Nachruf auf Ludwig Baumann
8. Juli 2018
Uns erreichte die traurige Nachricht, dass am 5. Juli Ludwig Baumann im 97. Lebensjahr verstorben ist. Der hochbetagte Vorsitzende ist seit 1990 Herz, Motor und Stimme der Opfervereinigung gewesen. Sein unermüdliches Engagement hat zur gesellschaftlichen Anerkennung und gesetzlichen Rehabilitierung der Kriegsdienstverweigerer, Wehrkraftzersetzer und Deserteure der Wehrmacht geführt. Sein authentisches Wirken, sein Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Gewaltfreiheit ist ein wichtiger Impuls für die zivilgesellschaftliche Entwicklung gewesen. Ludwig Baumann wird uns und geschichts- bewussten, kritischen Teilen der bundesdeutschen Gesellschaft, die ihm für sein Lebenswerk sehr dankbar sind, in lebendiger Erinnerung bleiben.
Ludwig Baumann wurde am 13. Dezember 1921 in Hamburg-Dammtor geboren. Als Sohn eines gut situierten Kaufmanns aufgewachsen, änderte sich sein Leben mit dem Tod der geliebten Mutter 1936. Er rebellierte fortan gegen Autoritäten, vor allem gegen die Werber der Hitler-Jugend, die ihn schon als Maurerlehrling auf der Baustelle nervten. Aber die staatliche Zwangsverpflichtung holte ihn trotz aller Widerständigkeit ein: Nach Reichsarbeitsdienst beim Deichbau in Ostpreußen folgte im Februar 1941 die Einberufung zur Kriegsmarine in Belgien. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 folgte die Verlegung nach Bordeaux, wo er als Wachsoldat einer Hafenkompagnie eingesetzt wurde. Der 19jährige lernte Kurt Oldenburg kennen, etwas jünger und ebenfalls aus Hamburg. Die Bilder der Wochenschauen im Soldatenkino ließen die beiden fragen, was denn mit den Millionen russischen Kriegsgefangenen ist, die im eisigen Winter auf freiem Feld ausharren müssen? Der Entschluss, diese Kriegsverbrechen nicht mitzumachen, reifte und wurde umgesetzt. Die beabsichtigte Desertion aus der Wehrmacht endete im Juni 1942 mit Gefangennahme, Verurteilung zum Tode, 10-monatiger Haft in der Todeszelle, dann „Begnadigung“ zu KZ-Haft und „Bewährung“ im Strafbataillon. Kurt Oldenburg überlebte die Schrecken des Kriegs nicht. Ludwig Baumann nach Erleiden des Angriffs- und Vernichtungskrieges kam mit Verwundungen und ganz viel Glück lebendig nach Hause zurück. Seine Hoffnung, die praktizierte Widerständigkeit gegen die Wehrmacht werde nach dem Kriege anerkannt, erfüllte sich nicht. Statt Anerkennung erfolgten Ausgrenzung, Verfemung und Demütigung.
Zu den Nachwirkungen des Krieges gehörten Traumata, Vermögensverlust und Trunksucht, die Ludwig Baumann erst nach dem Tod seiner Ehefrau und der Geburt des sechsten Kindes in den Griff bekam. Die aufkommende Friedensbewegung zu Beginn der 80er Jahre ermutigte ihn zum Protest gegen Ungerechtigkeit und die Widersprüche einer Weltwirtschaft, die die Kluft zwischen arm und reich stetig vergrößert und Menschen verhungern lässt. Die im Rahmen der Aufarbeitung des NS-Unrechts aufkommende Diskussion, auch den Widerstand einfacher Menschen in das Gedenken einzubeziehen, führte friedensbewegte Gruppen vielerorts dazu, mit Deserteurdenkmälern diejenigen zu würdigen, die sich dem Angriffs- und Vernichtungskrieg der Wehrmacht entzogen, widersetzt und verweigert haben und Opfer der NS-Militärjustiz wurden.
Was als Tabubruch und Provokation begann, führte nach beharrlichem Kampf zu einer konstruktiven gesellschaftlichen Debatte und der sehr späten gesetzlichen Rehabilitierung: Das NS-Unrechtsaufhebungsgesetz von 1998 rehabilitierte Kriegsdienstverweigerer und Wehrkraftzersetzer, das erste Ergänzungsgesetz 2002 pauschal homosexuelle NS-Opfer und die Deserteure der Wehrmacht, das zweite NS-Unrechtsaufhebungsgesetz 2009 schließlich auch die wegen Kriegsverrats verurteilten Opfer der NS-Militärjustiz. Ohne Ludwig Baumanns hartnäckiges und zielstrebiges Engagement, das vielfach ausgezeichnet wurde, wäre diese gesellschaftliche und politische Rehabilitierung, die eine – wenn auch marginale – Entschädigung einschloss, nicht zustande gekommen.
Ludwig Baumanns vielfältiges verdienstvolles Wirken in ungezählten Veranstaltungen, seine authentischen, lebendigen Vorträge können als Fundament dieser zivilgesellschaftlich-lebensfreundlichen Entwicklung gesehen werden. Diese gilt es unumkehrbar zu machen, dafür bleibt auch weiterhin viel zu tun. Sein autobiographisches Buch, NIEMALS GEGEN DAS GEWISSEN, das 2014 im Herder-Verlag (Freiburg) erschienen ist, regt dazu an und trägt dazu bei.
Günter Knebel