Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben

geschrieben von Raimund Gaebelein

10. April 2012

Erschreckend zu lesen und doch sehr informativ ist das im Mai erschienene Buch „Soldaten.

Erschreckend zu lesen und doch sehr informativ ist das im Mai erschienene Buch „Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben“ aus dem S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main. Auf 520 Seiten gehen der Sozialpsychologe Harald Welzer und der Historiker Sönke Neitzel der Frage nach, wie durchschnittliche Deutsche im Zweiten Weltkrieg zum Massenmörder werden konnten. Anhand von 100.000 Seiten Abhörprotokollen in britischen und amerikanischen Kriegsgefangenenlagern kommen sie zu der Erkenntnis, dass Gespräche von über Zehntausend deutschen Kriegsgefangenen in den Jahren 1943/45 belegen, dass der Krieg nicht aus Überzeugung geführt wurde, sondern dass sie ihr Kriegshandwerk ordentlich führen und zu Ende bringen wollten. „Das Töten und die extreme Gewalt gehören zum Alltag der Erzähler und ihrer Zuhörer.“ Die Erschießung von Gefangenen, die sich gerade ergeben hatten, und die Ermordung von Hunderttausenden sowjetischer Kriegsgefangener und Juden durch Genickschuss schreckte sie nicht, Beteiligte schildern den allmählichen Gewöhnungsprozess. Zivilisten im Frontgebiet, ob Juden oder nicht, galten als Partisanen. Soldaten töteten, weil es ihre Aufgabe war und ihr Jagdinstinkt geweckt wurde. Sie empfanden es als sportliche Handlung, eine Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen spielte für sie keine Rolle. Dabei hätte eine Verweigerung der Teilnahme an sogenannten Judenaktionen keinerlei strafrechtliche Folgen gehabt. „Nur in Deutschland wurde die Rassentheorie zum politischen Programm“, folgern Neitzel und Welzer. Möglich wurde diese Gewöhnung an Härte und Brutalität mit der Militarisierung des deutschen Bürgertums durch Bismarcks Politik von „Blut und Eisen“. Für die Frontsoldaten des Zweiten Weltkriegs waren vor allem „das militärische Wertesystem und die soziale Nahwelt von entscheidender Bedeutung“ für ihr Verhalten. Glaube und Vertrauen auf Hitler als obersten Heerführer bestanden auch noch fort, als mit der militärischen Wende bei Stalingrad die Hoffnung zerrann den Krieg gewinnen zu können. Das systematische Töten von 2,5 bis 3,3 Millionen Rotarmisten in den Lagern durch Hunger und das Verbrennen von eingeschlossenen Frauen und Kindern lehnen die Landser allerdings als unwürdig ab. Grauen löste bei ihnen 1941/42 auch die Exhumierung und Verbrennung der ermordeten Juden aus den Vernichtungslagern längs der polnischen Ostgrenze aus. Der Kampfwille bis zur letzten Patrone und die Angst vor der sowjetischen Kriegsgefangenschaft ließ deutsche Soldaten gegen besseres Wissen auch dann noch durchhalten, als der Glaube an einen Sieg längst nicht mehr da war. Nach der Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 ergriff viele die Angst vor Mithaftung für die in deutschem Namen verübten Verbrechen. Sönke Neitzel/Harald Welzer, Soldaten. Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben, 520 S. davon 54 S. Literaturangaben, ausführliches Orts- und Sachregister, S. Fischer Verlag Frankfurt/Main Mai 2011 für 22,95 Euro

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