Rede zum Internationalen Gedenktag für die Opfer von Faschismus und Krieg

geschrieben von Agnes Alpers MdB DIE LINKE

11. September 2010

Als ich klein war, fragte ich meine Familie: Wo ist eigentlich mein Opa? Der Krieg hat deinen Opa genommen, er ist in Russland verschollen.

Vielen Dank, dass ich heute anlässlich des Gedenktages für die Opfer von Faschismus und Krieg vor Ihnen sprechen darf. Als ich klein war, fragte ich meine Familie: Wo ist eigentlich mein Opa? Der Krieg hat deinen Opa genommen, er ist in Russland verschollen. Warum kommt er nicht zurück? Er ist verschollen. Was ist ein Krieg? Das verstehst du nicht, Kind, du bist zu klein und über den Krieg spricht man nicht. Ich durfte nicht darüber sprechen, aber ich hatte zugehört, wenn die Erwachsenen manchmal darüber sprachen. So erfuhr ich, dass mein Opa von einem Nazi im Dorf angeschwärzt wurde, in den Krieg musste und er nie wieder kam. Ich hörte, dass ganz viele Männer nicht wiederkamen, dass einer aber einmal Urlaub hatte und sich dann ganz lange im Wald versteckte, bis die Nazis weg waren. Und die Großen redeten von Frauen, die Brot über den Zaun in Selsingen warfen. Dann kamen aber die Nazis zu den Frauen und sagten, dass sie auch ins Lager müssten, wenn sie es noch einmal machen würden. Ich hörte, dass man Juden, Kommunisten und Menschen aus anderen Ländern auch weiter wegbrachte und sie dann vergaste. Ich durfte damals nicht über Krieg reden, aber ich beschloss, dass ich nie wieder Krieg wollte: Der Krieg war furchtbar, alle redeten ganz leise und hatten Angst vor dem Krieg und er hatte mir meinen Opa weggenommen. Viele Jahre sind vergangen, ich habe viel über Krieg gesprochen und viel gelernt, aber meine Grundeinstellung: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg, hat sich niemals verändert. Am 3. September 2009 orderte Oberst Klein einen Bombenangriff in Afghanistan an. Der Verteidigungsminister zu Guttenberg sprach: Es herrscht kein Krieg. Die Bundeskanzlerin sagte, dass wir Deutschland und die Demokratie verteidigen müssen. Wir als Fraktion DIE LINKE beantragten einen Hammelsprung und forderten eine Stellungnahme des Verteidigungsministers. Ende 2009 sprach der Verteidigungsminister von kriegsähnlichen Zuständen. Er hob die positiven Entwicklungen in Afghanistan hervor und gedachte der deutschen Soldaten, die in Afghanistan gestorben waren. Der UN Bericht legte aber ganz andere Zahlen auf den Tisch: Bildung, Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit hatten sich durch den Krieg verschlechtert, die Toten nehmen zu. Der Bundestag gedachte mehrmals der gestorbenen Soldaten. DIE LINKE forderte, dass man auch der getöteten Afghanen gedenken solle. Im Frühjahr entrollten wir im Bundestag Namen von afghanischen Opfern des Krieges. Wir wurden des Bundestag verwiesen. Über die wahren Gründe von Krieg spricht man nicht, wenn aber doch, wird man auch als Bundespräsident entlassen. Und der Krieg hat viele Gesichter: Ein Herr Sarrazin spricht von integrationsunwilligen Muslimen, die ihre Dummheit weiter vermehren. Er spricht von speziellen Genen bei Juden. So werden Rassentheorien wiederbelebt. Die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Frau Steinbach, stellte heraus, dass Polen ja schon im Frühjahr 1939 gegen Deutschland mobil gemacht hatte… Der Wahnsinn des Krieges, Rassismus, Faschismus kennen bis heute keine Grenzen, weder in Ländern noch in den Köpfen der Menschen. Und immer wieder die Frage, wie der Wahnsinn Krieg beendet werden kann.

Hierzu möchte ich Ihnen zum Schluss meiner Rede eines meiner Lieblingsgedichte gegen Krieg vorlesen.

Erich Kästner: Fantasie von übermorgen Und als der nächste Krieg begann, da sagten die Frauen: Nein! und schlossen Bruder, Sohn und Mann fest in der Wohnung ein. Dann zogen sie, in jedem Land, wohl vor des Hauptmanns Haus und hielten Stöcke in der Hand und holten die Kerle heraus. Sie legten jeden übers Knie, der diesen Krieg befahl: die Herren der Bank und Industrie, den Minister und General. Da brach so mancher Stock entzwei. Und manches Großmaul schwieg. In allen Ländern gab’s Geschrei, und nirgends gab es Krieg. Die Frauen gingen dann wieder nach Haus, zum Bruder und Sohn und Mann, und sagten ihnen, der Krieg sei aus! Die Männer starrten zum Fenster hinaus und sahn die Frauen nicht an…