Rede vom 8. Mai 18.30 Uhr auf dem Marktplatzvon Ulrich Stuwe, Vorsitzender der VVN-BdA, LV Bremen

12. Mai 2022

Werte Anwesende,
heute jährt sich zum 77. mal die Befreiung Europas vom Faschismus durch die
Alliierten des Zweiten Weltkriegs.
Mit etwa 27 Millionen von 55 Millionen Kriegstoten trug die Sowjetunion die
Hauptlast des Zweiten Weltkriegs. Darunter waren Angehörige aller ungefähr 100
Völker, die die Sowjetunion bewohnten. Ihre Leichen liegen nicht nur in der
Sowjetunion, sondern auch in Osteuropa, dem Balkan und in allen Teilen des
damaligen „Großdeutschen Reiches“. Auch in Gebieten, die die Rote Armee nie
erreichte, starben Kriegsgefangene, zivile Zwangsarbeiter,
Konzentrationslagerhäftlinge usw. Auch in Bremen. Die meisten davon liegen – nach
Umbettungen – heute auf dem Osterholzer Friedhof in Bremer Osten. Derzeit wird in
Bremen darum gestritten, ob man einen solchen angeblich geleerte Gräberstätte
wirtschaftlich nutzen soll, oder er für die Erinnerung erhalten werden soll. Auch weil
nach wie vor nicht geklärt ist, wie vollständig die damaligen Exhumierungen waren.
Wir sind aber nicht nur hier, um der Toten des Zweiten Weltkriegs zu gedenken.
Derzeit tobt ein Krieg in Europa. Russische Truppen sind in die Ukraine
eingedrungen und haben das Land mit Gewalt überzogen. Dies ist ohne Zweifel ein
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der zehntausenden auf beiden Seiten bisher das
Leben gekostet und Millionen zur Flucht aus ihrer Heimat getrieben hat.
Die russische Rechtfertigung dieses Einmarsches ist in Teilen richtig und in anderen
falsch bzw. schlichtweg gelogen. Eine Berechtigung für diesen Krieg kann sie nicht
sein. Das auch von Seiten der Ukraine und der Nato, der EU und anderen die Ukraine
unterstützenden Staaten die Öffentlichkeit belogen und betrogen wird, wird kaum
jemand ernsthaft leugnen können. Auch dies rechtfertigt das russische Vorgehen aber
eben sowenig.
Da ich Landesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bin und
sich meine Organisation auch intensiv mit Neofaschismus beschäftigt, lassen sie mich
nur so viel sagen. Weder die russische Regierung unter Präsident Putin, noch die
ukrainische Regierung unter Präsident Selensky sind faschistisch im Sinne einer
Nachfolge des NS-Regimes. Da beide Regierungen stark nationalistisch ausgerichtet
sind und sich gegen Minderheiten sowie linke und andere fortschrittliche
Bewegungen in ihrem eigenen Land richten, haben sie viele Gemeinsamkeiten mit
dem Faschismus. Beide Regime arbeiten auch mit faschistischen Gruppen in ihren
Ländern zusammen, anstatt antifaschistische Arbeit zu unterstützen.
Doch Putins historisches Vorbild ist eher das zaristische Russland als die Sowjetunion, wie unsere Informationsindustrie uns weismachen will. In Russland ist
es soweit gediehen, dass die derzeitige Regierung durch Wahlen – auch wenn sie pro
forma nach wie vor stattfinden – nicht mehr abgewählt werden kann.
Die verschiedenen ukrainischen Regierungen, soweit sie sich in der Nachfolge der
orangenen Revolutionen sehen, orientieren sich historisch an allen historischen
nationalistischen ukrainischen Bewegungen, die sich gegen Russland richteten. Das
gilt auch für die ukrainisch-faschistische Organisationen, die während der deutschen
Okkupation ab 1941 gegen sowjetische Partisanen und die Rote Armee kämpften und
sich am Holocaust in der Ukraine beteiligt haben.
(Organisation Ukrainischer Nationalisten (Organisazija Ukrainskich Nazionalistiw),
Stepan Bandera und der Ukrainischen Widerstands Armee (Ukrainska Powstanska
Armija))
Die ukrainische Regierung bedient sich dieser Faschisten – wie Stepan Bandera –,
weil sie gegen die verhasste Sowjetunion gekämpft haben. Ihre faschistische und
antisemitische Ideologie und ihre Beteiligung am Holocaust verschweigt sie dagegen.
Die Verbündeten der ukrainischen Regierung sind heute eher im Westen zu finden.
Dies erfordert ein Mindestmaß an demokratischer Beteiligung. Genauso wie das
herrschende Oligarchensystem in der Ukraine keine politische Richtung erlaubt, das
sich gegen das Oligarchensystem selbst richtet, bestenfalls werden die Oligarchen
ausgeschaltet, die eine unterlegene politische Richtung unterstützen.
Zur Kriegspropaganda in allen Kriegen gehört, dass die Fehler der Verbündeten
übersehen oder heruntergespielt werden, die der Gegenseite überbetont werden.
Insoweit ist die Bundesrepublik längst Kriegspartei. Die eigenen Aufrüstungsziele –
die als Planungen wohl schon seit Jahrzehnten existieren – können so endlich
gerechtfertigt und in die Praxis umgesetzt werden. Dass dies mit einer Stärkung der
eigenen Rüstungsindustrie verbunden ist, braucht hier kaum erwähnt zu werden. Um
diese Rüstungsunternehmen zu erhalten und deren Produktion auszuweiten müssen
immer mehr Waffen angeschafft und exportiert werden. Beschränkungen dieser
Exporte werden immer weiter gelockert und notfalls „Ausnahmegenehmigungen“
zum Regelfall werden. Internationale Konflikte werden angeheizt. Die
Gefahrendarstellung durch „Feinde“ – ob Staaten oder andere Gruppen – müssen den
etwaigen Waffenkäufern möglichst drastisch verdeutlicht werden.
Dies sind die logischen Folgen des „100-Milliarden-Programms“ und das Erreichen
des „2-Prozent-Wehretat-Zieles“ durch die Bundesregierung. Jede Aufrüstung von
welcher Seite auch immer führt zur weiteren Aufrüstung der „Gegenseite“.
Einflussreiche Lobbyverbände heizen die Spirale immer weiter an. Für wichtige
gesellschaftliche Projekte – wie z.B. der Umbau zur klimagerechten Gesellschaft und
der sozialen Abfederung dieses Prozesses – wird das Geld fehlen. Die soziale
Schieflage der Gesellschaft wird immer weiter kippen. Um Unruhen vorzubeugen
wird Apparat der inneren Sicherheit – trotz der Verfassungswidrigkeit ihrer Eingriffe – immer weiter ausgebaut und die Bewaffnung noch mehr verstärkt. Ein sich
selbsterhaltender Kreislauf.
Nur wir – als Teil einer dagegen stehenden Bevölkerung – können uns wehren, in
dem wir über die Logik der Aufrüstungsstrategie und ihrer Profiteure aufklären, uns
vernetzen, auf die Straße gehen und gegen Aufrüstung und für eine sozialgerechte
und ökologisch notwendige andere Verteilung des Einkommens und des Vermögens
in diesem Land eintreten.