Die Ausnahme. Oktober 1943. Wie die dänischen Juden mithilfe ihrer Mitbürger der Vernichtung entkamen.
10. Juli 2014
Für die einen ist er der „Geheimnisvoller Mister X“ für die anderen der „Der Schindler von Kopenhagen“. Gemeint ist Georg Ferdinand Duckwitz.
Er wurde am 29. September 1904 in Bremen als Sohn einer alteingesessenen Bremer Kaufmannsfamilie geboren und ist der Urenkel des Bremer Kaufmanns und Bürgermeisters Arnold Duckwitz. Sein Neffe 2. Grades Edmund Duckwitz ist in seine Fußstapfen getreten und seit Oktober 2010 deutscher Botschafter in Mexiko. Zuvor war er Ständiger Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Europäischen Union in Brüssel („Ohne meinen Onkel wäre ich nicht Diplomat“).
Georg Ferdinand Duckwitz war Mitglied eines Freikorps, studierte Nationalökonomie an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, schloss sich dem der dortigen schlagenden Corps Rhenania Freiburg an, brach das Studium ab und trat in den Dienst von Kaffee Hag, ging für das Unternehmen als Niederlassungsleiter nach Kopenhagen, war von den Ideen Adolf Hitlers begeistert und wurde schon 1932 Mitglied der NSDAP. Kurzum – seine NS-Karriere war eigentlich vorprogrammiert. Doch nach dem Röhm-Putsch 1934 begann bei Duckwitz ein Umdenken. Er distanziertere sich innerlich von der Partei ohne allerdings auszutreten.
Am 01. Juli 1933 begann Duckwitz seinen Dienst in dem neu geschaffenen Außenpolitischen Amt in Berlin (APA), der außenpolitischen Abteilung der Partei. Bereits im Juni 1935, quittierte Duckwitz den Dienst. Er schrieb an den Leiter des APA, Alfred Rosenberg: „Meine nunmehr zweijährige Tätigkeit in der Reichsleitung der N.S.D.A.P. hat mich erkennen lassen, dass ich mich im Wesen und in der Zielsetzung der nationalsozialistischen Bewegung so grundlegend getäuscht habe, dass ich als mir selbst gegenüber ehrlicher Mensch nicht mehr in der Lage bin, innerhalb dieser Bewegung zu arbeiten.“ Da Rosenberg Duckwitz mochte, blieb der Brief folgenlos.
1939 ging er zum Reichsverkehrsministerium und gelang durch die massive Fürsprache von Admirals Canaris als Schifffahrtsachverständigen nach Kopenhagen. 1941 wechselte in das Auswärtige Amt. Seit 1941 hatte er nicht nur Kontakte zum Kreis um Goerdeler und den Widerständlern des 20. Juli 1944, er war der wichtigste Vertreter in Skandinavien. Er war sich der Gefahr für sich und seiner Frau bewusst. Nach dem 20. Juli 1944 trugen beide ständig Zyankalipillen mit sich. So befahl Otto Bovensiepen (Dänemarks Leiter der Sicherheitspolizei und des SDs, SS-Standartenführer und Oberst der Polizei), kurz vor Ende des Krieges die Erschießung von Duckwitz und seiner Frau. Beide konnten glücklicherweise rechtzeitig untertauchen.
Am 28. September 1943, also am Tag des Jom Kippur, der heiligste jüdische Fest- und Feiertag des Jahres, wo alle Juden zuhause waren, sollte die „Judenaktion“ auch in Dänemark sattfinden. Duckwitz wurde der Termin früh gewahr und konnte vor allem mit Hilfe der dänischen Fischer ca. 6.500 Juden und ca. 1.370 Halbjuden nach Schweden retten. Durch das Schweigen von Dr. Werner Best, dem „Schlächter von Paris“ und deutscher Statthalter in Dänemark, war hilfreich. Best war das Ende des „Dritten Reiches“ bewusst und wollte somit Pluspunkte für das Danach sammeln. Lediglich 472 Juden wurden von der Gestapo aufgegriffen und nach KZ Theresienstadt verschleppt, 423 von ihnen überlebten. 1971 wurde er von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete Duckwitz zunächst in Kopenhagen als Vertreter der westdeutschen Handelskammern. Bei der Wiedergründung des Auswärtigen Amtes war er Leiter der Wirtschaftsabteilung beim Generalkonsulat in Kopenhagen. 1953 wurde er Konsul in Helsinki. Im Jahr 1955 kehrte er als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland nach Kopenhagen zurück. 1958 wurde er Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes in Bonn. Danach wechselte er auf den Posten des deutschen Botschafters in Indien nach Neu-Delhi. 1965 wurde er auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt. Durch seine Zeit als Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes hatte er engen Kontakt zu Willy Brandt, dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin. Er teilte die Notwendigkeit einer neuen Ostpolitik. Als Brandt im Jahr 1966 Bundesaußenminister wurde, holte er 1967 Duckwitz als Staatssekretär in den aktiven Dienst zurück. Duckwitz blieb es auch unter Walter Scheel. Nach dem Abschluss des Warschauer Vertrags über die deutsch-polnischen Beziehungen (Duckwitz war hier der Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland) trat er endgültig in den Ruhestand. Er starb am 16. Februar 1973 und wurde auf dem Riensberger Friedhof in Bremen beigesetzt. In Vegesack wurde der „Kleiner Markt“ in „Botschafter-Duckwitz-Platz“ umbenannt.
Bo Lidegaard hat ein gutes Buch über die Rettung der dänischen Juden geschrieben: „Die Ausnahme. Oktober 1943. Wie die dänischen Juden mithilfe ihrer Mitbürger der Vernichtung entkamen.“ Blessing Verlag, München 2013, 591 Seiten, EUR 24,99, ISBN 978-389667-510-1.