiker wird darüber berichten, wie Hessel 1941 nach London floh, um sich dem Widerstand um General de Gaulle anzuschließen. Er kehrte im Auftrag der Résistance mit einem Spionageauftrag nach Paris zurück. Dort wurde er 1944 verhaftet und von der Gestapo gefoltert. Mit 35 weiteren Widerstandskämpfern kam er anschließend nach Buchenwald. Dem zum Tode verurteilten gelang es, durch einen Identitätstausch in der Typhusbaracke des KZ zu überleben. Stéphane Hessel wird dabei selbst zu Wort kommen, u, a., mit Auszügen aus dem Film, den Radio Bremen 2009 für ARTE produzierte:
Mein Leben – Stéphane Hessel
Ein Film von Mechtild Lehning
Radio Bremen Arte 2009

Bremer Frauen im Widerstand: Maria Krüger und Käthe Lübeck-Popall.

15. Januar 2015

Mittwoch, 28. Januar, 18.00 – 20.00 Uhr, Untere Rathaushalle:
Bremer Frauen im Widerstand: Maria Krüger und Käthe Lübeck-Popall. Vortrag mit Filmdokumentationen von Jörg Wollenberg.
Bremer Frauen im Widerstand
Jörg Wollenberg informiert über die Widerstandstätigkeit von Käthe Popall, geschiedene Lübeck, und Maria Krüger, geschiedene Bücking. Dabei kommen beide Bremerinnen selbst zu Wort. Käthe Popall berichtet über den ersten Prozess mit Todesurteilen vor dem Volksgericht gegen die KPD-Landesleitung in Berlin u.a. mit dem Bremer Bezirksleiter Robert Stamm. Ein Prozess, der mit zur Bildung einer deutschen und europäischen Volksfront gegen Hitler-Deutschland beitragen sollte..
Und Maria Krüger berichtet über ihren Prozess vor dem Hamburger Oberlandgericht gegen die Bästlein-Abshagen Gruppe mit Richard Heller aus Bremen.

Stolpersteine in Bremen Mitte

15. Januar 2015

DI 24.03. um 19:00 Uhr Zentralbibliothek Wall-Saal „Stolpersteine in Bremen Mitte, biographische Spurensuche“

Legalisiertes Unrecht

15. Januar 2015

MO 23.03. um 19:00 Uhr Finanzamt, Rudolf-Hilferding-Platz, Vortragssaal 208 „Legalisiertes Unrecht“, Vortrag Dr. Christoph Franke

Raub von Amts wegen

15. Januar 2015

DO 05.03. um 19:00 Zentralbibliothek Wall-Saal „Raub von Amts wegen“, Buchvorstellung

Grauzonen, Stolpersteine für Wehrmachtsgenerale

15. Januar 2015

DI 03.03. um 19:00Uhr Landeszentrale politische Bildung, Osterdeich 6, „Grauzonen, Stolpersteine für Wehrmachtsgenerale?“, Michael Cochu, Dr. Heinz-Gerd Hofschen, Dr. Marcus Meyer, Dr. Oliver von Wrochem

Wozu und warum Wiedergutmachung

15. Januar 2015

DO 26.02. um 19:00 Uhr Finanzamt, Rudolf-Hilferding-Platz, Vortragssaal 208 „Wozu und warum Wiedergutmachung?“. Vortrag Hans-Gerhard Schmidt

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