Auswärts eingesetzt. Bremer Polizeibataillone und der Holocaust

geschrieben von Raimund Gaebelein

10. April 2012

Jahrzehntelang blieb die Geschichte der Bremer Polizeibataillone 105 und 303 im Dunkeln, ihr Kriegseinsatz in den besetzten Niederlanden und der besetzten Sowjetunion.

Jahrzehntelang blieb die Geschichte der Bremer Polizeibataillone 105 und 303 im Dunkeln, ihr Kriegseinsatz in den besetzten Niederlanden und der besetzten Sowjetunion. Den ersten Einsatz hatte das zu Kriegsbeginn 1939 aufgestellte Reserve Polizeibataillon 105 mit der Besetzung Norwegens. Mit dem Einfall in die Sowjetunion rückte es im Sommer 1941 über die baltischen Staaten bis zum eingeschlossenen Leningrad vor. Der Auftrag bestand in der „Sicherung des rückwärtigen Heeresgebiets“, in der Bekämpfung von Partisanen. Die Kriegstagebücher sind nicht mehr vorhanden, erhalten sind jedoch Briefe des Kaufmanns Hans Hespe. 500 Mann im Alter von 30-40 Jahren, Kaufleute, Handwerker, Angestellte zogen Ende Juni 1941 bis vor das belagerte Leningrad. Ihnen war freigestellt, „in eigener Verantwortung gegenüber der Zivilbevölkerung Exekutivmaßnahmen zu treffen.“ Bremer Polizisten exekutierten „aufgegriffene angebliche Heckenschützen“. Wälder, Dörfer, Häuser wurden nach flüchtigen Rotarmisten durchkämmt, aus der belagerten Stadt fliehende Zivilisten auf kurzen Haarschnitt untersucht. Bereits in den ersten Kriegstagen wurden Kommunisten und Juden unter den Kriegsgefangenen selektiert. Häuser und Scheunen wurden mit Handgranaten in Brand gesetzt, um Partisanen keine Rückzugsmöglichkeit zu erlauben. Um Menschen aufzuspüren, wurden alte Männer, Frauen, Kinder streng verhört. Von Januar 1942 wurde das Polizeibataillon 105 bis Kriegsende in den besetzten Niederlanden eingesetzt. Zunächst im Raum Den Haag zur Objektbewachung. Von 15. Juli 1942 an fuhren jeden Donnerstagmorgen zwei Sonderzüge mit 90.000 holländischen Juden vom Sammellager Westerbork nach Auschwitz. Die Transportbegleitung oblag Angehörigen des Bremer Polizeibataillons 105. Angehörige des Bremer Polizeibataillons ergriffen Juden bei Razzien und brachten sie zu bereitstehenden Güterzügen. Spätestens bei der Übergabe der Namenslisten an der Rampe in Auschwitz wussten sie, was mit den eingefangenen Juden geschah. Ende Mai 1945 wurden die Angehörigen des Bremer Polizeibataillons 105 von den Briten für sechs Monate in Esens interniert, bevor sie von den Amerikanern auf ihre Arbeitsfähigkeit untersucht und für die Verwendung im Polizeidienst freigestellt wurden. 188 von ihnen erschienen zur Wiedereinstellung. Der vormalige Spieß wurde verantwortlicher Mann im Innendienst. 26.000 Männer zwischen 18 und 30 wurden im Herbst 1939 in der Polizeikaserne Holdheim und in der Lettow-Vorbeck-Kaserne militärisch ausgebildet. Ende September 1940 wurden sie als Polizeibataillon 303 an die deutsch-sowjetische Grenze im besetzten Polen gebracht. Sie sollten die Einhaltung der nächtlichen Ausgangssperre für Juden überwachen, Schwarzhandel und Alkoholschmuggel unterbinden und auf Razzien in Krakau ausgehobene Juden in ein Sammellager an der Grenze „umsiedeln“. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion sollten sie gegen versprengte Rotarmisten vorgehen und das ostgalizische Erdölgebiet sichern. Das Bremer Polizeibataillon 303 war beteiligt an dem zweieinhalb Tage währenden Massenmord an 33.771 Kiewer Juden in der Schlucht von Babij Jar am 28./29. September 1941. Bereits in den Tagen vorher wurden die Wohnungen der Juden von Kiew registriert. Die 1. Kompanie durchsuchte Wohnungen, zum trieb Juden zusammen; sperrte Straßen ab und zur begleitete die Opfer bis zum Hinrichtungsort. Sie kontrollierten und registrierten die Juden an einem Kontrollpunkt und nahmen ihnen die Pässe ab, sammelten und transportierten Gepäckstücke und Wertsachen. Dann trieben sie ihre Opfer auf freies Gelände, wo diese sich unter Stockhieben auszuziehen hatten. Erst bei Betreten der Schlucht sahen sie die bereits mit Leichen gefüllten Gräben. Weil es so viele waren, wurden nicht alle gleich am ersten Tag erschossen, sondern zum Teil über Nacht in ein stillgelegtes Traktorenwerk gebracht. Die wenigen Flüchtenden wurden gejagt und eingefangen, die noch nicht ermordeten Juden am folgenden Tag zur Erschießung in die Schlucht von Babi Jar zurückgebracht. Im Oktober 1941 wurde das Polizeibataillon 303 zu weiteren „Säuberungsaktionen“ nach Solotonosha abkommandiert, im November nach Krementschug, Poltawa und Sankow. „Die Frauen haben geweint. Es war ein erschütterndes Bild… Kinder brauchte ich Gott sei Dank nicht zu erschießen“, schrieb Heinrich M., einer der 11 namentlich bekannten Bataillonsangehörigen. Über Shitomir und die Pripjetsümpfe führt die Blutspur der Bremer Polizisten nach Parafianow im Raum Minsk, wo sie bei heftigen Gefechten mit Partisanenverbänden stark aufgerieben und 1944 zur „Partisanenbekämpfung“ an die Adria verlegt wurden. 14 Jahre lang wurden die Unterlagen durch elf Staatsanwaltschaften gereicht, bis auch das letzte Verfahren 1978 „aus Gründen der Gleichbehandlung“ eingestellt wurde, da der Beschuldigte „letzter Befehlsempfänger“ gewesen sei. „Ohne sie sind die hohen Mordraten der Einsatzgruppen nicht ‚zu erklären’“, schreibt Innensenator Ulrich Mäurer in seinem Vorwort. Karl Schneider, Auswärts eingesetzt. Bremer Polizeibataillone und der Holocaust, 812 S., Klartext Verlag, Essen, Sept. 2011, ISBN 978-3-8375-0527-6, mit ausführlichem Anhang, Literatur-, Namens- und Ortsregister, 39,95 Euro

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