Deutschland und „seine“ Kroaten

geschrieben von Raimund Gaebelein

10. April 2012

Tagtäglich bringen Radio, Zeitungen und Fernsehen Informationshäppchen zu den Ereignissen 1989/90 und versuchen die augenblicklichen wirtschaftlichen Sorgen zur Seite zu drängen.

Tagtäglich bringen Radio, Zeitungen und Fernsehen Informationshäppchen zu den Ereignissen 1989/90 und versuchen die augenblicklichen wirtschaftlichen Sorgen zur Seite zu drängen. Im Windschatten der Ereignisse vollzog sich der Zerfall der Sowjetunion, der Tschechoslowakei und Jugoslawiens. Der frühere ARD-Korrespondent Ulrich Schiller erhellt im vorliegenden Buch die Hintergründe des mörderischen Bürgerkriegs in Bosnien. Er kennt die Herzegowina noch von 1953, hat Freunde an der Neretva, dem legendären Fluss der Partisanenkämpfe im 2. Weltkrieg. Er beschreibt aufs Tiefste erschüttert die Spuren, die der Völkermord der kroatischen Ustaša an den Serben, Juden und Roma im KZ Jasenovac in der gesamten Region bis heute hinterlassen hat. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im April 1941 begannen Verhaftungen von Serben in der Herzegowina, vier Monate später die Zusammentreibung und Erschießung. Einzelheiten konnten erst 1957 in einem Prozess enthüllt werden. Die Ustaša organisierte sich als Geheimbund, plante 1934 das Attentat auf den jugoslawischen König und schuf 1941 unter deutscher Schutzherrschaft ein Großkroatien unter Einschluss Bosniens. Die Partisanenbewegung siegte, die Briten überstellten die nach Österreich geflohenen Ustaša-Faschisten an die Partisanenarmee Titos, der kroatische Führer Ante Pavelic floh über die Rattenlinie nach Argentinien. Die katholische Kirche entwickelte eine Gedenktradition für die Opfer der Repressalien durch die Partisanen Titos. Der Kalte Krieg ermöglichte die Entstehung und Ausbreitung kroatischer Exilverbände vor allem im Süden der Bundesrepublik, Geheimdienstverflechtungen und Bombenanschläge inbegriffen. Auch in Jugoslawien wuchs seit Anfang der 70er Jahre der kroatische Nationalismus. Die Kriegsverbrechen der 90er Jahre führt Ulrich Schiller zurück auf die nur spärliche Aufarbeitung der kroatisch-serbischen Spannungen unter Tito. Der frühere Partisan und Universitätsprofessor Franjo Tudjman wandte sich stärker dem kroatischen Nationalismus zu, sammelte nach Titos Tod auf ausgedehnten Reisen Exilkroaten und versicherte sich 1990/91 wiederholt der Unterstützung der deutschen Außenpolitik für seine Abspaltungspläne. Erneut wurden Krajina und Neretva Ziele von Säuberungsaktionen gegenüber Nicht-Kroaten. „Unabweisbar stellt sich dem Autor alsbald die Frage deutscher Mitverantwortung“ schreibt Hans Koschnick in seinem Vorwort. Am 11.9.94 und am 7.2.96 war der UN-Administrator für Mostar selbst Ziel kroatischer Anschläge. Kroatiens Präsident Stipe Mesic geht es heute darum, dass die Vergangenheit nicht unter einer verharmlosenden Relativierung der Ustaša-Verbrechen entsorgt wird. Ein kleines zartes Pflänzchen Hoffnung. Ulrich Schiller, Deutschland und „seine“ Kroaten, Vom Ustaša-Faschismus zu Tudjmans Nationalismus, 227 S., 14,80 Euro, Donat Verlag Bremen 2010 ISBN 978-3-938275-70-2

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