Gründungstage begehen und noch dazu einen sechzigjährigen wie heute Abend bedeutet nicht nur feiern. Das außergewöhnliche Jubiläum beinhaltet zugleich einen Auftrag.
Herr Bürgermeister, liebe Kameradinnen und Kameraden, liebe Freunde aus Meensel-Kiezegem, sehr geehrte Anwesende,
Gründungstage begehen und noch dazu einen sechzigjährigen wie heute Abend bedeutet nicht nur feiern. Das außergewöhnliche Jubiläum beinhaltet zugleich einen Auftrag. Feiern heißt immer auch ein wenig Abschied nehmen von einem Zeitabschnitt. Er wird betrachtet mit Rückblick, Erinnerung und Stolz. Das heißt auch, dass bewertet und der Blick auf die Zukunft gerichtet wird. Ich erinnere mich der Worte des niederländischen Sängers Stef Bros mit seinem Lied und Refrain: „Immer wenn du denkst – das ist das Ende – stehst du an der Grenze zu einem Beginn“.
Genau das ist hier vor 60 Jahren auch geschehen. Deutsche standen am Anfang einer „deutschen Zukunft“. Einer Zukunft, die durch Nazi-Vergangenheit gezeichnet war. Einem Augenblick, in dem der Wille ohne Faschismus zu leben notwendig schien. Der Krieg war vorbei, menschliches Leid nicht vergessen. Wie konnten wir das zulassen?
Als Verfolgte des Faschismus zusammengeschlossen, entwickelten sich ihre Vorläufer von auf sich bezogenen Bangbüxen mit einer leidenschaftlichen Stärke und unvorstellbarer Dynamik zu ausgesprochen mutigen Streitern. Sie hatten die drohende Wiederholung und Gefahr einer Wiederbelebung des Vergangenen vor Augen. Das stärkte ihre Kraft, den Kampf gegen den Faschismus fortzusetzen. Diese Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes zog gleichsam eine Grenze, um zu verhindern, dass sich eine solche wahnwitzige Menschheitsgeschichte jemals wiederholt. Dazu kam, dass sich die Verfolgten bewusst waren, welchem Unheil sie entkommen waren. Im Widerstand und Protest, die die Welt veränderten, in unsichtbaren Siegen zum Ausdruck kamen, die unauffällig in einem historischen Rückblick zu Tage traten, wurde der unerbittliche Kampf der Antifaschisten ins Leben gerufen.
Vorläufer, Aktive von der ersten Stunde an, Freiwillige und Unterstützer von heute, keinen können wir unsterblich machen. Aber ihre schwierige Aufgabe können wir vor dem Vergessen bewahren. Unvergesslich der Beweis dafür wird heute nach 60 Jahren erbracht.
Aufbruch in die Zukunft hieß es auch für die Stiftung Meensel-Kiezegem 44, als wir endlich beschlossen auf Spurensuche zu gehen nach den über 60 Mitbürgern, unseren Opfern des Nazi-Regimes, umgebracht und zurückgelassen in verschiedenen Lagern. Eine Spurensuche nach einer Verschleppung mit tödlichem Ausgang. Neuengamme blieb seit 1998 der Dreh- und Angelpunkt. Bremen war die große Unbekannte auf unserer Suche. Bis wir 2002 unerwartet in Kontakt mit Eurem Vorsitzenden Raimund Gaebelein kamen, der uns hilfsbereit einlud. Das ist genau fünf Jahre her. Die ersten Briefe, die ersten Berichte über das Gästebuch auf unserer Internetseite, sein selbstloser Einsatz und Eingreifen, sein Rat und Informationen führten zu
– einer Auseinandersetzung mit der bestürzenden Entdeckung der großen Zahl von Neuengamme-Außenlagern
– einem Durchforsten Bremens auf der Suche nach fluchbeladenen Einsatzorten
– einem Aufsuchen gut gepflegter Grabanlagen, die uns bis dahin unbekannt waren
– einem festen Programmpunkt mit Besuch von Schützenhof, Blumenthal und Farge
– einer besonderen Begegnung mit jungen Leuten, Schulen und Zeitzeugen
Nach und nach bekam das Unbekannte für uns ein Gesicht. Eine Umkehr in unserem Erleben. Der unwiderstehliche Drang mit großem Interesse wiederzukommen.
Bremen wurde Haltepunkt auf unserer jährlichen Gedenkreise. Bremen, dem wir schon früher mit versöhnlicher Haltung entgegentraten, hat sich heute zu einer Haustür entwickelt, durch die wir weitere Lagerorte woanders besuchen können. Inzwischen sind wir uns der heilsamen Kraft dieser Begegnungen bewusst, vor allem der Kontakte mit noch lebenden Zeitzeugen. Die Wachstumsziele beider Vereinigungen bewirken, dass wir das heute ungebrochen als Freunde befestigen können: Zusammenarbeit beim antifaschistischen Gedenken und stetig wachsam sein für Demokratie, Freiheit und Beachtung der Rechte aller Menschen. Herr Vorsitzender, lieber Freund Raimund Gaebelein, herzlichen Glückwunsch zum 60. Jahrestag der Gründung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Ich möchte mich persönlich und im Namen der Stiftung Meensel-Kiezegem 44 für die Einladung zum heutigen Abend bedanken. Unsere zehnte Gedenkreise wird damit eine unauslöschliche Erinnerung erhalten. Wir wissen, dass unsere Zeit begrenzt ist. Hier dabei sein zu können ist eine große Anerkennung und ein würdiges Geschenk an die Stiftung Meensel-Kiezegem 44. Mit respektvoller Dankbarkeit verdient es dann auch eine tiefe Verbeugung und ein wohlgemeintes: Danke für alles.




