Rede 100-jähriges Rätegedenken- Gerrit Brüning

9. Februar 2019

Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Genossinnen und Genossen,

wir gedenken heute den Arbeitern, die im Kampf für die Verteidigung der Bremer Räterepublik ihr Leben gelassen haben. Sie teilten dieses Schicksal mit ihren Berliner Klassengenossen, die nach der Niederlage in den Januarkämpfen durch die unter dem Oberbefehl Gustav Noskes stehenden Frei-korps zu Tausenden ermordet worden sind – unter ihnen auch Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Leo Jogiches.
Und auch in Bremen war es Noske, der letztlich als selbsternannter Bluthund die Verantwortung trug, als er der Division Gerstenberg und dem Freikorps Caspari den am 4. Februar beginnenden Angriff auf Bremen befahl.
In seiner Rede vor der Deutschen Nationalversammlung vom 15. Februar 1919 rechtfertigte Gustav Noske den Überfall auf die Bremer Räterepublik mit folgenden Worten:
‚Deutschland kann nicht gesunden, kann sich nicht aus Elend und Not herausarbeiten, wenn der Wirrwarr in einem großen Teile des Landes andauert. Es ist nur eine ganz geringe Minderheit, die zum Bruderkampf hetzt. […] Wollen die Verblendeten oder Böswilligen nicht hören und sich dem Willen der großen Mehrheit des Volkes nicht fügen, so muss und soll ihnen mit aller Kraft entgegen-getreten werden.’
Dabei waren es nicht die Arbeiter, die Deutschland in Elend und Not gestürzt hatten, sondern die Großkapitalisten und die bürgerlichen Parteien, die mit Schützenhilfe durch die rechten SPD- und Gewerkschaftsführer den imperialistischen Weltkrieg vom Zaun gebrochen hatten. Vor diesem Hin-tergrund konnte jedes Herausarbeiten aus Elend und Not bei Fortexistenz des Imperialismus und Militarismus nur eine Vorbereitung auf das nächste Völkerschlachten sein. Ein Völkerschlachten das dann mit dem von den Nazi-Faschisten begonnenen Zweiten Weltkrieg kam, der noch viel verhee-render werden sollte als der erste.
Nein, die Verteidiger der Bremer Räterepublik – Kommunisten wie Unabhängige Sozialdemokraten – waren weder Verblendete noch Blödsinnige. Im Gegenteil! Als Kinder der bremischen Arbeiter-klasse hatten sie in Regierung und Kapital ihren Gegner klar erkannt, kämpften sie mit dem arbei-tenden Volk und für das arbeitende Volk: Sie kämpften um Frieden und Sozialismus!

In diesem Kampf – der doch im ganzen Deutschen Reich geführt wurde – stand Bremen auf einem vorgeschobenen Posten.
Diese vorgeschobene Position war letztlich aber auch das Verhängnis der Räterepublik, die als eine Art roter Leuchtturm zwar den Hass der gesamten Reaktion auf sich zog, nach der Niederschlagung der Berliner Januarkämpfe aber nur über wenige Verbündete verfügte.
Den stärksten Verbündeten hatte die Bremer Räterepublik an der Elbe. Während die MSPD-Führer sich noch am 1. Februar 1919 in der Sitzung des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrates darum bemühten, die konterrevolutionäre Bedrohung Bremens klein zu reden, organisierten die Unabhän-gigen und Kommunisten Freiwillige zur Unterstützung der Bremer Räterepublik. Und so standen am Morgen des 4. Februar 1919 1.500 revolutionäre Hamburger Arbeiter am ‚Hannoverschen Bahn-hof‘ zur Abfahrt nach Bremen bereit. Mit ihrer Hilfe hätte der Angriff auf Bremen vielleicht abge-wehrt und zumindest ein Verhandlungsfrieden erreicht werden können. Doch als sie durch einen gegenrevolutionären Beamtenstreik an der Fahrt nach Bremen gehindert wurden, standen die Ver-teidiger der Räterepublik nahezu alleine da. Einzig aus Cuxhaven waren revolutionäre Matrosen unter dem Kommando von Eugen Liby in unsere Hansestadt gekommen, um die Bremer Arbeiter im Kampf zu unterstützen.
Aus den Erinnerungen Josef Sosnas, die die Zeitung ‚Neues Echo‘ anlässlich des 50. Jahrestags der Niederschlagung der Bremer Räterepublik veröffentlichte, geht die Bitternis dieser Stunden her-vor:„Ich stellte mich am Nachmittag des 3. Februar freiwillig im Rathaus zu dem bevorstehenden Kampf, in der Überzeugung, daß die zugesagte Verstärkung aus Hamburg, Bremerhaven und Wil-helmshaven noch eine gute Wendung herbeiführen könnte. Doch sie wurden an der Fahrt gehindert und entwaffnet. Trotz großer Überlegenheit der Division Gerstenberg, die mit modernsten Kriegs-waffen ausgerüstet war, gelang es dieser erst abends – nach hartnäckigem Widerstand der 500 be-waffneten Arbeiter – der Stadt Herr zu werden. Bei diesem heroischen Kampf fielen 28 Verteidiger der Bremer Räterepublik.“
Die reaktionäre Soldateska setzte dann eine nur aus rechten Mehrheitssozialdemokraten bestehende provisorische Regierung ein, die sich sogleich ans Werk machte, die alten Gewalten wiedereinzuset-zen.
Aber, so fährt Sosna fort, der Kampf war nicht vergebens, denn die Verteidiger der Bremer Rätere-publik „gaben ihr Leben für eine große Idee: die Sozialistische Deutsche Räterepublik, die durch die Beseitigung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung eine friedliche Zukunft für die Menschheit ohne Krieg bringen sollte.“
Und bis heute ist diese große Idee lebendig geblieben; auch heute geht der Kampf der Verteidiger der Bremer Räterepublik weiter!

Liebe Freundinnen und Freunde,
Liebe Genossinnen und Genossen,

die Lehren der Novemberrevolution und der Bremer Räterepublik lassen sich nicht ohne weiteres auf unsere heutige Situation übertragen, denn heute leben wir bekanntermaßen nicht in revolutionä-ren Zeiten. Aber auch wenn sich die Form der Auseinandersetzung geändert hat, die Ziele des Kampfes bleiben doch die gleichen. Auch im Jahre 2019 kämpfen wir gemeinsam für die Erhaltung des Friedens, gegen die Rechtsentwicklung, die in ganz Europa, aber auch in weiten Teilen der Welt vor sich geht, und für demokratischen und sozialen Fortschritt.

Vor allem der Frieden ist heute stärker bedroht als noch vor wenigen Jahren. Und noch immer ist es der Imperialismus, von dem diese Bedrohung ausgeht. Aber die Folgen eines Krieges wären heute, vor dem Hintergrund der Nuklear- und anderer Massenvernichtungswaffen, ungleich größer als im Jahre 1914. Heute stünden nicht nur Menschenleben, sondern die Existenz der Menschheit selbst auf dem Spiel!
Deshalb müssen wir gemeinsam gegen die wachsende Kriegsgefahr aktiv werden: Wir müssen wi-dersprechen, wenn russophobe Hetze geäußert wird – sei es in Zeitungen, sei es am Arbeitsplatz oder sogar im Rahmen des eigenen Freundes- und Familienkreises.
Wir müssen uns wehren gegen die Militarisierung unserer Schulen und Hochschulen, an denen noch immer Jugendliche für die Bundeswehr rekrutiert werden und an denen noch immer für den Krieg geforscht wird.
Es ist notwendig, politischen Druck aufzubauen gegen die Aufrüstungsbestrebungen der NATO und gegen die Versuche der sich zunehmend militarisierenden EU, eine europäische Interventions-armee aufzubauen.

Nein, die EU steht eben nicht für Frieden, wie es auch von Linken immer wieder zu hören ist! Sie ist kein fortschrittliches Projekt! Wer nach der Ausplünderung der europäischen Peripherie hierfür noch einen Beweis benötigt, möge nach Lateinamerika schauen. Es ist doch bezeichnend, dass ge-rade die Europäische Union nun zu den Scharfmachern gehört, die sich erdreisten der linken Regie-rung in Venezuela ein Ultimatum zu stellen! Ganz in der Tradition des europäischen Kolonialismus und gegen jedes Völkerrecht wird gedroht, den selbsternannten Putsch-Präsidenten Guaidó anzuer-kennen, sofern die souveräne venezolanische Regierung nicht binnen Tagen Neuwahlen ausruft. Zurecht hat Präsident Maduro dieses Ultimatum als Frechheit bezeichnet.
Die Europäische Union erklärt wie die Vereinigten Staaten von Amerika, es gehe darum, Demokra-tie nach Venezuela zu bringen. Ist es nicht seltsam, dass ihnen dies etwa in Bezug auf die Kopf-ab-Diktatur in Saudi-Arabien noch niemals in den Sinn gekommen ist? Wo ist die vielbeschworene Demokratie im Irak, in Libyen und Afghanistan, wo sie direkt mit militärischen Mitteln verbreitet werden sollte?
Nein, der EU und den USA geht es im Jahre 2019 ebensowenig um Demokratie wie es Noske um Demokratie ging, als er am 4. Februar 1919 in Bremen einmarschieren ließ.
In Wahrheit ging es damals wie heute darum, eine fortschrittliche Regierung zu stürzen und den Kapitalismus am Leben zu erhalten.
Statt ein Land seinen widerspruchsvollen Weg zum Sozialismus gehen zu lassen, sollen die sozialen Errungenschaften geschleift werden, von denen die arbeitenden Menschen Venezuelas profitiert haben, etwa die Verdoppelung der aufgewendeten Gelder für das Renten- und Sozialversicherungs-system oder der allgemeine Zugang zur Gesundheitsversorgung. Statt den Reichtum des Landes allen Venezolanern zugute kommen zu lassen, sollen die Ressourcen des Landes für die Profite der Großkonzerne ausgeplündert werden!

Wir, die wir heute zusammengekommen sind, um der Verteidiger der Bremer Räterepublik zu ge-denken, müssen ihren Kampf weiterführen, indem wir helfen, Venezuela gegen die Putschpläne des Imperialismus zu verteidigen, und indem wir in unserem Land um demokratischen und sozialen Fortschritt ringen. Denn nur wenn wir es schaffen, eine starke und kämpferische Linke zu formen, wird es uns gelingen, dem gegenwärtigen Erstarken rechter und faschistischer Parteien und Bewe-gungen wirksam entgegenzutreten.
Und nur wenn es uns gelingt, die arbeitenden Menschen für ihre eigenen Interessen in Bewegung zu setzen, werden wir perspektivisch in der Lage sein, den nächsten Anlauf zum Sozialismus zu neh-men!