Ansprache auf dem Bremer Marktplatz zum Gedenken an die November Revolution
24. November 2019
Anfang November 1918 war Deutschland friedensbereit. Die Kieler Matrosen wehrten sich gegen ein erneutes, sinnloses Auslaufen der Flotte. Die revolutionäre Welle erfasste ganz Norddeutschland. Die Unabhängigen Sozialdemokraten forderten einen unverzüglichen Waffenstillstand und die Aufhebung des Belagerungszustandes. Auch in Bremen wurde am 06. 11. ein Soldatenrat gegründet. Ausgehend von der AG Weser in Gröpelingen und weiteren Großbetrieben schlossen sich Arbeiter- und Soldatenrat drei Tage später zusammen. Adam Frasunkiewicz verkündete dies vom Balkon des Rathauses. Ein Arbeitsausschuss wurde gebildet. Im gehörten Unabhängige Sozialdemokraten und Bremer Linksradikale an.
Nach vier Jahren Materialschlacht, Hunger, Arbeit bis zur Erschöpfung sehnten sich die Menschen nach Frieden. Die Briefe der sozialdemokratischen Arbeiterfamilie Pöland belegt das sehr deutlich. Tausende Bremer Proletarier waren in den Kriegsjahren 1916, 1917, 1918 aus den Betrieben und Wohnquartieren zum Rathaus gezogen, forderten das Ende von Krieg und Hunger, und die Freilassung der politischen Gefangenen, allen voran Karl Liebknechts. Sie brauchten Arbeit, die Versorgung war zu regeln, vor allem auch die der Hinterbliebenen. Ende Dezember 1918 kamen die Soldaten zurück von der Front, immer noch erfüllt von den Durchhalteparolen. Ihnen mussten die Waffen aus der Hand genommen werden, damit sie nicht von ihren Offizieren gegen die Revolution gerichtet werden konnten.
Vor dem Arbeiter- und Soldatenrat stand eine Fülle an Aufgaben, die Erwerbslosenfürsorge musste sichergestellt werden, die Bewaffnung der Arbeiterschaft bildete den Hauptstreitpunkt zwischen Arbeitern und Soldaten. Die Verwaltung blieb unverändert bestehen. Erst am 10. Januar 1919 übernahm der Arbeiter- und Soldatenrat die unmittelbare Kontrolle. Die Spitzen der Verwaltung wurden abgesetzt, gesetzgebende und ausführende Gewalt in eine Hand genommen. Die Banken sperrten darauf die Gehaltsauszahlungen für die öffentlichen Bediensteten. Der Sozialistischen Republik Bremen wurde die Luft abgedreht. Die Abhaltung allgemeiner Wahlen wurde nun nicht mehr ausgeschlossen.
Das Bürgertum versuchte sich nach Zurückdrängung von der politischen Macht mit einem Bürgerausschuss wieder Geltung zu verschaffen. Die Handelsverbindungen zu England spielten dabei eine entscheidende Rolle, vor allem wegen der Lebensmittelversorgung. Sie drangen im Verbund mit der MSPD auf allgemeine Wahlen zu einer bremischen Nationalversammlung. Gleichzeitig schickte die Handelskammer ihren Präses Ludwig Roselius nach Berlin, um von Ebert und Noske die Wiederherstellung der alten Zustände einzufordern. 350 Bürgersöhne stellten sich unter dem Kommando Major Casparis als Freikorps der von Berlin entsandten Division Gerstenberg zur Seite.
Noske ordnete den militärischen Einsatz gegen Bremen an. Trotz Verdener Abkommens zwischen den Gerstenbergern und den Arbeiter- und Soldatenräten Norddeutschlands am 02. Februar, trotz Bereitschaft, die Räterepublik aufzulösen und die Waffen gegen eine Zusicherung, nicht einzumarschieren, den norddeutschen Soldatenräten abzuliefern, stellte Noske die ultimative Forderung die Waffen unverzüglich der Division Gerstenberg auszuhändigen und ordnete den militärischen Einmarsch an.
Die Bilanz waren 78 Tote, darunter dreißig Verteidiger. Das Standrecht wurde verhängt, die Gerstenberger besetzten die AG Weser. Durch eine Arbeitsniederlegung wurde nach kurzer Zeit ihr Abzug erzwungen. Ein allgemeiner Streik am 18./19. Februar erreichte die Freilassung der inhaftierten Arbeiter.
Nur drei Wochen bestand die Bremer Sozialistische Republik, vorausgegangen waren zwei Monate Doppelherrschaft. Bremer Arbeiterinnen und Arbeiter wurden erstmals handelndes Subjekt. Die Kontrolle der Großbetriebe beschränkte sich in den folgenden Jahren auf Mitsprache der Betriebsräte in Fragen der Arbeitsbedingungen. Dem Ausschuss für das Fabrikwesen war es um mehr gegangen. Die Demobilisierten sollten ihre alten Arbeitsstellen wieder erhalten, vor einer Entlassung sollten sie Sicherheit erhalten, eine neue Stelle antreten zu können. Die Tarifverträge sollten in Kraft bleiben.
Zu Beginn der Revolution forderten die entschlosseneren Teile der Arbeiterbewegung die Nationalisierung des gesamten Bankkapitals, der Bergwerke und Hütten, der volkswirtschaftlich wichtigen Großbetriebe, des Groß- und Mittelgrundbesitzes. Wäre es gelungen, nicht alleine in dem recht isolierten Bremen, sondern im Verbund mit zur gleichen Zeit bestehenden Räten in Petersburg und Moskau, Budapest, Turin, München und Braunschweig, so wären Vorbereitungen auf einen erneuten Weltkrieg gar nicht erst möglich gewesen. Die Ausrufung der Sozialistischen Republik Bremen war ein konsequenter Schritt. Die Solidaritätserklärung gegenüber dem Kampf ums Zeitungsviertel in Berlin legt nahe, dass ihre Ausrufung im Rahmen einer Weiterführung der Novemberrevolution lag.
Was ist von der Rätebewegung geblieben? Was ist nutzbar zu machen in der heutigen Situation? Die zentrale Frage zum Ende des Großen Krieges war die Forderung nach Frieden. Wir erleben heute, dass die jahrzehntelangen Bemühungen um Abrüstung und Entspannung gefährdet ist, dass im Kalten Krieg geschlossene Verträge aufgekündigt werden, eine neue Form der Kanonenbootpolitik mit sehr viel gefährlicheren Massenvernichtungsmitteln betrieben wird, die das Säbelrasseln zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Schatten stellt. Wir erleben eine weltweite veränderte Wirtschaftslage, die Auflösung traditioneller Lebens- und Arbeitsformen. Heute geht es um die Existenz der Menschheit am Rande einer Klimakatastrophe, die von Menschen gemacht und von Profitgier gesteuert ist. Heute geht es um die Gefahr eines weltweiten Nuklearkrieges, wo doch Atomsprengköpfe im Südwesten Deutschlands gelagert sind.
Die Frage der Rüstungskonversion ist angesichts geschrumpfter Belegschaften in den heute weltweit agierenden Großbetrieben weitgehend verstummt. Die Friedensbewegung hat totz einer wachsenden Kriegsgefahr erheblich an Zuspruch verloren. Entscheidungen scheinen angesichts zunehmender Fusionierung global agierender Rüstungsunternehmen mehr und mehr dem Zugriff der Belegschaften entzogen. Mitbestimmungsrechte werden mit dem Ausgliedern der Belegschaften für große Teile der ArbeitnehmerInnen hinfällig. Heute geht es um die wirtschaftliche und berufliche Existenz von Millionen Jugendlichen weltweit, die ihr Recht auf Zukunft, ihr Recht auf Leben einfordern.
Das Gefühl abgehängt zu sein hat große Teile des Mittelstands ergriffen. Es greift weit bis in die arbeitende Bevölkerung hinein. Gewerkschaften kümmern sich bei weitem zu wenig um die Ausgegliederten und Abgehängten. Gewerkschaftliche Bildungsarbeit ist seit Jahrzehnten zu Recht bemüht, Grundlagen für bessere berufliche Qualifizierung zu schaffen. Grundlegende Fragen der Spaltung der Gesellschaft, das Verhältnis von Kapital und Arbeit, die Frage des Mehrwerts, Arbeitswerttheorien werden stiefmütterlich zur Seite geschoben. Das gesellschaftliche Bewusstsein der Notwendigkeit einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft wird zugunsten einer verstärkten Beteiligung am Bestehenden aufgegeben.
Es is unumgänglich, den rückwärtsgewandten dumpfen völkischen Geist offensiv zurückzuweisen. Politischer Mord galt damals wie heute denen, die grundlegende Veränderungen der Gesellschaft anstrebten. Waren es Anfang der Zwanziger Jahre die Freikorps, die selbst politische Gegner im Bürgertum als sogenannte Erfüllungspolitiker hingerichtet haben, so sehen wir heute erneut Angriffe auf Personen, die dem völkischen Geist nicht entsprechen oder sich rückwärtsgewandtem Handeln entgegenstellen. Anschläge auf Politiker sind längst nicht mehr nur verbal. Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten, die Messerattacke gegen Kölns Oberbürgermeisterin, erschüttern den bisherigen Konsens in der politischen Auseinandersetzung. Waffenfunde bei bekannten Rechten, rechte Netzwerke bei KSK und Polizei, die Vertuschung des Umfangs an Wissen der bundesdeutschen Geheimdienste an an der Entwicklung terroristischer Netzwerke sind ein Warnsignal einer Veränderung Herrschaftsausübung. Warnsignale, dass eine Bedrohung unserer Verfassungsstruktur denkbar wird, dass das Trennungsgebot von Geheimdienst und Polizei,Militär und Polizei unabdingbar ist. In Teilen Europas wird sogar daran gearbeitet, die Unabhängigkeit der Justiz staatlichem Handeln unterzuordnen. „Der Feind steht rechts“, diese Aussage von Joseph Hermann Wirth gilt heute mehr denn je.
Raimund Gaebelein Ansprache am 16.11.19 auf dem Bremer Marktplatz