Appell an die Jugend

geschrieben von von Esther Bejarano und Peter Gingold

14. März 1997

Nehmt es wahr, nehmt wenigstens ihr es wahr……was von Eueren Vorfahren meistens verdrängt, auch diskriminiert und verleugnet wurde: Das Bedeutsamste und Kostbarste aus deutscher Geschichte ist und bleibt der antifaschistische Widerstand.

Zumeist waren es einfache Frauen und Männer, vorwiegend aus der Arbeiterbewegung, in der Mehrzahl Jugendliche, die gegen Hitler und den Krieg kämpften. Nicht erst, als offenkundig wurde, daß Hitler den Krieg verliert, sondern von 1933 an! Den Krieg wollten sie verhindern, den jüdischen Menschen, den Völkern Europas und dem eigenen Volk das unermeßliche Leid ersparen, das der Nazifaschismus letztlich über sie brachte. Dafür riskierten sie alles, ihre Existenz, ihre Freiheit und ihr Leben, nahmen Konzentrationslager und Folter in Kauf. Vergeßt deshalb nie! Ihnen ist es zu verdanken, daß der Name unseres Landes nicht ausschließlich mit Schande und Ehrlosigkeit besudelt wurde.

Wir, die Überlebenden, haben vor 50 Jahren die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«, die VVN gegründet. Unterschiedlich in unseren politischen und weltanschaulichen Auffassungen, sowie in unserer sozialen Herkunft, waren wir gemeinsam im Widerstand und verfolgt. So haben wir auch gemeinsam die VVN gegründet, Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale, Juden und Christen. Wir haben überlebt mit einem einzigen Gedanken: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Es galt das Vermächtnis der Millionen Toten der faschistischen Massenvernichtung zu bewahren, die die Befreiung am 8.Mai nicht erleben konnten.

Der Nazihölle entronnen, dem sogenannten »Tausendjährigen Reich«, das für uns tatsächlich wie tausend Jahre war, jede Stunde, jeden Tag den Tod vor den Augen. Diese entsetzliche Zeit hinter uns, träumten wir von einem künftigen Leben ohne Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Militarismus.

Wir wollten, daß unsere unmenschlichen Erfahrungen eine Warnung für die Nachwelt sein würden.

Wir träumten von einem Leben in sozialer Gerechtigkeit, in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern.

Wir träumten, daß nun für alle Zeiten unsere Kinder und Kindeskinder sich der Sonne, der Blumen, der Liebe erfreuen können, ohne in Angst vor Faschismus und Krieg leben zu müssen. Nach der Befreiung war es für uns, die Überlebenden, unvorstellbar, daß fast nichts von unseren Visionen und Hoffnungen in Erfüllung gehen würde.

Unfaßbar für uns, wie reibungslos sich der Übergang vom Nazireich in die Bundesrepublik vollzog. Daß ehemalige hohe Nazifunktionäre entscheidende Positionen in Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz, Hochschulen, Medizin, im Geheimdienst und Militär einnahmen, und damit jahrzehntelang wesentlich das Klima der Politik und die prägenden Geburtsjahre dieser Republik bestimmten. Kriegsverbrecher, selten belangt und wenn, dann schonend behandelt, erhalten bis heute Opferrenten, während ganze Gruppen von Verfolgten des Naziregimes, u.a. ehemalige Zwangsarbeiter, immer noch ohne Entschädigung bleiben. Ganz zu schweigen von dem diskriminierenden Umgang mit Wehrmachtsdeserteuren die sich verweigerten, einem verbrecherischen Krieg zu dienen.

1945 war es für uns unvorstellbar, daß Ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. Und nun noch die ungeheure Massenarbeitslosigkeit, die immer größer werdende Kluft zwischen arm und reich, die katastrophale Zerstörung der Umwelt. Immer mehr junge Menschen leben in Zukunftsängsten.

Wir hoffen auf Euch. Auf eine Jugend, die das alles nicht stillschweigend hinnehmen wird! Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpaßt, die ihm zu trotzen versteht, und deren Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist.

Wir setzen auf eine Jugend, höllisch wachsam gegen alles, das wieder zu einer ähnlich braunen Barbarei führen könnte; eine Jugend, die nicht wegsieht, wo Unrecht geschieht, wo Menschenrechte verletzt werden; eine Jugend, die sich in die Tradition des antifaschistischen Widerstandes zu stellen vermag, eine Jugend, die diese Tradition aufnimmt und auf ihre eigene Art und Weise weiterführt. Wir glauben, daß dafür Eure Herzen brennen können, daß Euer Gewissen nicht ruhen wird.

Laßt Euch nicht wegnehmen, was Ihr noch an demokratischen und sozialen Errungenschaften vorfindet. Laßt sie nicht weiter abbauen! Von keinem Regierenden sind sie Euch geschenkt worden:

Es sind vor allem die Errungenschaften des antifaschistischen Widerstandes, der Niederringung des Nazifaschismus. Verteidigt, was Ihr noch habt, verteidigt es mit Klauen und Zähnen!

Es verlangt nur etwas Zivilcourage, nicht einmal besonderen Mut. Ihr riskiert nicht das Leben, nichts was dem antifaschistischen Widerstand vergleichbar wäre. Und vergeßt nicht: Der Internationalismus und die Solidarität mit den Benachteiligten und Ausgegrenzten sind unentbehrlich in diesem Kampf. Knüpft dieses Band immer fester, macht es unzerreißbar!

Reiht Euch auch ein in die Kampfgemeinschaft VVN-Bund der Antifaschisten, der organisierte Ausdruck des kollektiven Gedächtnisses an Widerstand und Verfolgung. Sie braucht Euch! In absehbarer Zeit wird es keine Zeitzeugen des schrecklichsten Abschnitts deutscher Geschichte mehr geben. Laßt das Vermächtnis des Widerstandes nicht in Vergessenheit versinken, den Schwur von Buchenwald:

»Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel!«

Übernehmt Ihr nun diesen immer noch zu erfüllenden Auftrag: ein gesichertes menschenwürdiges Leben im friedlichen Nebeneinander mit den Völkern der Welt! Sorgt dafür, daß aus der Bundesrepublik ein dauerhaftes, antifaschistisches, humanes, freiheitliches Gemeinwesen wird, in dem einem Wiederaufflammen des Nazismus, nationalem Größenwahn und rassistischen Vorurteilen keinen Raum mehr gegeben wird.

Wir vertrauen auf die Jugend, wir bauen auf die Jugend, auf Euch!

Esther Bejarano, 1924 geboren in Saarlois/ Saarland. 1940 flüchtet die Familie vor den Nazis nach Breslau, wo Esther 1941 in das Zwangsarbeiterlager Neuendorf gebracht wurde, während ihre Eltern nach Riga (Litauen) deportiert und dort in einem Wald von der SS erschossen wurden. Am 20. April 1943 wurde sie nach Auschwitz deportiert und musste zunächst in einem Arbeitskommando Steine schleppen. Später hatte sie die Möglichkeit, wegen ihrer musikalischen Fähigkeiten, im Mädchenorchester von Auschwitz zu spielen. Auf einem Todesmarsch konnte sie fliehen. Sie überlebte, ging nach Israel und kehrte 1960 mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. Heute tritt sie als Zeitzeugin auf und gibt Konzerte mit jiddischen Liedern.

Peter Gingold, 1916 in Aschaffenburg geboren, wurde 1933 verhaftet und musste nach mehreren Monaten Gefängnis nach Frankreich emigrieren. Dort war er in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung aktiv. Er wurde 1943 verhaftet und gefoltert. Durch eine List entkam er den Nazis. Er schloß sich erneut der Résistance an und half bei der Befreiung von Paris. Später in Italien ging er zu den Partisanen, um weiter gegen den Faschismus zu kämpfen. Nach der Befreiung lebte er wieder in Frankfurt und war in der kommunistischen und antifaschistischen Bewegung aktiv. Als Zeitzeuge sprach er vor tausenden Schulklassen und Jugendgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen, wo er seine Erfahrungen auf sehr lebendige und eindringliche Art vermittelte. Peter Gingold starb am 29. Oktober 2006 in Frankfurt am Main.

Durchwachsener Auftakt

geschrieben von Ulrich Stuwe

31. Dezember 1969

Langsam aber sicher wird in der Bundesrepublik die NS-Vergangenheit einer nach der anderen Behörde öffentlichkeitswirksam aufgearbeitet.

Langsam aber sicher wird in der Bundesrepublik die NS-Vergangenheit einer nach der anderen Behörde öffentlichkeitswirksam aufgearbeitet….nachdem der deutsche Innenminister eine Bundesausstellung zum Thema eröffnet hat, zog der bremische Innensenator Ulrich Mäurer nach. Vom 30. April bis 27. Mai war die Ausstellung Polizei. Gewalt. Bremens Polizei im Nationalsozialismus im Wall Saal der Stadtbibliothek zu sehen….Ulrich Mäurer – der offizielle Aussteller – im Wesentlichen über den historischen Inhalt und die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Ausstellung….Mäurer gab einen Überblick über die fast ausschließlich antidemokratischen Entwicklungen in der bremischen Polizei zwischen 1933-35, betonte den Bruch, den die einheitliche Führung von SS, Schutz-, Sicherheits-, Kriminalpolizei und politischer Polizei unter Heinrich Himmler brachte, erinnerte an die Massenmorde, an denen bremische Polizeibataillone beteiligt waren (z.B. der Massenmord in Babi Jar)…Mich hat am positivsten die Ankündigung überrascht, dass nächstes Jahr eine Fortsetzung der Ausstellung eröffnet werden soll. Thema soll die personellen und institutionellen Kontinuitäten des 3. Reichs bei der bremischen Polizei nach 1945 sein. Dies dürfte als eigenständiger Ausstellungsteil einmalig in der Bundesrepublik sein….Holger Münch…Er betonte die Rechtsstaatlichkeit der heutigen Polizei und verteidigte vehement – ganz in Sinne rechtsstaatlicher Grundsätze – schon einmal die Maßnahmen der Polizei gegen die antifaschistischen Demonstranten, die am nächsten Tag den NPD-Aufmarsch blockieren wollten….Jörg Ziercke, der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), wies in seinem Vortrag auf die kontroversen und hochemotionalen Debatten hin, die eine Beschäftigung mit der Polizei zwischen 1933-45 hat. Er erinnerte an die hohe Zahl ehemaliger SS-Mitglieder unter den Führungskräften der Polizei nach 1945 und deren Beteiligung an der Gründung des BKA….Wolfgang Schulte von der Deutschen Hochschule der Polizei setzte sich in seinem Vortrag mit der Frage auseinander, warum es 66 Jahre dauerte, um die Rolle der Polizei im NS-Staat zu beleuchten….Zum Abschluss der Veranstaltung überreichte Ingeborg Breidbach im Namen der VVN-BdA stellvertretend für alle an der Ausstellungserstellung Beteiligten Barbara Johr einen Blumenstrauß.

Ansprache zum 65. Jahrestag der Befreiung Neuengammes und seiner Außenlager

geschrieben von Frau Chris Desaever-Cleuren, Bürgermeisterin der belgischen Samtgemeide Tielt-Winge

31. Dezember 1969

Heute stehen wir hier zusammen am Fuß eines Erinnerungszeichens zum Gedenken an die Ereignisse in Meensel-Kiezegem (die beiden SS-Razzien im August 1944).

Heute stehen wir hier zusammen am Fuß eines Erinnerungszeichens zum Gedenken an die Ereignisse in Meensel-Kiezegem (die beiden SS-Razzien im August 1944). Unsere ersten Gedanken gelten zunächst unseren Opfern Emiel Reynders, Guillaume Vanhellemont, Oktaaf Janssens, Eduard Vangoidsenhoven, Richard Hendrickx und René Janssens, die von dem Geschehen ereilt wurden und dabei ihr Leben ließen. Standrechtlich ermordet oder verschleppt und dann körperlich und seelisch gefoltert. Unser Besuch der Todeslager hält uns unmittelbar vor Augen, welche Grausamkeit hier herrschte. Völlige körperliche Erschöpfung infolge von Mangelernährung, knallharter Zwangsarbeit und Folterung mussten zweifellos zum Tode führen. In gleichem Maße werden der lang anhaltende seelische Druck, die beständige Erniedrigung, das System von Unmenschlichkeit zum kaum zu ertragenden Elend geführt haben, das unsere Mitbürger erlitten haben. Nur wenige haben diesen Kreuzweg überlebt, sie alleine wissen und können bezeugen, was dort geschehen ist. Ohne jeden Zweifel haben sich diese Ereignisse fest in ihrer Seele eingeprägt. Nie wieder konnten sie ihr Leben auf dieselbe Weise weiterführen. Unsere Gedanken gelten auch denen, die nach diesen Ereignissen (den beiden SS-Razzien) einen oder gar mehrere Familienangehörige verloren haben. Sie blieben fassungslos zurück, ohne zu ahnen, was ihnen und ihren Lieben bevorstehen sollte. Das angstvolle Warten auf Nachrichten, die vielen Fragen, der Aufschrei nach dem Warum haben zweifellos ihr tägliches Leben wie ein Fluch bestimmt. Die Worte, die mir in den Sinn kommen, vermögen dieses Leid nicht annähernd beschreiben. In aller Güte dieser Ereignisse zu gedenken ist eine würdige Form der Ehrung aller Opfer dieser Übeltaten. Bei aller Erinnerungspflege muss diese Gedenkveranstaltung uns auch zur Besinnung und Analyse leiten. Vor allem, um solche Entgleisungen für die Zukunft auszuschließen. Das bringt uns zu der Frage „Wie konnte es soweit kommen?“ Denn in dem angesprochenen Zeitabschnitt des vergangenen Jahrhunderts ist Meensel-Kiezegem nicht das einzige Dorf, das vom Naziregime getroffen wurde. Auch in den Niederlanden, in Frankreich, Italien und unterschiedlichen osteuropäischen Staaten wurden solche Mordaktionen organisiert. Dazu kommt außerdem noch, was Juden, Sinti und Roma, Behinderten und anderen sogenannten Untermenschen zugefügt wurde. Damit möchte ich den Finger auf die Wunde legen, dass besonders das faschistische Gedankengut die institutionalisierte Gewalt in ihrem Schoß birgt. Früher oder später führt das zu solchen Entgleisungen wie sie auch in Meensel-Kiezegem sich zeigten. Die Geschichte lehrt uns, dass quasi alle totalitären Regime ohnehin in gleichem Maße krank sind. Zweifellos ist diese Feststellung die Ursache dafür, dass die Entschuldigung „wir haben es nicht gewusst“ nicht mehr greift. Auf der anderen Seite gibt es uns allen den Auftrag, der in den allgemeinen Menschenrechten festgelegt ist. Wir haben die Aufgabe, unsere Gesellschaft so zu organisieren, dass Ereignisse dieser Art nie wieder geschehen. Nicht nur die Pflege unseres demokratischen Gedankenguts ist wichtig, in gleichem Maße gilt es dafür zu sorgen, dass es im Sinne der Allgemeinen Menschenrechte auch wächst. Wir dürfen nicht davon ablassen, es beständig weiterzugeben, den kommenden Generationen das Erschrecken mit auf den Weg zu geben, darüber, was damals geschehen ist, und ihr den Weg für ein friedliches Zusammenleben zu zeigen. In friedlichen Zeiten ist die Erinnerung der Menschen immer nur von kurzer Dauer, und sie scheinen keine Lehren aus der Geschichte zu ziehen, die uns doch zu einem dauerhaften Frieden bringen könnten. Auf diese Weise müssen wir uns dafür einsetzen, unsere Mitmenschen zu dem zu erziehen, was ich „Kritische Bürger“ nennen möchte. Menschen, die imstande sind einzuschätzen, welche Grundregeln es für ein menschenwürdiges Zusammenleben gibt, und die sich auch unermüdlich dafür einsetzen. Nur so und mit unablässiger Aufmerksamkeit für einander schaffen wir es, eine Gesellschaft zu bauen, in der für jeden Einzelnen eine menschenwürdige Existenz gesichert ist.

Ich danke Ihnen

Ansprache zum 65. Jahrestag der Befreiung Neuengammes und seiner Außenlager

geschrieben von Frau Chris Desaever-Cleuren, Bürgermeisterin der belgischen Samtgemeide Tielt-Winge

31. Dezember 1969

Heute stehen wir hier zusammen am Fuß eines Erinnerungszeichens zum Gedenken an die Ereignisse in Meensel-Kiezegem (die beiden SS-Razzien im August 1944).

Heute stehen wir hier zusammen am Fuß eines Erinnerungszeichens zum Gedenken an die Ereignisse in Meensel-Kiezegem (die beiden SS-Razzien im August 1944). Unsere ersten Gedanken gelten zunächst unseren Opfern Emiel Reynders, Guillaume Vanhellemont, Oktaaf Janssens, Eduard Vangoidsenhoven, Richard Hendrickx und René Janssens, die von dem Geschehen ereilt wurden und dabei ihr Leben ließen. Standrechtlich ermordet oder verschleppt und dann körperlich und seelisch gefoltert. Unser Besuch der Todeslager hält uns unmittelbar vor Augen, welche Grausamkeit hier herrschte. Völlige körperliche Erschöpfung infolge von Mangelernährung, knallharter Zwangsarbeit und Folterung mussten zweifellos zum Tode führen. In gleichem Maße werden der lang anhaltende seelische Druck, die beständige Erniedrigung, das System von Unmenschlichkeit zum kaum zu ertragenden Elend geführt haben, das unsere Mitbürger erlitten haben. Nur wenige haben diesen Kreuzweg überlebt, sie alleine wissen und können bezeugen, was dort geschehen ist. Ohne jeden Zweifel haben sich diese Ereignisse fest in ihrer Seele eingeprägt. Nie wieder konnten sie ihr Leben auf dieselbe Weise weiterführen. Unsere Gedanken gelten auch denen, die nach diesen Ereignissen (den beiden SS-Razzien) einen oder gar mehrere Familienangehörige verloren haben. Sie blieben fassungslos zurück, ohne zu ahnen, was ihnen und ihren Lieben bevorstehen sollte. Das angstvolle Warten auf Nachrichten, die vielen Fragen, der Aufschrei nach dem Warum haben zweifellos ihr tägliches Leben wie ein Fluch bestimmt. Die Worte, die mir in den Sinn kommen, vermögen dieses Leid nicht annähernd beschreiben. In aller Güte dieser Ereignisse zu gedenken ist eine würdige Form der Ehrung aller Opfer dieser Übeltaten. Bei aller Erinnerungspflege muss diese Gedenkveranstaltung uns auch zur Besinnung und Analyse leiten. Vor allem, um solche Entgleisungen für die Zukunft auszuschließen. Das bringt uns zu der Frage „Wie konnte es soweit kommen?“ Denn in dem angesprochenen Zeitabschnitt des vergangenen Jahrhunderts ist Meensel-Kiezegem nicht das einzige Dorf, das vom Naziregime getroffen wurde. Auch in den Niederlanden, in Frankreich, Italien und unterschiedlichen osteuropäischen Staaten wurden solche Mordaktionen organisiert. Dazu kommt außerdem noch, was Juden, Sinti und Roma, Behinderten und anderen sogenannten Untermenschen zugefügt wurde. Damit möchte ich den Finger auf die Wunde legen, dass besonders das faschistische Gedankengut die institutionalisierte Gewalt in ihrem Schoß birgt. Früher oder später führt das zu solchen Entgleisungen wie sie auch in Meensel-Kiezegem sich zeigten. Die Geschichte lehrt uns, dass quasi alle totalitären Regime ohnehin in gleichem Maße krank sind. Zweifellos ist diese Feststellung die Ursache dafür, dass die Entschuldigung „wir haben es nicht gewusst“ nicht mehr greift. Auf der anderen Seite gibt es uns allen den Auftrag, der in den allgemeinen Menschenrechten festgelegt ist. Wir haben die Aufgabe, unsere Gesellschaft so zu organisieren, dass Ereignisse dieser Art nie wieder geschehen. Nicht nur die Pflege unseres demokratischen Gedankenguts ist wichtig, in gleichem Maße gilt es dafür zu sorgen, dass es im Sinne der Allgemeinen Menschenrechte auch wächst. Wir dürfen nicht davon ablassen, es beständig weiterzugeben, den kommenden Generationen das Erschrecken mit auf den Weg zu geben, darüber, was damals geschehen ist, und ihr den Weg für ein friedliches Zusammenleben zu zeigen. In friedlichen Zeiten ist die Erinnerung der Menschen immer nur von kurzer Dauer, und sie scheinen keine Lehren aus der Geschichte zu ziehen, die uns doch zu einem dauerhaften Frieden bringen könnten. Auf diese Weise müssen wir uns dafür einsetzen, unsere Mitmenschen zu dem zu erziehen, was ich „Kritische Bürger“ nennen möchte. Menschen, die imstande sind einzuschätzen, welche Grundregeln es für ein menschenwürdiges Zusammenleben gibt, und die sich auch unermüdlich dafür einsetzen. Nur so und mit unablässiger Aufmerksamkeit für einander schaffen wir es, eine Gesellschaft zu bauen, in der für jeden Einzelnen eine menschenwürdige Existenz gesichert ist.

Ich danke Ihnen

Ansprache zum 65. Jahrestag der Befreiung Neuengammes und seiner Außenlager

geschrieben von Frau Chris Desaever-Cleuren, Bürgermeisterin der belgischen Samtgemeide Tielt-Winge

31. Dezember 1969

Heute stehen wir hier zusammen am Fuß eines Erinnerungszeichens zum Gedenken an die Ereignisse in Meensel-Kiezegem (die beiden SS-Razzien im August 1944).

Heute stehen wir hier zusammen am Fuß eines Erinnerungszeichens zum Gedenken an die Ereignisse in Meensel-Kiezegem (die beiden SS-Razzien im August 1944). Unsere ersten Gedanken gelten zunächst unseren Opfern Emiel Reynders, Guillaume Vanhellemont, Oktaaf Janssens, Eduard Vangoidsenhoven, Richard Hendrickx und René Janssens, die von dem Geschehen ereilt wurden und dabei ihr Leben ließen. Standrechtlich ermordet oder verschleppt und dann körperlich und seelisch gefoltert. Unser Besuch der Todeslager hält uns unmittelbar vor Augen, welche Grausamkeit hier herrschte. Völlige körperliche Erschöpfung infolge von Mangelernährung, knallharter Zwangsarbeit und Folterung mussten zweifellos zum Tode führen. In gleichem Maße werden der lang anhaltende seelische Druck, die beständige Erniedrigung, das System von Unmenschlichkeit zum kaum zu ertragenden Elend geführt haben, das unsere Mitbürger erlitten haben. Nur wenige haben diesen Kreuzweg überlebt, sie alleine wissen und können bezeugen, was dort geschehen ist. Ohne jeden Zweifel haben sich diese Ereignisse fest in ihrer Seele eingeprägt. Nie wieder konnten sie ihr Leben auf dieselbe Weise weiterführen. Unsere Gedanken gelten auch denen, die nach diesen Ereignissen (den beiden SS-Razzien) einen oder gar mehrere Familienangehörige verloren haben. Sie blieben fassungslos zurück, ohne zu ahnen, was ihnen und ihren Lieben bevorstehen sollte. Das angstvolle Warten auf Nachrichten, die vielen Fragen, der Aufschrei nach dem Warum haben zweifellos ihr tägliches Leben wie ein Fluch bestimmt. Die Worte, die mir in den Sinn kommen, vermögen dieses Leid nicht annähernd beschreiben. In aller Güte dieser Ereignisse zu gedenken ist eine würdige Form der Ehrung aller Opfer dieser Übeltaten. Bei aller Erinnerungspflege muss diese Gedenkveranstaltung uns auch zur Besinnung und Analyse leiten. Vor allem, um solche Entgleisungen für die Zukunft auszuschließen. Das bringt uns zu der Frage „Wie konnte es soweit kommen?“ Denn in dem angesprochenen Zeitabschnitt des vergangenen Jahrhunderts ist Meensel-Kiezegem nicht das einzige Dorf, das vom Naziregime getroffen wurde. Auch in den Niederlanden, in Frankreich, Italien und unterschiedlichen osteuropäischen Staaten wurden solche Mordaktionen organisiert. Dazu kommt außerdem noch, was Juden, Sinti und Roma, Behinderten und anderen sogenannten Untermenschen zugefügt wurde. Damit möchte ich den Finger auf die Wunde legen, dass besonders das faschistische Gedankengut die institutionalisierte Gewalt in ihrem Schoß birgt. Früher oder später führt das zu solchen Entgleisungen wie sie auch in Meensel-Kiezegem sich zeigten. Die Geschichte lehrt uns, dass quasi alle totalitären Regime ohnehin in gleichem Maße krank sind. Zweifellos ist diese Feststellung die Ursache dafür, dass die Entschuldigung „wir haben es nicht gewusst“ nicht mehr greift. Auf der anderen Seite gibt es uns allen den Auftrag, der in den allgemeinen Menschenrechten festgelegt ist. Wir haben die Aufgabe, unsere Gesellschaft so zu organisieren, dass Ereignisse dieser Art nie wieder geschehen. Nicht nur die Pflege unseres demokratischen Gedankenguts ist wichtig, in gleichem Maße gilt es dafür zu sorgen, dass es im Sinne der Allgemeinen Menschenrechte auch wächst. Wir dürfen nicht davon ablassen, es beständig weiterzugeben, den kommenden Generationen das Erschrecken mit auf den Weg zu geben, darüber, was damals geschehen ist, und ihr den Weg für ein friedliches Zusammenleben zu zeigen. In friedlichen Zeiten ist die Erinnerung der Menschen immer nur von kurzer Dauer, und sie scheinen keine Lehren aus der Geschichte zu ziehen, die uns doch zu einem dauerhaften Frieden bringen könnten. Auf diese Weise müssen wir uns dafür einsetzen, unsere Mitmenschen zu dem zu erziehen, was ich „Kritische Bürger“ nennen möchte. Menschen, die imstande sind einzuschätzen, welche Grundregeln es für ein menschenwürdiges Zusammenleben gibt, und die sich auch unermüdlich dafür einsetzen. Nur so und mit unablässiger Aufmerksamkeit für einander schaffen wir es, eine Gesellschaft zu bauen, in der für jeden Einzelnen eine menschenwürdige Existenz gesichert ist.

Ich danke Ihnen

Bedingt empfehlenswert

geschrieben von Ulrich Stuwe

31. Dezember 1969

Unter der Schirmherrschaft von Innensenator Mäurer wurde am 19. April im Haus der Wissenschaft die aktuelle Ausstellung des niedersächsischen Verfassungsschutzes zum „Rechtsextremismus“ eröffnet.

Die Ausstellung selbst ist für Schülerinnen und Schüler ab der achten Klasse geeignet. In relativ kurzen und prägnanten Sätzen werden Skinhead-, Kameradschafts- und Musikszene, die zwei wesentlichen rechtsextremen Parteien sowie auf zwei Sondertafeln die Situation in Bremen inhaltlich richtig dargestellt. Hauptproblem der Ausstellung ist aber, dass sie alles an der rechten Szene ausspart, aus dem mensch schließen könnte, dass es sich beim Ausstellungsthema nicht nur um eine gesellschaftliche Randerscheinung handelt. Dieses Manko konnte auch durch die am 22. April unter der Leitung von Cornelius Peltz-Förster durchgeführte Podiumsdiskussion nicht behoben werden. Die Beiträge von Holger Münch (Bremer Polizeipräsident) und Hans-Joachim von Wachter (Amtsleiter des Landesverfassungsschutzes Bremen) versuchten den „Rechtsextremismus“ in Bremen unter Hinweis auf fallende Mitgliederzahlen bei Parteien und Gruppen und weniger Straftaten (hauptsächlich so genannte Propagandadelikte) als kaum beachtenswerte Randerscheinung herunter zu spielen. Diesen schwachen Eindruck konnten auch die weiteren Podiumsgäste mit ihren guten bis sehr guten Beiträgen leider nicht völlig ausgleichen. Aus meiner Sicht leistet die Ausstellung als allererster Einstieg in die Thematik „Rechtsextremismus“ durch aus gute Dienste. Die Aktivitäten der äußersten Rechten werden weitgehend abgedeckt.

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