Nachruf Marion Bonk

18. Februar 2024

Am 09. Januar 2024 verstarb unerwartet unsere langjährige 2. Vorsitzende Marion Bonk.

Marion Bonk, die Lebensgefährtin unseres ehemaligen Vorsitzenden Raimund Gaebelein, war bis zu dessen Tod eine fast ständige Begleiterin Raimunds gewesen. So haben wir sie auch kennengelernt.

Sie übernahm auch schnell eigenständig Aufgaben. Zusammen hat sie mit Ulrich, Raimund und Gerold fast immer an Raimunds Küchentisch in der BAF-Redaktion den nächsten Bremer Antifaschisten besprochen. Sie kümmerte sich um den Internetauftritt unserer Landesvereinigung und hat dort für die digitale Archivierung unserer Mitgliederzeitung gesorgt. Auch um die organisatorischen Vorbereitungen vieler unserer Veranstaltungen hat sie sich engagiert. Zusammen mit Raimund war sie im Vorstand in Heideruh und bei „Omas gegen Rechts“ engagiert.
Mit Corona und Raimunds Tod 2020 zog sie sich weitgehend von der VVN-Tätigkeit zurück. Lediglich Online blieb die gesundheitlich angeschlagene Marion für uns und „Omas gegen Rechts“ aktiv.

Marion Bonk war ein warmherziger Mensch, sie pflegte häufig ein offenes und direktes Wort und hatte einen schrägen, sympathischen Humor. Ihre gesundheitlichen Probleme waren in dem Kreis derjenigen, die sie enger kannten, bekannt, doch ihr Tod durch eine spät erkannte Sepsis kam doch für uns alle sehr überraschend.


Der Landesvorstand

30. Januar – Erinnern heißt Kämpfen!

16. Februar 2024

Werdet aktiv gegen Faschismus und Kriegstreiberei!

Am 30. Januar 1933 war es so weit: die Regierungsgeschäfte im Deutschen Reich wurden an den Faschisten Hitler mit seinem Kriegsprogramm übertragen. Und es wurde nicht lange gefackelt das Programm auch in die Tat umzusetzen: um das Volk kriegstüchtig zu machen, musste als erstes die Opposition zum Schweigen gebracht werden. In Bremen wehte ab dem 6. März auf dem Rat­haus die schwarz-weiß-rote Fahne. Ende März wurde das erste KZ einge­richtet, in den ehemali­gen Auswandererhallen Mißler in Findorff.

„Von den in Bremen aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in polizeilicher Schutzhaft befindlichen Marxisten und Kommunisten wurden am Freitag und Sonnabend zunächst etwa hundert Gefangene in ein Konzentrationslager geführt.“

Mitteilung der Polizeidirektion Bremen

Die „Bremer Nachrichten“ (BN) veröffentlichten am 2. April 1933 eine Mitteilung der Polizei­direktion: „Von den in Bremen aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in polizeilicher Schutzhaft befindlichen Marxisten und Kommunisten wurden am Freitag und Sonnabend zunächst etwa hundert Gefangene in ein Konzentrationslager geführt.“ Sozialdemokraten und Gewerkschafter folgten.

Diese „Schutzhaft“ unter der Leitung des SS-Hauptsturmführers Otto Löblich war brutalst, die Schreie der grün und blau Geschlagenen drangen bis in die umliegenden Wohnungen. Auch aufgrund von Beschwerden aus der Bevölkerung wurde im September 1933 das KZ nach Ochtumsand verlegt.

Heute erinnert ein Denkmal in der Walsroder Straße an die Verbrechen, die hier geschahen. Zu lesen ist folgender Text von Kurt Tucholsky: „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen NEIN!

Besonders angesichts der aktuellen Entwicklung halten wir, die VVN-BdA Bremen, es für notwendig, auch an diesen Tag der deutschen Geschichte zu erinnern.

Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen NEIN!

Kurt Tucholsky

Aber bei der Geschichtsbetrachtung darf es nicht bleiben. Die Geschichte wiederholt sich, wenn wir nicht aktiv in sie eingreifen.

Heute sind es Mitglieder einer Ampel-Regierung, die Deutschland wieder „kriegstüchtig“ machen wollen. Wir erleben angesichts des Krieges in der Ukraine und in Gaza eine beispiellose Auf­rüstung und Militarisierung. Ein „Wehr“etat in Rekordhöhe, 100 Milliarden Sonderschulden für die Bundeswehr, Rüstungsexporte auf Rekordniveau und eine generelle Mobilmachung, in der jeder, der den Kriegskurs des deutschen Imperialismus in Frage stellt, zum Feind erklärt wird.

Wir erleben ein Erstarken der faschistischen Bewegung, die auf verschiedenen Ebenen in der Lage ist Massen zu mobilisieren. Gleichzeitig holt die AfD, eine – zumindest in Teilen – offen faschistische Partei, Rekordergebnisse in den Umfragewerten und plant im Hinterzimmer die Deportation von Millionen Menschen, die in ihren Augen nichts in Deutschland verloren haben.
Es ist gut und richtig, dass jetzt massenhaft Menschen gegen die AfD auf die Straße gehen, und wir unterstützen das in jedem Fall. Die Gefahr der AfD darf allerdings nicht darüber hinweg­täuschen, wer gerade dieses Land regiert, Waffendeals macht und die rassistische Abschottungspolitik ganz real durchführt. Der Bundestag beschloss am Donnerstag ein Gesetz, mit dem Geflüchtete schneller wieder außer Landes gebracht werden sollen.

Sieht so Kampf gegen Rechts aus oder kommt man damit nicht eher den Forderungen von AfD & Co. entgegen? 

Gegen den weiteren Ausbau der Festung Europa, die rassistische, kriegstreiberische und unsoziale Politik muss sich unser Kampf richten.

Lasst uns diesen Tag nutzen um daran zu erinnern, dass Hitler kein Betriebsunfall war: den Faschisten wurde damals die Macht übertragen und unterstützt wurden sie damals wie heute vor allem von den Reichen und Mächtigen. Hauptsache, der Profit stimmt. Lasst uns heute aktiv dafür werden dass es nie wieder dazu kommt. Organisiert euch und werdet aktiv für eine schlagkräftige antifaschistische Bewegung.

Kriegsmaterial unschädlich gemacht

24. Juli 2023

Wenn es nur so einfach wäre Kriegsgerät unschädlich zu machen! Beim Gröpelinger Sommer am 1. Juli in der Lindenhofstraße konnte man das an unserem Stand zumindest symbolisch tun. Panzer und Raketen auf leeren Dosen aufgeklebt und diese zu einer Pyramide aufgestapelt konnte man mit dem gezielten Werfen von Kugeln, auf die eine Friedenstaube gezeichnet war, zum Einstürzen bringen. Nicht wenige Straßenfestbesucherinnen und -besucher haben die Gelegenheit wahrgenommen, Kinder und Jugendliche vorne dran. Als Erfolgsprämie konnten sie sich Buttons und Aufkleber aus unserem Sortiment aussuchen.

Lesung aus verbrannten Büchern zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennung

27. Juni 2023

Am Mittwoch, 10. Mai 2023, fand am Nachmittag zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennung auf dem Grasmarkt, neben dem Bremer Rathaus, eine öffentliche Lesung aus verbrannten Büchern statt. 24 Frauen und Männer hatten Texte von Autorinnen und Autoren vorbereitet, deren Bücher im Mai 1933 in den Flammen landeten oder im Laufe des Naziregimes verboten wurden:

Lion Feuchtwanger
Erich Kästner
Bertolt Brecht
Rosa Luxemburg
Stefan Zweig
Erich Maria Remarque
Heinrich Heine
Irmgard Keun
Hans Paasche
Friedrich Wilhelm Foerster
Anna Seghers
Mascha Kaleko
Theodor Lessing
Hermann Hesse
Karl Liebknecht
Max Hoelz
Erich Mühsam
Sergej Semjonow

Über zweieinhalb Stunden hörten die zahlreich erschienenen Zuhörerinnen und Zuhörer, auch viele Passanten, die für eine Zeit verweilten und auf den bereitgestellten Bänken Platz nahmen, explizite Antikriegstexte, Briefe aus dem Gefängnis, Ausschnitte aus kaum erträglichen Kriegsschilderungen, aber auch aus humorigen Geschichten und Erzählungen von Frauen, die ihr Geschick in die eigenen Hände nehmen.
Eine Akkordeonspielerin der OMAS gegen Rechts leitete musikalisch von einem Text zum anderen und verschaffte nach manchem Text die nötige Verschnaufpause.
Die Texte führten vor Augen, welche Vielfalt und auch Schönheit an Literatur nicht ins nazistische Weltbild passen und verschwinden müssen, um eine Bevölkerung kriegsbereit zu machen.
Sie führten auch vor Augen, wie leider aktuell Texte aus dem letzten und sogar dem vorletzten Jahrhundert sein können.

 

Erklärung der VVN-BdA Bremen zur Reitbrake

7. Dezember 2022

Friedhof an der Reitbrake
Zum weiteren Umgang mit dem Friedhof für sowjetische Kriegsgefangene an der Reitbrake nimmt die VVN-BdA Bremen wie folgt Stellung:
In unserer 1. Stellungnahme vom 23. März 2021 schrieben wir: „Aus Sicht der VVN-BdA kommt die
beabsichtigte Überbauung des Geländes nur in Betracht, wenn sichergestellt ist, das dort keine
sterblichen Überreste von Menschen mehr vorhanden sind und dass die Regelungen des Kriegs-
gräberabkommens mit der Russischen Föderation von 1992 eingehalten werden. Die festgestellte
Differenz zwischen den Totenzahlen am Begräbnisort „Russenfriedhof“ und den Zahlen der nach dem
Krieg dort exhumierten und auf dem Osterholzer Friedhof beerdigten Toten ist kein sicherer Hinweis
auf weitere dort verbliebene Tote. Es kann aber ebenso wenig ausgeschlossen werden, dass von der
Nachkriegsexhumierung sämtliche Überreste der dort unter dem Naziregime verscharrten Menschen
erfasst worden sind. Eine ebenso gründliche wie zeitnahe Überprüfung ist deshalb geboten.“
Was niemand erwartet hat, ist aber eingetreten: neben zahlreichen Einzelfunden hat das Team der
Landesarchäologie auf dem Friedhofsgelände an der Reitbrake 63 vollständige Skelette aus-
gegraben. Damit ist für uns ganz klar, dass eine Bebauung des Geländes nicht in Frage kommt. Wir
unterstützen aber die Forderung nach Einrichtung einer multiprofessionell besetzten Experten-
kommission aus Geschichtsforschung, Völkerrecht, Ethik,…
Nach wie vor besteht eine Differenz zwischen den Totenzahlen am Begräbnisort an der Reitbrake
und den Umgebetteten sowie den nun gefundenen Skeletten. Diese Differenz ist unbedingt aufzu-
klären, bevor weitere Schritte unternommen werden. Nötigenfalls muss die Untersuchung über den
bisher bearbeiteten Bereich hinaus erweitert und die Mittel dafür bereit gestellt werden.
Fast 80 Jahre nach Kriegsende und nach fast 80 Jahren schlampigen Umgangs des offiziellen
Bremen mit den dort begrabenen Leichen von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aus der
Sowjetunion ist mit aller Sorgfalt und Expertise vorzugehen.
Unabhängig von der Auseinandersetzung um den Umgang mit dem Gelände ist es auch längst an der
Zeit Hinweisschilder auf den Gedenkort anzubringen. Diese müssten in der Riedemannstraße und
„Beim Industriehafen“ stehen.
10. November 2022
Der Landesvorstand


			 							

Rede für die Kundgebung zum Hiroshimatag

29. August 2022

In gut drei Wochen erinnern wir uns an den Tag, an dem das faschistische Deutschland mit seinem Überfall auf Polen den 2. Weltkrieg auslöste.
Heute erinnern wir uns an den letzten barbarischen Akt am Ende dieses Krieges: an den Abwurf von zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki durch die Luftwaffe der USA.
Die USA waren neben der Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich Teil der Anti-Hitler-Koalition, der wir den Sieg über das faschistische Deutschland verdanken. Militärisch nutzlos, diente das Verbrechen der Atombombenabwürfe aber dazu, der Sowjetunion und dem Rest der Welt die militärische Überlegenheit der USA zu demonstrieren.
Am 15. August war mit der Kapitulation durch den Kaiser Japans der Kampf um eine neue Aufteilung der Welt vorübergehend beendet. Er hat ca. 60 Millionen Menschen das Leben gekostet.
Die deutschen Wehrmachtsgenerale und Kriegsgewinnler konnten nur vier Jahre nach ihrer Niederlage im Schutz der Westmächte den Staat gründen, der für ihre reorganisierte Armee gebraucht wurde. 1955 wurde dieser Staat Mitglied der NATO, noch bevor im selben Jahr die ersten Soldaten in die nach Kriegsverbrechern benannten Kasernen der Bundeswehr einrückten. Zeitgleich wurde ein Bundesministerium für Atomfragen gegründet, der zuständige Minister hieß Franz Josef Strauß. Der wurde ein Jahr später Verteidigungsminister und machte sich massiv für die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen stark, ersatzweise für die Stationierung von US-amerikanischen Atomwaffen in der Bundesrepublik. Die frühe Förderung der zivilen Kernspaltung diente natürlich auch der Möglichkeit der atomaren Bewaffnung. Am 25. März 1958 beschloss der Bundestag die Ausrüstung der Bundeswehr mit Trägersystemen für Atomwaffen. Dieser Beschluss wurde nie aufgehoben, entspricht dem NATO-Konzept der nuklearen Teilhabe und es werden neue Kampfflugzeuge dafr gekauft.. Die Bundesregierungen weigern sich bis heute, dem UN-Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten.
Doch nicht nur die geschätzt 12.700 Atombomben auf der Welt bedrohen das Leben auf unserem Planeten.
SIPRI meldet in seinem Rüstungsbericht für das Jahr 2021: die globalen Militärausgaben sind auf ein Rekordhoch von über zwei Billionen Dollar gestiegen. Sie wuchsen das siebte Jahr in Folge, sie kennen offenbar keine Krise. Und SIPRI kannte da noch nicht den vom Bundestag im Juni beschlossenen Kriegskredit von 100 Milliarden und die Erhöhung des Militärhaushalts auf 2% des Bruttoinlandsprodukts, eine Erhöhung von zuletzt 50 Milliarden Euro auf dann 70 Milliarden.
Der Kampf um Einflusszonen, Absatzmärkte, Zugang zu billigen Rohstoffen, Maximalgewinne geht weiter und hat sich zugespitzt. Kapital wandert um den Globus auf der Suche nach lukrativen Anlagemöglichkeiten und stößt dabei an immer mehr Grenzen. Die Konkurrenz verschärft sich.
Millionen Menschen blieben und bleiben dabei auf der Strecke. Hunger ist für bis zu 828 Millionen Menschen täglicher Begleiter, weltweit stirbt alle dreizehn Sekunden ein Kind unter fünf Jahren an den Folgen von Hunger (Deutsche Welthungerhilfe).
Der Kapitalismus tötet auch schon vor dem Einsatz von Atombomben und durch sein sozusagen normales Wirken.
Doch es rumort in der Welt, die Menschen gehen auf die Straße, weil sie so nicht mehr weiterleben können und wollen:
In Indien wurden Bahnlinien besetzt gegen die Privatisierung der Bahn. Bauern kämpfen gegen die Öffnung des indischen Agrarmarkts für internationale Lebensmittel-Konzerne. Es erwartet sie dadurch noch mehr Überschuldung. Die Selbstmorde in landwirtschaftlichen Betrieben gehen in die Tausende.
In Sri Lanka wurde die Regierung gestürzt. Die Lage für die Bevölkerung ist nicht mehr erträglich.
Das Land ist hoch verschuldet, es fehlt der Dünger in der Landwirtschaft, es fehlt an Treibstoff und Medikamenten.
In Brasilien streikten Arbeiter in Stahlbetrieben und Erzminen nach Jahren ohne Lohnerhöhung und steigender Inflation um mehr Lohn zum Leben.
Es gibt heftige Proteste gegen ein neues Pestizidgesetz, für das sich Bayer, BASF und andere bei der Bolsonaro-Regierung stark machen. So besetzte die Jugendorganisation der Landlosen­-bewegung MST am 10. Juni eine Niederlassung von BAYER. Sie schrieben: „
„Während die europäische Pestizid-Industrie danach strebt, ihre Profite zu maximieren, stirbt in Brasilien jeden zweiten Tag ein Mensch an einer Pestizid-Vergiftung. Und rund 20 Prozent dieser Todesopfer sind Kinder und Jugendliche unter 19 Jahren.“
In Norwegen streikten Anfang Juli Arbeiter auf den Öl- und Gasplattformen nach gescheiterten Lohnverhandlungen und bei steigender Inflation. Die Betreiber hatten einen Quartalsgewinn von 18 Milliarden Dollar eingestrichen.
In Frankreich legte im Juli ein landesweiter Warnstreik der Bahngewerkschaften den größten Teil des Bahnverkehrs lahm. Nach acht Jahren Lohnstopp und steigender Inflation ist die Wut groß.
In Großbritannien fand der größte Bahnstreik seit 30 Jahren statt: Mehr als 40 000 Bedienstete legten an drei Tagen etwa die Hälfte des britischen Bahnnetzes lahm. Wegen der hohen Inflation fordern sie mehr Lohn. „Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten, die durch unsere Aktion entstehen, aber wir wollen einfach nur das, was uns zusteht: mehr Lohn, damit die Kolleginnen und Kollegen auch künftig ihre Gasrechnungen bezahlen können.“ Im August werden sich die Streiks ausdehnen.
Hoffnung machten bei vielen von uns die Flughafen- und Hafenarbeiter in Pisa, Livorno und Genua mit ihrem Streik gegen Waffenlieferungen in die Ukraine. In Rom streikten und demonstrierten 5000 Beschäftigte unter der Losung „Die Waffen nieder – die Löhne rauf – Streik!“
Atombomben töten und zerstören, Rüstung tötet und zerstört, das kapitalistische Konkurrenzsystem tötet und zerstört.
John Heartfield schrieb unter seine berühmte Fotomontage mit der Hyäne:
„Krieg und Leichen, die letzte Hoffnung der Reichen“.
Und Bertolt Brecht schrieb zum Völkerkongress für den Frieden im Dezember 1952:
Denn der Menschheit drohen Kriege,
gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind,
und sie werden kommen ohne jeden Zweifel,
wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten,
nicht die Hände zerschlagen werden.
Vielleicht sind wir zu denen zu freundlich.
Regine Albrecht (VVN-BdA Bremen)

Rede vom 8. Mai 18.30 Uhr auf dem Marktplatzvon Ulrich Stuwe, Vorsitzender der VVN-BdA, LV Bremen

12. Mai 2022

Werte Anwesende,
heute jährt sich zum 77. mal die Befreiung Europas vom Faschismus durch die
Alliierten des Zweiten Weltkriegs.
Mit etwa 27 Millionen von 55 Millionen Kriegstoten trug die Sowjetunion die
Hauptlast des Zweiten Weltkriegs. Darunter waren Angehörige aller ungefähr 100
Völker, die die Sowjetunion bewohnten. Ihre Leichen liegen nicht nur in der
Sowjetunion, sondern auch in Osteuropa, dem Balkan und in allen Teilen des
damaligen „Großdeutschen Reiches“. Auch in Gebieten, die die Rote Armee nie
erreichte, starben Kriegsgefangene, zivile Zwangsarbeiter,
Konzentrationslagerhäftlinge usw. Auch in Bremen. Die meisten davon liegen – nach
Umbettungen – heute auf dem Osterholzer Friedhof in Bremer Osten. Derzeit wird in
Bremen darum gestritten, ob man einen solchen angeblich geleerte Gräberstätte
wirtschaftlich nutzen soll, oder er für die Erinnerung erhalten werden soll. Auch weil
nach wie vor nicht geklärt ist, wie vollständig die damaligen Exhumierungen waren.
Wir sind aber nicht nur hier, um der Toten des Zweiten Weltkriegs zu gedenken.
Derzeit tobt ein Krieg in Europa. Russische Truppen sind in die Ukraine
eingedrungen und haben das Land mit Gewalt überzogen. Dies ist ohne Zweifel ein
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der zehntausenden auf beiden Seiten bisher das
Leben gekostet und Millionen zur Flucht aus ihrer Heimat getrieben hat.
Die russische Rechtfertigung dieses Einmarsches ist in Teilen richtig und in anderen
falsch bzw. schlichtweg gelogen. Eine Berechtigung für diesen Krieg kann sie nicht
sein. Das auch von Seiten der Ukraine und der Nato, der EU und anderen die Ukraine
unterstützenden Staaten die Öffentlichkeit belogen und betrogen wird, wird kaum
jemand ernsthaft leugnen können. Auch dies rechtfertigt das russische Vorgehen aber
eben sowenig.
Da ich Landesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bin und
sich meine Organisation auch intensiv mit Neofaschismus beschäftigt, lassen sie mich
nur so viel sagen. Weder die russische Regierung unter Präsident Putin, noch die
ukrainische Regierung unter Präsident Selensky sind faschistisch im Sinne einer
Nachfolge des NS-Regimes. Da beide Regierungen stark nationalistisch ausgerichtet
sind und sich gegen Minderheiten sowie linke und andere fortschrittliche
Bewegungen in ihrem eigenen Land richten, haben sie viele Gemeinsamkeiten mit
dem Faschismus. Beide Regime arbeiten auch mit faschistischen Gruppen in ihren
Ländern zusammen, anstatt antifaschistische Arbeit zu unterstützen.
Doch Putins historisches Vorbild ist eher das zaristische Russland als die Sowjetunion, wie unsere Informationsindustrie uns weismachen will. In Russland ist
es soweit gediehen, dass die derzeitige Regierung durch Wahlen – auch wenn sie pro
forma nach wie vor stattfinden – nicht mehr abgewählt werden kann.
Die verschiedenen ukrainischen Regierungen, soweit sie sich in der Nachfolge der
orangenen Revolutionen sehen, orientieren sich historisch an allen historischen
nationalistischen ukrainischen Bewegungen, die sich gegen Russland richteten. Das
gilt auch für die ukrainisch-faschistische Organisationen, die während der deutschen
Okkupation ab 1941 gegen sowjetische Partisanen und die Rote Armee kämpften und
sich am Holocaust in der Ukraine beteiligt haben.
(Organisation Ukrainischer Nationalisten (Organisazija Ukrainskich Nazionalistiw),
Stepan Bandera und der Ukrainischen Widerstands Armee (Ukrainska Powstanska
Armija))
Die ukrainische Regierung bedient sich dieser Faschisten – wie Stepan Bandera –,
weil sie gegen die verhasste Sowjetunion gekämpft haben. Ihre faschistische und
antisemitische Ideologie und ihre Beteiligung am Holocaust verschweigt sie dagegen.
Die Verbündeten der ukrainischen Regierung sind heute eher im Westen zu finden.
Dies erfordert ein Mindestmaß an demokratischer Beteiligung. Genauso wie das
herrschende Oligarchensystem in der Ukraine keine politische Richtung erlaubt, das
sich gegen das Oligarchensystem selbst richtet, bestenfalls werden die Oligarchen
ausgeschaltet, die eine unterlegene politische Richtung unterstützen.
Zur Kriegspropaganda in allen Kriegen gehört, dass die Fehler der Verbündeten
übersehen oder heruntergespielt werden, die der Gegenseite überbetont werden.
Insoweit ist die Bundesrepublik längst Kriegspartei. Die eigenen Aufrüstungsziele –
die als Planungen wohl schon seit Jahrzehnten existieren – können so endlich
gerechtfertigt und in die Praxis umgesetzt werden. Dass dies mit einer Stärkung der
eigenen Rüstungsindustrie verbunden ist, braucht hier kaum erwähnt zu werden. Um
diese Rüstungsunternehmen zu erhalten und deren Produktion auszuweiten müssen
immer mehr Waffen angeschafft und exportiert werden. Beschränkungen dieser
Exporte werden immer weiter gelockert und notfalls „Ausnahmegenehmigungen“
zum Regelfall werden. Internationale Konflikte werden angeheizt. Die
Gefahrendarstellung durch „Feinde“ – ob Staaten oder andere Gruppen – müssen den
etwaigen Waffenkäufern möglichst drastisch verdeutlicht werden.
Dies sind die logischen Folgen des „100-Milliarden-Programms“ und das Erreichen
des „2-Prozent-Wehretat-Zieles“ durch die Bundesregierung. Jede Aufrüstung von
welcher Seite auch immer führt zur weiteren Aufrüstung der „Gegenseite“.
Einflussreiche Lobbyverbände heizen die Spirale immer weiter an. Für wichtige
gesellschaftliche Projekte – wie z.B. der Umbau zur klimagerechten Gesellschaft und
der sozialen Abfederung dieses Prozesses – wird das Geld fehlen. Die soziale
Schieflage der Gesellschaft wird immer weiter kippen. Um Unruhen vorzubeugen
wird Apparat der inneren Sicherheit – trotz der Verfassungswidrigkeit ihrer Eingriffe – immer weiter ausgebaut und die Bewaffnung noch mehr verstärkt. Ein sich
selbsterhaltender Kreislauf.
Nur wir – als Teil einer dagegen stehenden Bevölkerung – können uns wehren, in
dem wir über die Logik der Aufrüstungsstrategie und ihrer Profiteure aufklären, uns
vernetzen, auf die Straße gehen und gegen Aufrüstung und für eine sozialgerechte
und ökologisch notwendige andere Verteilung des Einkommens und des Vermögens
in diesem Land eintreten.

Rede zum 8. Mai 11 Uhr auf der Reitbrake von Ulrich Stuwe, Vorsitzender der VVN-BdA, LV Bremen

12. Mai 2022

Heute ist der 77. Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus an der
Macht. Damit nahm auch der Große Vaterländische Krieg gegen Deutschland
ein Ende, der seit vor fast 81 Jahren begann. Die Menschen, deren Leichen die
Deutschen hier verscharren ließen, haben sich gegen den faschistischen
Überfall auf ihr Land gestemmt. Sie wurden nach ihrer Gefangennahme
gezwungen für die deutsche Kriegsmaschinerie zu arbeiten. Durch Hunger,
Auszehrung, Krankheiten oder Gewaltakte wurden sie um ihr meist noch junges
Leben gebracht.
Von den etwa 55 Millionen Toten des europäischen Krieges waren ungefähr 27
Millionen Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion. Rund die Hälfte der
Soldatinnen und Soldaten der Roten Armee in deutscher Kriegsgefangenschaft
lebte bei der Befreiung nicht mehr.
Trotz ihrer in der Geschichte der Kriege beispiellosen Anzahl an Toten und
Verwundeten gelang es der Roten Armee nicht nur die Sowjetunion, sondern
auch u.a. die Staaten Osteuropas, des Balkans und große Teile des Deutschen
Reichs vom Faschismus zu befreien.
Für Europa brachte dieses Ende des Zweiten Weltkriegs zwar nicht – wie die
deutsche Politik und Historie immer wieder verkündet – eine lange Periode des
Friedens. Bürgerkriege und militärische Aktionen in anderen Ländern fanden
auch in Europa in der Folgezeit immer wieder statt. Immerhin konnte ein Dritter
Weltkrieg bis zum Ende des Warschauer Paktes und der Sowjetunion aber
verhindert werden.
Erst das durch die Nato-Staaten unterstützte Auseinanderbrechen Jugoslawiens
in ihre Einzelstaaten führte zu längeren Kriegen. Bis sich die Nato-Staaten
entschlossen haben zugunsten der kosovarischen Unabhängigkeit einen
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Rest-Jugoslawien zu führen. Ein
Umstand, der in der westlichen Propaganda auch heute noch gerne
verschwiegen wird.
Heute führt die Russische Förderation ebenfalls einen völkerrechtswidrigen
Angriffskrieg in der Ukraine, der zehntausenden auf beiden Seiten bisher das
Leben gekostet hat und Millionen zur Flucht aus ihrer Heimat getrieben hat.Ich werde hier jetzt nicht auf die russische Rechtfertigung dieses Einmarsches
in die Ukraine eingehen. Sie ist in Teilen richtig und in anderen falsch bzw.
schlichtweg gelogen. Eine Berechtigung für diesen Krieg ist sie nicht. Das auch
von Seiten der Ukraine und der Nato, der EU und anderen die Ukraine
unterstützenden Staaten die Öffentlichkeit belogen und betrogen wird, wird
kaum jemand ernsthaft leugnen, rechtfertigt das russische Vorgehen aber
ebensowenig.
Das angesichts des russischen Angriffskriegs einige Staaten ihre
wirtschaftlichen und politischen Kontakte zur Russischen Förderation
einschränken und in Teilen beenden, mag noch nachvollziehbar sein. Warum
dies in kulturellen, sportlichen, persönlichen Bereichen auch passiert oder
zumindestens ein erheblicher Druck in dieser Hinsicht ausgeübt wird, bleibt mir
allerdings unklar. Angeblich sind im Westen diese Bereiche – im Unterschied zu
Russland – ja völlig unabhängig von politischer Einflussnahme. Das dies nicht
so ist, haben die Diskussionen und Handlungen der letzten Wochen auch in der
Bundesrepublik zur Genüge gezeigt. Dazu gehören auch Übergriffe auf wirklich
oder vermeintlich russischsprachige Menschen und Schändungen von
sowjetischen Kriegsdenk- und -ehrenmälern.
Auch hier an diesem Ort müssen wir verhindern, dass die russische Aggression
in der Ukraine dazu genutzt wird, die wirtschaftliche Nutzung dieses
Gräberfeldes zu rechtfertigen. Nicht nur, dass hier die sterblichen Überreste von
Menschen von allen ca. 100 Völkern der Sowjetunion – also auch Ukrainer –
liegen. Vor allem weil die Menschen der Sowjetunion nicht nur für ihre eigene,
sondern letztendlich auch für unsere Befreiung vom Faschismus gekämpft
haben. Dafür schulden wir ihnen – auch denen die meist elendig in
Gefangenschaft umgekommen sind – unseren Dank.
Die Aufrechterhaltung des persönlichen Austausches zwischen Menschen in
Deutschland und Russland in dieser Zeit ist eminent wichtig und richtig. Ein
solcher Dialog darf nicht bedeuten zur Konfliktvermeidung den Standpunkt des
anderen zu übernehmen oder dem anderen den eigenen Standpunkt aufzwingen
zu wollen. Doch auch dieser Krieg wird – hoffentlich recht bald – zu Ende
gehen. Auch danach sind so genannte zivilgesellschaftliche Kontakte zwischen
den Menschen der Russischen Förderation und der Bundesrepublik bitter nötig.
Damit diese Auseinandersetzung zwischen unseren verhärteten Regierungen
nicht doch noch zu einer weitaus größeren kriegerischen wird.

Teilnahme an der 1.Mai Demo in Bremen

12. Mai 2022

Rede von John Gerardu zurEinweihung des Gedenksteins für Julius Dickelam 7. Mai 2022 am Friedhof Buntentor

12. Mai 2022

Vielen Dank Dardo Balke und seinem Sohn Richie Gerardo
für euren musikalischen Beitrag zu dieser Veranstaltung.
Mein Name ist John Gerardu und ich darf Sie an diesem Ort
herzlich im Namen des Arbeitskreises „Erinnern an den März
1943“ begrüßen.
Dies gilt in erster Instanz Frau Simone Schuurhuizen, die
Witwe von Julius Dickel, sowie seiner Tochter Linda Dickel, die
gestern beide aus den Niederlanden angereist sind. (Hinweis
darauf, dass sie Deutsch verstehen, aber nicht sprechen).
Mein Dank gilt auch dem Historiker Dr. Hans Hesse, dessen
wissenschaftlichen Forschungen wir überhaupt verdanken,
soviel über das Schicksal der verfolgten Sinti und Roma in
Nordwest Deutschland allgemein zu wissen, insbesondere über
das der Familie Dickel.
Bedanken möchte ich mich beim Vorstand des Bremer Sinti
Vereins, namentlich bei Hermann Ernst und Marcus
Reichert, dafür dass ihr uns Einblick in die Geschichte und
Traditionen eures Volkes gewährt habt.
Martina Höhns als Vertreterin der Senatskanzlei möchte ich
ebenfalls danken. Sie und den Bürgermeister, Andreas
Bovenschulte, haben uns die Finanzierung des
Erinnerungssteins für Julius Dickel durch das Bremer Rathaus
ermöglicht.
Mein Dank gilt auch den Vertreter:innen von Umweltbetrieb
Bremen und vom Landesamt für Denkmalschutz, ohne
deren Unterstützung wir diesen Stein nicht hätten legen
können. Die Steinmetzin Katja Stelljes dafür, dass sie den
Stein und die Inschrift fachkundig gestaltet und montiert hat.
Donnerstag vor einer Woche hat übrigens der Beirat Neustadt
die Finanzierung einer DENKORTE Stele, die an die Verfolgung
der Sinti und Roma erinnert, bewilligt. Diese soll am 19.
November dieses Jahres im hinteren Teil dieses Friedhofs eingeweiht werden.

Dem Beirat Neustadt gebührt ebenfallsunseren Dank!
Der Arbeitskreis „Erinnern an den März ‚43“ möchte in der
Öffentlichkeit auf das Schicksal und vor allem die Verfolgung
der Sinti und Roma in Bremen aufmerksam machen. Dieser
Arbeitskreis der trifft regelmäßig zusammen. In ihm sind sowohl
der Sinti Verein Bremen und Bremerhaven, wie auch Hans
Hesse, die VVN-BdA, das Kulturzentrum Schlachthof und andere
vertreten.
Der Arbeitskreis benannte sich nach dem Datum der
Deportation der Sinti und Roma aus Nordwestdeutschland
während des Nationalsozialismus. Von hier ging es über den
Bremer Schlachthof nach Auschwitz-Birkenau.
Im Laufe seiner Recherchen stieß Hans Hesse u.a. auf das
Schicksal der fast vollständig ermordeten Familie Petrus Dickel,
von dem nur der Sohn Julius überleben würde. Weitere
Recherchen ergaben, dass sich das Familiengrab der Eltern von
Petrus Dickel immer noch auf dem Friedhof von Buntentor
befindet. 1929 wurde dessen Vater Johann nämlich hier
beerdigt. Es ist wahrscheinlich das älteste erhaltene Sinti Grab
in Bremen.
Ein Zufall ergab, dass wir uns wesentlich intensiver mit dieser
Familie befassten. 2019 fuhr ein Teil des Arbeitskreises nach
Westerbork in den Niederlanden. Das dortige
Erinnerungszentrum wurde im ehem. Durchgangslager
Westerbork eingerichtet. Von hier wurden ab Juli 1942
sämtliche 105.000 Juden und am 19. Mai 1944 fast 250 Sinti
und Roma aus den Niederlanden nach Auschwitz, Sobibor,
Theresienstadt und Bergen-Belsen deportiert.
Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter fragte uns, ob wir Auskunft zu
einer Familie Dickel in Bremen geben könnten. Hintergrund
dieser Frage war, dass sich eine Linda Dickel aus Rotterdam an
das Erinnerungszentrum in Westerbork gewandt hatte, ob sie
Informationen zu einem Julius Dickel aus Bremen hätten. Diese
Frage wurde an uns weitergeleitet. Als wir diese Frage bejahten,
erhielten wir ihre Kontaktdaten.
Zurück in Bremen tauchte Hans Hesse noch mehr in die
Geschichte der Familie ein, während ich, weil ich Niederländischspreche,

Kontakt mit Linda aufnahm. So schlossen wir
Bekanntschaft mit der Tochter von Julius Dickel. Erstmals erfuhr
sie von uns, was mit der Familie geschehen ist und welches
Schicksal konkret ihr Vater erlitten hat. Und das ist der einzig
schöne Teil dieser Geschichte.
Die andere Seite der Geschichte ist traurig und brutal.
Julius Dickel – und ich betone nochmals, er war der einzige
Überlebende seiner Familie – hat 1968 in Groningen Simone
Schuurhuizen geheiratet. Mit ihr bekam er Dezember ‚69 eine
Tochter, eben Linda. Traumatisiert durch seinen Aufenthalt in
mehreren NS-Lagern, beeinträchtigt durch die ständige
Einnahme von Medizin, darunter schwere Depressiva, lebte
Julius nach seiner Befreiung ein unstetes Leben. Nur 3-4 Jahre
nach der Geburt von Linda verließ er Frau und Kind in
Groningen. Seine Tochter hat er danach nie wiedergesehen.
Einsam ist Julius Dickel letztendlich 1993 in Offenburg/Baden
Württemberg gestorben. 25 Jahre später wurde sein Grab dort
eingeebnet, weil der Friedhofsverwaltung in Offenburg keine
Verwandten bekannt waren.
Linda hat weder Bilder von ihm, noch ist er in ihrem Gedächtnis
präsent geblieben. Auf Grund ihrer Erkrankung kann auch ihre
Mutter keine weiteren Auskünfte zu Julius geben.
Auf Wunsch von Linda haben wir uns drum gekümmert, dass es
einen Erinnerungsstein geben soll. Denn auch wir als
Arbeitskreis haben ein Interesse daran, dass an Julius Dickel
und seine Familie erinnert wird, denn ihre Geschichte steht
stellvertretend für das Schicksal vieler Sinti und Roma Familien.
Was macht genau die Bedeutung von Julius Dickel aus?
Julius wurde als eins von fünf Kindern der Eheleute Petrus und
Maria Albertine Dickel in Osnabrück geboren. Die Familie zog im
Frühling und Sommer mit ihren Wohnwagen durch den
Norddeutschen Raum, während sie sich ansonsten an mehreren
Adressen in Bremen aufhielt. Julius besuchte die Volksschule an
der heutigen Neustadtswall, Ecke Schulstraße, also hier in der
Neustadt.
Am 8. März 1943 wurde die Familie an ihrer damaligen Adresse
in der Stoteler Straße in Gröpelingen vom Kripo-Beamten Wilhelm Mündtrath verhaftet

und in den provisorisch als Lager
eingerichteten Schlachthof in Findorff gebracht.
Mündtrath war als Dienststellenleiter der Kripo-Leitstelle
Nordwest im Bremer Polizeihaus, die heutige Stadtbibliothek,
zuständig für die Verhaftung und Deportation sämtlicher Sinti
und Roma aus Bremen, Oldenburg und Stade. Nur wenige Tage
später wurden über 300 der inhaftierten Familien von
bremischen Kripobeamten, darunter Mündtrath persönlich, nach
Auschwitz-Birkenau ins sog. „Zigeunerfamilienlager“ gebracht.
Nur wenige von ihnen überlebten, andere waren sog.
„medizinischen“ oder „wissenschaftlich notwendigen“
Experimente ausgesetzt.
Der damals 16-jährige Julius Dickel wurde im Familienlager
ausgesondert, weil er körperlich stark genug erschien, um als
Arbeitssklave eingesetzt zu werden. Auf Anraten seiner Mutter
stimmte er die damit verbundene Verlegung ins Stammlager
Auschwitz zu.
Er überlebte diese Sklavenarbeit in Arbeitskommandos im KZ
Buchenwald, KZ Flossenburg und Theresienstadt.
In Theresienstadt erlebte er, körperlich und seelisch schwer
gezeichnet, seine Befreiung. Die folgenden Monate verbrachte
er in einem Krankenhaus, um eine Typhuserkrankung
auszukurieren.
Es gab weitere körperlichen Verletzungen:
durch einen SS-Mann war ihm ein Zahn ausgeschlagen worden;
ein Peitschenhieb brach ihm das Nasenbein; zudem musste er
während der KZ-Haft oft nachts draußen, auf dem kalten
Zementboden von Bahnhöfen, bei Regen und Kälte, schlafen.
Nach seiner Krankenhausentlassung fuhr Julius Dickel mit einem
Bustransport nach Bremen, der übrigens vom Bremer Carl Katz,
der Vorsteher der Jüdischen Gemeinde in Bremen und ebenfalls
Häftling in Theresienstadt, zusammengestellt worden war.
Hier angekommen wird er mit der schrecklichen Erkenntnis
konfrontiert, dass seine Eltern und Geschwister alle ermordet
worden sind. Er fühlt sich einsam und verlassen und beschließt
zum Grab seines Großvaters Johann auf dem Friedhof in
Buntentor zu gehen.
Von einem Friedhofswächter erfährt er, dass es noch einen
Onkel, einen Bruder seines Vaters, in den Niederlanden geben soll. Der war vor der Machtergreifung der Nazis in die
Niederlanden gezogen und hatte eine niederländische Frau
geheiratet. Dieser Onkel hatte 1931 auch seine Mutter Maria
Dickel, die Großmutter von Julius, zu sich in die Niederlanden
geholt. Als sie dort in Juni 1943 verstarb, gelingt es ihm sie auf
dem Buntentor Friedhof beerdigen zu lassen. Wie dies
geschehen konnte, als alle andere Familienmitglieder bereits in
Auschwitz-Birkenau waren, ist für uns immer noch ein Rätsel.
Julius beschließt bei seinem Onkel in Leersum/NL zu bleiben und
betreibt von dort, teilweise mit Unterstützung eines
niederländischen Anwalts, seine Wiedergutmachung. Sein
Antrag wird von der zuständigen Behörde sorgfältig geprüft,
denn für die „Beantwortung“ (bewusst zwischen
Anführungszeichen) dieser Frage sei es wichtig, (Zitat) „um
festzustellen, ob D. [gemeint ist Julius Dickel, d. A.] überhaupt
in seinem Leben schon gearbeitet hat oder evtl. als
arbeitsscheu zu betrachten ist.“
Zur Erinnerung: Julius Dickel war zum Zeitpunkt seiner
Deportation im März 1943 16 Jahre alt. Welche Arbeit soll er in
diesem Alter schon nachgegangen sein?
Julius litt, wie ich bereits gesagt habe, stark unter den Folgen
der Haft, insbesondere der Typhuserkrankung.
Ohnmachtsanfälle häuften sich. Ebenso tägliche Kopfschmerzen
und epileptische Anfälle. Außerdem litt er unter einer
angstneurotischen Depression. Insgesamt wurde erst 1964 ein
Verfolgungsschaden anerkannt, der eine 30%
Erwerbsminderung zur Folge gehabt hat.
1961 zeigt Julius Dickel den Kripo-Beamten Wilhelm Mündtrath
an, der übrigens auch hier in der Neustadt, in der Friedrich
Ebert Straße lebte.
Dickel warf Mündtrath vor, dass dieser gewusst haben musste,
(Zitat) „dass das Ziel unserer Reise ein Konzentrationslager
und damit die Vernichtung war.“ Er mache diese Aussage erst
jetzt, (Zitat) „weil ich glaubte, solche Personen wie Mündtrath
könnten auf Grund ihrer damaligen Tätigkeit nicht mehr verfolgt
werden.“
Die Anzeige hatte ein Ermittlungsverfahren gegen Wilhelm
Mündtrath zur Folge.Im September 1962 wurde das Ermittlungsverfahren jedoch
eingestellt. Man habe, so der Staatsanwalt, nicht beweisen
können, (Zitat) „dass er beim Transport von
Zigeunermischlingen aus Bremen am 8. März 1943 ins
Konzentrationslager Auschwitz gewusst hat, dass die dort
hinverlegten Menschen einmal getötet werden würden.“
Trotz dieses gescheiterten Versuchs einer justiziellen
Aufarbeitung der NS-Verbrechen an den Sinti und Roma in
Bremen, aber auch bundesweit, ist zu konstatieren, dass – wie
schon bei der Entnazifizierung — es die überlebenden Opfer
waren, die die Verfahren gegen die aus ihrer Sicht
verantwortlichen Kriminalpolizeibeamten initiierten. Ihre
unermüdlichen Versuche, so etwas wie Gerechtigkeit zu
erlangen, schufen quasi als Nebeneffekt überhaupt erst die
Quellen, die es späteren Historikern, wie Hans Hesse,
ermöglichten, die NS-Verbrechen aufzuarbeiten und zwar
weil die Täter in den Verhandlungen gezwungen wurden,
auszusagen,
weil die überlebenden Opfer als Zeugen des Geschehens
ihre Erlebnisse im wahrsten Sinne des Wortes zu Protokoll
gaben,
weil darüber hinaus Ermittlungen angestellt wurden, mit
denen die tatsächlichen oder behaupteten Lücken in der
amtlichen Quellenüberlieferung geschlossen werden
konnten.
Darin liegt der historische Wert dieser Aussagen, wie die von
Julius Dickel, trotz des ohne Zweifel unbefriedigenden Ausgangs
dieser Anzeigen und Wiedergutmachungsanfragen. Keiner der
beteiligten Beamten wurde verurteilt oder in der
Entnazifizierung über den Status eines „Mitläufers“
hinausgehend eingestuft.
Vergessen sollten wir außerdem nicht, wie die
Nachkriegsgesellschaft und die Behörden mit den aus den KZ’s
zurückkehrenden Sinti und Roma umgingen. Die ersten
siedelten sich u.a. in unmittelbarer Nähe von diesem Ort im
Geschwornenweg an. Sie stellten ihre Wohnwagen auf dem
Schulhof der durch alliierten Bombenangriffe zerstörten
Grundschule auf. Beschwerden aus der Nachbarschaft und von der Polizei führten hier

und woanders dazu, dass man die
Familien 1948 an einen zentralen Ort überführte: zum ehem. KZ
Riespott auf dem Gelände der heutigen Stahlwerke. Nur 7 Jahre
später, als die Klöckner Werke und der Senator für Häfen das
Gelände für andere Zwecke beanspruchten, wurden sie unter
Polizeiführung wiederum umgesiedelt, diesmal zur Mülldeponie
an der Warturmer Heer Straße, nicht weit vom „Storchennest“
entfernt.
Dazu ein Zitat des Regierungsdirektors Dr.Löbert aus der
Bürgerschaftsdebatte vom 18. Juni 1955:
„Ein Erfolg sei wenigstens bereits erreicht, denn die im Lager
Riespott ansässigen „Landfahrer“, von denen ein großer Teil
gebürtige Bremer waren, sind sesshaft geworden“. „Sie haben
somit die erste Stufe der Zivilisation erklommen.“
Verehrte Anwesende, Sie können Marcus und Hermann gerne
mal fragen, wie sie ihre Kindheit in Warturm auf diesem vom
damaligen Senat bereitgestellten Platz auf der Mülldeponie mit
seiner „höheren Zivilisationsstufe“ verbrachten. Dies war nach
der Deportation, die Nicht-Berücksichtigung bei der
Wiedergutmachung in der frühen Bundesrepublik bereits so
etwas wie eine „zweite Verfolgung“!
Nun möchte ich Linda Dickel das Wort erteilen (Kurzer
Redebeitrag, John übersetzt). Anschließend legt Linda einen
Blumenstrauß auf das Grab.
Dankeschön an die Anwesenden! Morgenfrüh um 11.00 Uhr gibt
es für Sie die Möglichkeit zu einer Stadtteilführung zum
Thema „Verfolgung von Sinti und Roma“, die Hans Hesse
und ich durchführen. Start ist ebenfalls bei der Kapelle und wir
besuchen nicht nur das Familiengrab Dickel, sondern auch das
Gräberfeld um anschließend noch eine kleine Wanderung zu
anderen Orten hier in der Nachbarschaft zu machen, die im
genannten Kontext erwähnenswert sind.
Schluss der Veranstaltung. Dardo und Richie spielen noch
ein Stück.

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