Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg

14. Mai 2020

„Zwölf Jahre Schrecken, zwölf Jahre der Unmenschlichkeit, der Entrechtung und Erniedrigung, der Verfolgung und der blutigsten Willkür liegen hinter uns. In Nacht und Grauen war Deutschland verstrickt, wie ein lastender Alp lag die Hitlerherrschaft auf allen, die noch menschlich fühlten, die noch freiheitlich empfanden, die noch selbständig denken konnten…“, schrieb die „Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus“ am 6. Mai 1945 im „Aufbau“, der ersten Zeitung nach der Befreiung durch die alliierten Truppen. Fast 46.000 Wohnungen waren zerstört, 55% des Wohnraums nicht mehr nutzbar. 965 Menschen waren aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen ermordet worden, unzählige starben als Soldaten und aufgrund der Bombardierungen. Transport-, Energie- und Versorgungssystem war völlig zusammengebrochen. Die Essensrationen auf 60% zusammengeschrumpft.

In 35 Stadtteil- und Ortsgruppen begann die KgF mit 6.500 Mitgliedern die Trümmerbeseitigung in Angriff zu nehmen. Nicht nur die Schutthalden mussten abgetragen, die Versorgung mit Lebensmitteln, Wohnraum, Grundversorgung und Arbeit gesichert werden. „Der Aufbau einer neuen Ordnung darf kein „Wiederaufbau“ sein, kein Wiederaufbau dessen, was vergangen ist, was von der Geschichte mit harter Hand hinweggefegt wurde!“ in den Betrieben war dem Einfluss faschistischen Denkens durch Herstellung demokratischer Strukturen entgegenzuwirken.

Im Sofortprogramm der KgF wurde die sofortige Auflösung der NSDAP und ihrer Gliederungen gefordert, die Freilassung der inhaftierten Antifaschisten, die Wiederherstellung der Grundrechte, die Gleichstellung aller ausländischen Arbeiter, die Wiederherstellung der Gewerkschaften und des Betriebsrätegesetzes, die Umstellung auf Friedensproduktion im Interesse der breiten Masse der Bevölkerung, eine Neubildung von Polizei, der Arbeitsämter und Verwaltung aus bewährten Antifaschisten, die kommunale Selbstverwaltung. Reparaturfähige Häuser und Wohnungen sollten wiederinstandgesetzt, über Bedarf hinausgehender Wohnraum beschlagnahmt, vorhandene Lebensmittel zentral erfasst und über Konsumgenossenschaften verteilt werden. Gas-, Wasser- und Stromversorgung, der öffentliche Nahverkehr, Reparatur der Kanalisation sollten sofort gesichert werden.

75 Jahre nach der Befreiung von Faschismus und Krieg stehen wir vor einer anderen Situation. Demokratische Strukturen wurden hergestellt, die Entnazifizierung blieb im aufkommenden Kalten Krieg unvollendet, Deutschland wurde in zwei Staaten gespalten, die Wirtschaft geriet nach zehn Jahren erneut in den Strudel einer Aufrüstungspolitik. Im aufkommenden Kalten Krieg waren die alten Kräfte aus Industrie und Großbanken, aus Militär und Verwaltung, aus Justiz und Polizei im Westen Deutschlands wieder gefragt. Schritt für Schritt wurden Antifaschisten aus dem öffentlichen Leben gedrängt, sahen sich Organisations- und Berufsverboten ausgesetzt. Zaghafte Pflänzchen der Rüstungskonversion vertrockneten nach dem Ende der sozialistischen Strukturen im Osten unseres Kontinents. Waffen werden in Krisengebiete verkauft, die Bundeswehr in 14 Staaten der Erde militärisch eingesetzt, in humanitärer Mission, wie es heute schamhaft heißt. Eine Neuaufteilung von Interessengebieten ist in vollem Gange, die Auseinandersetzung um Rohstoffe, unter Absicherung der Verkehrswege dorthin. Erneut sehen wir uns mit faschistischen Denkmodellen und Wertstrukturen konfrontiert, die bis in bürgerliche Parteien hinein aufgenommen werden und sie zu autoritären Maßnahmen drängen. Wirksame Gegenproteste sind in Zeiten einer Ausnahmesituation erheblich erschwert. Wachsam müssen wir sein, wollen wir nicht unter dem Deckmantel der Krankheitsbekämpfung eine allmähliche Aushebelung über lange Jahrzehnte hart erstrittener bürgerlicher und gewerkschaftlicher Rechte erleiden.
Raimund Gaebelein,Landesvorsitzender VVN-BdA Bremen, Rede zum 8.Mai