Referat zur Eröffnung der Ausstellung „Antifaschistischer Widerstand in Europa“
9. Februar 2015
Ich freue mich, dass wir die Ausstellung „Antifaschistischer Widerstand in Europa“ hier in Bremen eröffnen können. Und es ist ein angemessener Ort. Wurde doch – wenn ich mich richtig erinnere – vor etwa 40 Jahren ebenfalls in den Räumen des Rathaussaals die große Ausstellung „Widerstand und Verfolgung in Bremen“ gezeigt – eine Ausstellung, die von einem Kuratorium von Einzelpersönlichkeiten getragen wurde, da man es damals vermeiden wollte, politische Kooperation – selbst zu diesem Thema – zu dokumentieren.
Dass diese Ausstellung damals überhaupt möglich wurde, verdankten wir insbesondere dem Engagement derjenigen Frauen und Männer, die selbst im antifaschistischen Kampf gestanden haben, die sich nicht allein für das Thema engagierten, sondern uns als Zeitzeugen zur Verfügung gestanden haben.
Ihre Erfahrungsberichte waren für mich und viele Angehörige meiner Generation – selbst wenn wir familiär nichts mit Antifaschismus zu tun hatten – ein wichtiger Zugang zum Thema, der nicht nur historisch-wissenschaftlich vermittelt war. Ihre Haltung war für uns in gewisser Weise Vorbild und politische Orientierung.
Mit Blick auf diese historische Ausstellung vor 40 Jahren stehen wir heute vor der Herausforderung, dass von diesen Zeitzeugen nur noch wenige unter uns sind und ihre Erfahrungen weitergeben können.
Daher muss die historische Erinnerungsarbeit, die nicht allein auf trockene Faktenvermittlung setzt, eine andere sein. Wir müssen uns mit folgenden Fragen auseinandersetzen:
Wie schaffen wir es, die Erfahrungen und das politische Wirken dieser Menschen, die ihre Freiheit, ihre Gesundheit, oftmals auch ihr Leben für diesen antifaschistischen Kampf riskiert hatten, für Nachgeborene lebendig zu halten?
Wie gelingt es uns als Historiker und als Pädagogen, heutige Jugendliche, für die die Geschichte der NS-Zeit oftmals so fern ist wie die Geschichte der alten Römer, die außerdem eigene politische Erfahrungen und Rezeptionsgewohnheiten mitbringen, mit dem Thema zu konfrontieren und Zugänge zu ihrem Verständnis zu finden?
Angesichts der umfassenden Medialisierung der Kommunikation können Visualisierungen durchaus hilfreich sein. Der Satz: „Ein Bild sagt mehr als 1000 Wort“ gilt natürlich auch hier. Aber die Bilder müssten in ihrer Aussagekraft so sein, dass sie nicht nur allgemeingültige, fertige Antworten geben, sondern auch Nachfragen provozieren – Nachfragen, die zu einer aktiven eigenen Beschäftigung der Betrachter mit den Themen veranlassen. Das ist eine ganz praktische Herausforderung, da es zu vielen Ereignissen des antifaschistischen Kampfes naturgemäß kein Bildmaterial gegeben hat bzw. geben konnte.
So muss eine Präsentation einen „Spagat“ schaffen zwischen Visualisierbarem und notwendigen historischen Erläuterungen. Die Ausstellung, die wir nachher unten in der Rathaushalle offiziell eröffnen werden, versucht diesen Spagat zu leisten.
Sie dokumentiert auf ihren etwa 50 Stellwänden die historische und politische Breite der antifaschistischen Bewegung in Europa. Und versucht mit so knappen Texterläuterungen auszukommen, wie es uns nur möglich erschien.
Um die Betrachter auf die Problematik der Vielfalt und der politischen Breite der Zugänge zum antifaschistischen Handeln einzustimmen, haben wir uns bemüht, in acht Thesen ein Grundverständnis für den Widerstand nachzuzeichnen.
Wir unterstrichen,
dass es vielfältige Gründe und Zugänge zum Widerstand gab,
dass im Widerstand traditionelle politische oder ideologische Spaltungen überwunden wurden,
dass praktische Solidarität mit Verfolgten ein zentrales Element von Widerstand war,
dass der Widerstand eine Sache von Frauen und Männern war,
dass Antifaschismus immer auch Internationalismus bedeutete,
dass der Widerstand zumeist mit einer Zukunftsvision einer anderen, einer gerechteren und friedlicheren Gesellschaft und Welt verbunden war.
Ausgehend von diesem Verständnis konnten wir Informationen zum antifaschistischen Widerstand zu fast allen damals bestehenden Staaten in Europa präsentieren. Dieser Hinweis ist wichtig, denn man findet in der Ausstellung Tafeln zu Jugoslawien, zur Tschechoslowakei und zur Sowjetunion, aber nicht zu den heutigen Nachfolgestaaten. Lücken bestehen nur bezogen auf Finnland, Schweden und die Schweiz. Natürlich gab es auch in diesen Ländern antifaschistische Kräfte, insbesondere aus dem Exil. Da diese Länder – entweder als neutrale Staaten oder als separate Kriegspartei – jedoch nie vom deutschen oder italienischen Faschismus okkupiert waren, findet man dort jedoch keine originäre antinazistische Struktur.
Für alle anderen Länder konnten wir dank der Unterstützung von antifaschistischen und Veteranenverbände aus den Regionen sowie musealer Einrichtungen, die sich mit dem Thema beschäftigen, eindrucksvolles Bildmaterial und andere Dokumente zusammentragen.
Auch wenn uns die platz-mäßige Begrenzung, die sich durch zumeist ein bzw. zwei Stelltafeln pro Land ergaben, einschränkten, haben wir uns – ich denke erfolgreich – bemüht, die wichtigsten Stichworte der antifaschistischen Geschichte der jeweiligen Ländern angemessen zu dokumentieren.
Dabei haben wir nicht nur allgemeine historische Informationen aufgelistet, sondern besonders diejenigen Ereignisse in den Blick genommen, die als gesellschaftliches Narrativ das historische Selbstverständnis der jeweiligen Nation berühren.
Dazu gehört beispielsweise in den Niederlanden der Dockarbeiter-Streik vom 25. Februar 1941.
Dazu gehört der militärische Sieg der sowjetischen Streitkräfte im Februar 1943 in Stalingrad, ein Ereignis, das mehr als eine militärstrategische Konsequenz hatte und weit über die UdSSR als Symbol für die Besiegbarkeit des deutschen Faschismus wahrgenommen wurde.
Dazu gehört in Griechenland die Sprengung der Eisenbahnbrücke über den Gorgopotamos im November 1942, in Frankreich die Befreiung von Paris im August 1944 unter besonderer Beteiligung der Resistance und französischer Militäreinheiten sowie der Slowakische Nationalaufstand, der ebenfalls im Sommer 1944 in der Region von Banska Bystriza seinen Ausgang nahm.
Zu den Ereignissen zählen in Polen der Aufstand im Warschauer Ghetto 1943 ebenso wie der Warschauer Aufstand von 1944.
Aber auch erfolgreiche Widerstandsaktionen, wie die Herausgabe einer komplett gefälschten Ausgabe der Tageszeitung „Le Soir“ unter den Augen der Besatzungsmacht, wie es der belgische Widerstand am 9. November 1943 vermochte, gehören in diese Reihe.
Da es eine Vielzahl solcher Ereignisse gab, die natürlich von den ehemals Beteiligten und den nationalen Verbänden der Widerstandskämpfer entsprechend gewichtet werden, standen wir als Ausstellungsmacher vor einer großen Herausforderung. Es war zwingend, dass wir für die endgültige Gestaltung der Ausstellung eine Auswahl aus dem reichhaltigen Dokumenten- und Bildmaterial, das wir von den Veteranenverbänden erhalten hatten, treffen mussten. Dabei ließen wir uns von drei Überlegungen leiten:
1. Es sollte auf einem begrenzten Raum nicht nur der Umfang, sondern auch die politische Breite der antifaschistischen Bewegung sichtbar werden. Das führte in manchen Fällen dazu, dass in der Darstellung quantitative Verhältnisse (d.h. welche politischen Gruppen trugen die Hauptlast) zugunsten von qualitativen Überlegungen (welche verschiedenen Kräfte gehörten zum Widerstand) verschoben werden mussten.
2. Bestimmte antifaschistische Aktionen und Kampfformen findet man in allen Ländern, in denen z.B. Partisanen kämpften. Wir hätten also mindestens 20 Mal Bilder mit zerstörten Eisenbahnanlagen zeigen können. Diese Aktionen waren von großer Bedeutung für die Behinderung der faschistischen Kriegspolitik, aber gleichzeitig wäre so etwas redundant. Deshalb haben wir uns bemüht, auf den jeweiligen Landestafeln nationale Spezifika in den Fokus zu rücken (Belgien: klandestine Presse; Griechenland: EAM/ Demokratische Armee etc.)
3. Wir waren nicht bereit, den geschichtspolitischen Auseinandersetzungen der Nachwendezeit seit 1990 in den heutigen Staaten des ehemaligen Ostblocks zu folgen und nur noch die gegenwärtig politisch opportune Sichtweise zu präsentieren. Wir haben uns dabei auf die Haltung der nationalen Mitgliedsverbände der FIR gestützt, die in ihren Ländern einen aktiven Kampf gegen die Revision der Geschichte des antifaschistischen Kampfes führen.
Damit könnte – aus der Sicht einer umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas möglicherweise berechtigt – der Einwand gegen diese Ausstellung erhoben werden, dass einzelne Ereignisse oder Gruppen des Widerstandes nicht vollständig und umfassend genug dargestellt worden seien. Aber wir stehen zu dieser Präsentation und der getroffenen Auswahl.
Und man könnte – aus einer vorgeblich neutralen Perspektive – der Ausstellung auch vorhalten, sie sei parteilich. Das ist sie in der Tat.
Denn sie ergreift Partei für alle diejenigen,
• die bereit waren unter Einsatz ihrer Gesundheit, ihrer Freiheit und manchmal auch des Lebens für Menschen- und Freiheitsrechte einzutreten,
• die sich solidarisch mit Verfolgten und unterdrückten Minderheiten zeigten,
• die sich für das freie Wort und gegen Gleichschaltung und faschistische Propaganda einsetzten,
• die – aus zum Teil ganz unterschiedlicher Motivation – für die Freiheit des eigenen Landes gegen die NS-Okkupation kämpften,
• die für die Beendigung des Krieges eintraten, indem sie die militärische Kampfkraft der faschistischen Armeen schwächten,
• die damit insgesamt ihren Beitrag für einen antifaschistisch-demokratischen Neubeginn in Europa geleistet haben,
und das ungeachtet der jeweiligen parteipolitischen Orientierung oder religiösen Überzeugung der handelnden Frauen und Männer.
Wenn wir uns heute bemühen, Vertretern der heutigen Generationen einen Zugang zu dem Thema zu eröffnen, dann bietet sich – trotz der europäischen Perspektive der Ausstellung selber – durchaus ein regionaler Bezug an.
Es ist eine didaktische Erfahrung, dass sich für Nachgeborene über die regionale Geschichte leichter Verbindungen zu allgemeinen historischen Themen aufzeigen lassen, indem damit die Abstraktheit der globalen Dimension geschichtlicher Ereignisse aufgebrochen und gleichzeitig verdeutlicht werden kann, dass – wie bei diesem Thema – jede Widerstandsaktion in Bremen – selbst wenn sie noch so bescheiden gewesen ist – Teil eines umspannenden Netzes antifaschistischer Bewegung in ganz Europa war.
Schon vor zwei Jahren hatte ich die Gelegenheit auf Einladung der VVN-BdA zu diesem Thema in Bremen zu referieren und in dem Zusammenhang unter anderen an Friedrich Eildermann, Wilhelm Knigge und Gustav Röbelen erinnert, die als Bremer Antifaschisten im europäischen Rahmen Widerstand leisteten.
Friedrich Eildermann emigrierte bereits 1933 in die Niederlande, später nach Frankreich, von wo er mit Publikationen den antifaschistischen Kampf unterstützte. 1939 wurde er in Le Vernet interniert und kam 1943 in das Lager Djelfa (Algerien); nach der Niederlage des deutschen Afrika-Korps trat er 1943 in die Britischen Armee ein, bevor er im März 1944 nach Moskau ging und dort an der Zeitung »Freies Deutschland« mitarbeitete;
Wilhelm Knigge, war als Kommunist 1933 Mitglied der Bremer Bürgerschaft. Auch er emigrierte in die Niederlande und war Mitglied der KPD-Emigrations-Leitung. 1935 ging er im Auftrag der KPD nach Frankreich und schloss sich – nach dem faschistischen Überfall der Résistance an. Er war Mitarbeiter der Zeitschrift »Soldat im Westen«, einer antifaschistischen Zeitung, die sich explizit an Wehrmachtsoldaten richtete, und Mitglied von CALPO, dem Komitee „Freies Deutschland für den Westen“.
Gustav Röbelen emigrierte nach Belgien, von wo aus er Grenzarbeit für die KPD leistete. 1936 bis 1939 kämpfte er in den Reihen der Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg zur Verteidigung der spanischen Republik. 1939 ging er in die UdSSR und meldete sich nach dem Überfall auf die Sowjetunion freiwillig zur Roten Armee. Als deutscher Antifaschist wurde er zur politischen Aufklärung in Kriegsgefangenenlagern eingesetzt und Ende 1944 auch zur Unterstützung von Partisaneneinheiten an der Front.
Schon diese Beispiele zeigen, dass auch Bremer ihren Beitrag im europäischen Widerstand leisteten.
Aber auch der Widerstand in Bremen selber verdient es – im Zusammenhang mit dieser Ausstellung – eine Würdigung zu erfahren. Kollege Jörg Wollenberg, der sich ja seit vielen Jahren mit der Geschichte der Bremischen Arbeiterbewegung beschäftigt, wird am kommenden Mittwoch über zwei Bremer Antifaschistinnen, Maria Krüger und Käthe Lübeck-Popall, referieren.
Maria Krüger habe ich Anfang der 70er Jahre noch persönlich erlebt, als wir gemeinsam gegen Berufsverbote in Bremen Aktionen organisierten – ich als Schülervertreter, sie als gestandene Antifaschistin und Sonderschullehrerin.
Und Sie, Herr Bürgermeister, könnten sicherlich etwas über Ihren Vater Gustav Böhrnsen, der als Schlosser auf der AG Weser im Widerstand kämpfte, verhaftet wurde und – trotz Wehrunwürdigkeits-Schein – 1942 in der Strafkompanie 999 für die Ziele des deutschen Faschismus kämpfen sollte, beisteuern.
Alle diese Namen zeigen, über welch reiche antifaschistische Tradition die Bremer Stadtgeschichte verfügt, die vielleicht im Rahmen der Beschäftigung mit der Ausstellung über europäischen Widerstand aktiviert werden kann.
Und zu dieser Tradition haben wir in Bremen immer auch Heinrich Vogeler gezählt, auch wenn er eigentlich in Worpswede gelebt und gewirkt hat.
Es freut mich deshalb, dass zur Eröffnung der Ausstellung hier in der Rathaushalle ebenfalls die Zeichnungen, die Heinrich Vogeler gemeinsam mit Johannes R. Becher für die antifaschistische Publikation „Das Dritte Reich“ 1934 in Moskau zusammengestellt hat, gezeigt werden können.
Einige dieser Zeichnungen sind sicherlich durch verschiedene Publikationen bekannt. Ich selber habe aber – ehrlicherweise – den gesamten Zyklus erst 2012 anlässlich der großartigen Gesamtschau zu Heinrich Vogeler in Worpswede wahrgenommen.
Die Bilder haben mich so beeindruckt, dass ich 2013 einen Reprint dieser antifaschistischen Publikation auf den Weg brachte. Mit diesen Zeichnungen – elf Jahre vor der tatsächlichen Befreiung vom Faschismus und Krieg entwickelt – versuchten Vogeler und Becher selbst vom Ausland her nicht nur über die Verbrechen der faschistischen Herrschaft in Deutschland und die gesellschaftlichen Träger dieser Terrorherrschaft aufzuklären, sondern – und das wird in den letzten Zeichnungen besonders deutlich – den Menschen Mut und Optimismus im antifaschistischen Kampf mitzugeben. Es war ein Mut und Optimismus, der sich auch in dem berühmten „Lied der Moorsoldaten“ der Häftlinge des KZ Börgermoor ausdrückte, in dem es unter anderem heißt: „… ewig kann‘s nicht Winter sein.“
In diesem Sinne wünschen wir uns ein Publikum, das die Ausstellung und die dort gezeigten Informationen nicht nur historisch oder retrospektiv betrachtet. Denn die Erinnerung an den antifaschistischen Widerstand vor über 70 Jahren hat – aus unserem Verständnis – immer auch eine sehr gegenwärtige Dimension. Nicht dass wir eine falsche Analogie zwischen der faschistischen Herrschaft und heutigen Verhältnissen ziehen würden. Aber die heutigen demokratischen Verhältnisse verdanken wir zu nicht geringem Umfang dem Kampf und dem Einsatz von Antifaschisten gegen die NS-Herrschaft und nach der Befreiung im antifaschistisch-demokratischen Neuanfang.
Und so verstehen wir die auf den Tafeln gezeigten Beispiele des antifaschistischen Kampfes auch als „Mutmacher“ für heute,
als „Mutmacher“ auch für Auseinandersetzungen mit Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus, mit Neofaschismus und Antisemitismus, mit Kriegspolitik und sozialen Ungerechtigkeiten,
als „Mutmacher“ heute einzutreten für Demokratie, Frieden, Freiheit und eine solidarische Gesellschaft, in der alle Menschen mit gleichen Rechten lebenswert