Eröffnung des „Museum 44“ Ansprache von Detlef Garbe
18. August 2019
Zunächst möchte ich Ihnen sehr herzlich für die Einladung zu der heutigen Feier- stunde danken. Es ist für mich eine große Ehre, für die Freie und Hansestadt Hamburg und die KZ-Gedenkstätte Neuengamme ein Grußwort zur Eröffnung des neuen „Museums 44“ an Sie richten zu können. Neuengamme – von diesem, 500 Kilometer von hier entfernt gelegenen Dorf in den Hamburger Landgebieten hatte wohl vor 75 Jahren niemand der 71 Deportierten jemals zuvor gehört. Doch der Tod der allermeisten von ihnen, die innerhalb weniger Wochen und Monate im KZ Neuengamme und in den Außenlagern an Hunger, Krankheiten und dem Terror der SS starben, sowie die Berichte der nur acht Überlebenden haben dazu geführt, dass sich der Schrecken von Neuengamme tief in die Geschichtschroniken von Meensel und Kiezegem eingeschrieben hat.
Die Kontakte zwischen „NCPGR Meensel-Kiezegem 44” und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme reichen 25 Jahre zurück. Als 1994 erstmals eine kleine Delegation der Stichting mit Guido Hendrickx, René Cauwbergs und Oktaaf Duerinckx die KZ- Gedenkstätte Neuengamme aufsuchte, wussten wir so gut wie nichts über die Geschichte von Meensel und Kiezegem. Sie übergaben uns dann Ihre Dokumentationen, die uns die Geschehnisse vor Augen führten. Wir recherchierten in unseren Unterlagen und waren froh, einen kleinen Beitrag zu der Ausstellung leisten zu können, die im November 2000 im Huis Hageland eröffnet wurde.
Seither haben sich unsere Kontakte immer mehr verstärkt. Sie bilden heute eine solide Grundlage für einen engen wissenschaftlichen Austausch und zahlreiche gemeinsame Aktivitäten. Seit 22 Jahren reisen regelmäßig Besuchsgruppen nach Neuengamme. So kommen wir Jahr für Jahr an dem 1998 von May Claerhout geschaffenen Denkmal „Die Verzweiflung“ zusammen, um der ermordeten Einwohner aus Meensel und Kiezegem sowie ihrer Mütter und Witwen zu gedenken. Durch das Denkmal ist die historisch begründete enge Verbindung von Meensel-Kiezegem und Neuengamme heute auch in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme sichtbar. In meinen Augen bietet das Denkmal mit den Ehrenfriedhöfen in Meensel und Kiezegem eine Einheit. Über die Denkmäler hinaus halten unsere Aktivitäten, Ausstellungen und Veranstaltungen, aber in besonderer Weise auch die Gedenkfahrten, diese Verbindung lebendig.
Weil die Menschen aus diesen beiden Dörfern, denen vor 75 Jahren so schweres Leid zugefügt wurde, erkennen konnten, dass in Hamburg-Neuengamme und anderswo Deutsche heute in klaren Worten aufrichtig über das Leid informieren, dass unsere Großväter und Väter ihren Eltern und Großeltern zugefügt haben, konnten Sie die Hand zur Versöhnung reichen. Wir sind Freunde geworden, und darüber freue ich mich sehr. Diese Freundschaft zeigt sich auch darin, dass heute eine große Delegation aus Hamburg und Bremen teilnimmt. Wir alle danken sehr für die große Geste der Einladung.
Das Jahr 2019, in dem sich die die Deportation der Männer aus Meensel-Kiezegem zum 75. Mal jährt, bietet eine Reihe von sehr bedeutsamen Jahrestagen. In Deutschland erinnern wir uns des. 70. Jahrestags der Gründung der Bundesrepublik Deutschland als demokratischen Rechtsstaat. Für die Deutschen war es ein großes Geschenk, dass nach der Tyrannei und dem Vernichtungskrieg, mit dem das nationalsozialistische Deutschland und seine faschistischen Verbündeten ganz Europa überzogen hatten, dieser Neuanfang dank des Sieges der Alliierten und der Befreiung möglich wurde. Zugleich erinnern wir uns in diesem Jahr des 30. Jahres- tags des Mauerfalls und der Überwindung der Teilung Europas.
Doch heute mischt sich die Freude über die Befreiung vom Naziregime und über das Ende des sich daran anschließenden Kalten Krieges mit großer Sorge. Wir spüren gegenwärtig überall in unseren Ländern, dass die Errungenschaften der Demokratie und der Zusammenhalt der in Europa über Jahrzehnte gewachsenen Staatengemeinschaft in Gefahr sind. In vielen Staaten breitet sich Populismus und neuer Nationalismus aus. Die Fixierung auf die eigenen nationalen Interessen, die Losung vom „Wir zuerst“, scheint das aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gewachsene Miteinander, die Formel vom „Wir gemeinsam zu unser aller Besten“ abzulösen.
Der Rechtspopulismus ist heute zweifellos die größte Herausforderung, vor der wir in vielen Staaten stehen, in denen große Bevölkerungsteile wirtschaftliche Verunsicherung verspüren, sich ängstigen, und deshalb für Hetze auf vermeintlich Schuldige, auf Minderheiten und Fremde sowie für Antisemitismus empfänglich werden. Das Problem sind dabei nicht nur die rechtspopulistischen Parteien, sondern Erosionsgefahren in der Mitte unserer Gesellschaften, Gewichtsverschiebungen in der ganzen Breite sozusagen.
Gerade in dieser Zeit sind Gedenkstätten und Museen wie dieses, das heute hier der Öffentlichkeit übergeben wird, wichtiger denn je. Denn sie konfrontieren die Gegen- wart mit der Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit. Das ist keineswegs rückwärtsgewandt, sondern ein zentraler Beitrag dazu, dass unsere Zukunft die Werte von Freiheit, Frieden und Ausgleich, von Demokratie und Menschenrechten weiterhin bewahrt und weiterentwickelt. Als vor 30 Jahren die sowjetische Staatenwelt in sich zusammenfiel und die kommunistischen Diktaturen überwunden wurden, hätte ich nicht geglaubt, dass unsere Gemeinwesen, dass die unter großen Opfern errungenen europäische Gemeinsamkeiten derart ins Rutschen geraten können. Sodass es heute wieder an der Zeit ist, alle unsere Kräfte zur Verteidigung von Demokratie und den Institutionen der internationalen Zusammenarbeit zu bündeln, ehe es zu spät sein kann.
So ist dieses Museum ein Beitrag dazu, neuen Ungeist, einer Rückkehr nationalistischen und menschenrechtsfeindlichen Denken entgegenzutreten. Mögen die Zeugnisse aus der tragischen Geschichte dieses Ortes, die hier sorgsam zusammen- getragen wurden, mögen die Informationen über die furchtbaren Folgen der Herrschaft der deutschen Nationalsozialisten und ihren rassistischen Prinzipien von vermeintlicher Höherwertigkeit, möge dies einen starken Beitrag zur Stärkung der demokratischen Gegenkräfte und zur Entzauberung der neuen Unheilspropheten leisten.
Auch von daher sind dem neuen, sehr eindrucksvoll gestalteten Museum sehr viele Besucherinnen und Besucher zu wünschen. Ich gratuliere den Initiatoren, der
„NCPGR Meensel-Kiezegem 44”, der Gemeinde Tielt-Winge und der Provinz Brabant und allen Beteiligten zur Vollendung dieses wichtigen Projekts.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und für das Verständnis dafür, dass ich auf Deutsch zu Ihnen sprechen durfte.
Detlef Garbe, Ansprache zur Eröffnung des „Museum 44“, 11.08.2019