Na Lütten

geschrieben von Ulrich Suwe

16. März 2011

So oder so ähnlich beginnen die meisten Briefe, die der inhaftierte Kommunist Heinrich Buchholz zwischen April 1933 und Januar 1938 an seine Frau schreibt

So oder so ähnlich beginnen die meisten Briefe, die der inhaftierte Kommunist Heinrich Buchholz zwischen April 1933 und Januar 1938 an seine Frau schreibt. Zusammen mit Briefen an seine Tochter – unsere Kameradin Lore Buchholz – und Lores „Briefe“ an ihren Vater ergeben sie ein seltenes Zeitzeugnis der NS-Diktatur. Nicht die körperlichen Leiden, denen Heinrich Buchholz auch ausgesetzt war – wie insbesondere die Erinnerungen Lores dokumentieren – stehen im Mittelpunkt, sondern der Versuch der NS-Schergen einen Gegner mittels Haft und Schikanen seelisch zu brechen. Vordergründig geht es in den meisten Briefen um die schwierige Organisation des Alltagslebens in und außerhalb Haftstätten. Da verlangt Heinrich Buchholz Gegenstände des täglichen Gebrauchs, Geld um Essen und anderes in den Haftstätten zu kaufen und Aufmerksamkeit in Form von Briefen und Besuchen. Er tut was er kann, um mit praktischen Tipps und guten Ratschlägen Frau und Tochter den Alltag möglichst zu erleichtern. Vor allem bei Lore zeigt er sich als hervorragender Pädagoge. Schrittweise passt er seine Briefe an ihre Forderungen und ihren Lernerfolgen an. Beginnend mit Bildern und später Briefen in lateinischen Großdruckbuchstaben. Die ehrgeizige Lore verlangt nicht nur, dass ihr Vater ihr gesondert schreibt, sondern auch dass er Kleinbuchstaben, Schreibschrift und schließlich „deutsche Schrift“ verwendet. Nur der Versuch, ihr – wie der Mutter – plattdeutsch zu schreiben, geht wohl zu weit, denn es bleibt bei einem Brief dieser Art. Vorwürfe und Ermahnungen bleiben selten und werden manchmal in lustige Geschichten von Vögeln und fliegenden Bettsäcken verpackt. Man merkt dem gegenseitigen Briefverkehr an, dass Vater und Tochter ein enges Band verbindet und beide bemüht sind dem bzw. der jeweils anderen zu gefallen. Die Briefe an Guste Buchholz sind eher vom Alltagsleben geprägt. Ihre Antwortbriefe sind leider nicht enthalten. Zwischen den Zeilen von Heinrichs Briefen kann man lesen, wie schwer der Alltag der Familie eines politischen Häftlings in der NS-Zeit war. Dass die Nazis dies bewusst für ihre Zwecke auszunutzen gedachten, wird dem Leser klar, als er erfährt, dass auch Guste Buchholz – natürlich ohne Angabe von Gründen – über mehrere Wochen inhaftiert wird und Heinrich während dieser Zeit fälschlich berichtet wird, dass seine Frau unter Schreikrämpfen litte und mit ihrem Ableben zu rechnen sei. Er erlitt einen Nervenzusammenbruch. Doch auch Schikanen, wie die willkürliche Auslegung der Terminierung seiner Briefversendung oder des Empfangs von Weihnachtspaketen, sollen den Mann brechen. Heinrich Buchholz forderte seine Lieben fast in jedem Brief auf, die Ohren steif zu halten und das Leben zu genießen. Dass seine Aufforderungen mehr an ihn selbst gerichtet sind, merkte ich erst, als ich mitkriegte, dass sich Guste über die Unterstellung einer gewissen Schwermut durch Heinrich Buchholz bei diesem beschwert hatte. Trotzdem gelang es den Nazis nicht, das enge Band zwischen Heinrich, Guste und Lore Buchholz auch nur zu lockern. Alle Versuche der Nazis in dieser Richtung haben die Entschlossenheit dieser Familie, sich dem Faschismus entgegenzustellen, nicht beeinträchtigt. Die Briefe werden geschickt durch Lore Buchholz’ fast schon Familienchronik, Jörg Wollenbergs Geschichte des KZ Mißler, einige Zeitdokumente, Fotos und Abbildungen von Briefen und Postkarten ergänzt. Ich kann Lore Buchholz und Helmut Donat für das Buch nur danken, denn selten ist es gelungen, auch die psychischen „Torturen“ der NS-Zeit so eindrucksvoll zu dokumentieren. Ausgabe in Nieder- und Hochdeutsch192 Seiten, 116 Abbildungen, Hardcover, 16.80 € – ISBN 978-3-938275-65-8

20110317b_1_21zfkwp1nxl._sl500_aa300_