Ansprache Jean Cardoen am 21. Jan. im Rathaus zur Eröffnung der Ausstellung „Europäischer Widerstandskampf gegen den Nazismus“
9. Februar 2015
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, meine Damen und Herren
Aus mehreren Gründen freut es mich sehr, heute Abend hier anwesend sein zu dürfen:
Auf der einen Seite ermöglicht es mir, meine guten Freunde Ulrich Schneider und Thomas Wilms, mit denen ich schon seit vielen Jahren zusammenarbeite, wieder zu sehen.
Auf der anderen Seite ist es das erste Mal, dass die Ausstellung, die von der FIR und dem belgischen Institut für Veteranen entwickelt wurde, in Deutschland zu sehen ist und wir sind somit stolz und fühlen uns sehr geehrt.
Der Zufall will, dass mein eigenen Vater, der leider vor 2 Monate gestorben ist, ein Kriegsgefangener in Deutschland war und im Lager Sandbostel (was nicht sehr weit von hier ist) interniert war. Er sprach oft von seiner Festnahme und dem Lager. Ich versprach ihm immer, dass wir eines Tages zusammen dorthin gehen würden, aber die Gelegenheit hat sich nie geboten. In Erinnerung an meinen Vater und ihm zu Ehren, werde ich deshalb morgen Sandbostel besuchen.
Aber zurück zu der berühmten Ausstellung „Widerstand in Europa.“
Wie wurde sie geboren?
Es sind ja schon vier Jahren her, dass ich in Italien war für eine Tagung mit ANPI, der Vereinigung der italienischen Partisanen, um einige Bildungs-Tools, insbesondere über die Deportation und den Widerstand, zu präsentieren, die das belgische Institut für Veteranen produziert und vertreibt. Als ich die Anzahl der anwesenden Personen anschaute, sowohl Jugendliche als auch ältere Widerstandskämpfer, und ihre Zeugnisse hörte, erkannte ich, dass der antifaschistische Widerstand in ganz Europa vorhanden war.
Ich erkannte auch, dass es nicht nur die belgischen und italienischen Erfahrungen gab, sondern dass es in ganz Europa Männer und Frauen gab, die aufgestanden sind, um gegen den Faschismus und Nationalsozialismus zu kämpfen: vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Bei meinen Recherchen habe ich auch gemerkt, dass es nicht so etwas gab wie ‘den Widerstand‘ und dass der Widerstand in den jeweiligen Ländern oft verschieden war von dem Widerstand, der mir in Belgien bekannt war. Der Widerstand der russischen Partisanen und ihre Erfahrungen haben eine andere Form und andere Farben als der Widerstand der Untergrundpresse in Belgien. Operationen in Holland waren unterschiedlich von denen in Albanien.
Jedes Land hat seine Gründe, seine Wirkungsweisen, seine Geschichte. Aber alle hatten gemeinsam den heftigen Wunsch, den Nationalsozialismus zu zerstören (wie es auch im Schwur von Buchenwald heizt: „die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln“).
Es sind diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die wichtig hervorzuheben sind Daher die Idee eine zusammenfassende Tabelle der Widerstandsbewegungen in Europa zu machen in Form einer Ausstellung. Es war eine riesige Mammutaufgabe
Wenn man aber mit großen Schwierigkeiten konfrontiert wird, bittet man seine Freunde um Hilfe. Das habe ich gemacht, indem ich Kontakt mit Ulrich Schneider aufnahme und ihm den Vorslag machte zusammen mit der FIR dieses große Abenteuer anzufangen. Ulrich war sofort begeistert und hat die verschiedenen europäischen Mitgliedsvereinigungen mit ins Projekt aufgenommen. Wir haben uns mächtig angestrengt, um den Termin einzuhalten und haben es auch geschafft
Und was sind die Ergebnisse? Widerstand ist was? oder vielmehr die Widerstände, was ist das?
1. Widerstand ist vielfältig. Es gab bewaffneten Widerstand (in Belgien beteiligten sich mehr als 100.000 Männer und in Ländern wie Jugoslawien, Albanien, Polen, Griechenland, Italien und die Sowjetunion war diese Form von Widerstand der Hauptmodus ).
Aber es war nicht nur das:
2. Psychologischer Widerstand: Flugblätter n und Untergrundpresse: Holland, Frankreich und vor allem Belgien waren in darin ausgezeichnet
3. Die Fluchtlinien für Piloten die, nachdem sie über besetzten Gebieten abgeschossen wurden, versteckt wurden, um sie anschließend durch ein Netz von Agenten von Frankreich nach Spanien später dann über die Pyrenën und zuletzt durch Portugal nach England zu bringen.
4. Die Informationsnetzwerke, notwendig für die militärischen Operationen der Alliierten.
5. Sabotage … auch das gibt es in allen Ländern. Bei uns gab es eine Besonderheit, nämlich die Gruppe G, eine Gruppe von 4000 belgischen Widerstandskämpfern, zum größten Teil zusammengestellt aus Lehrern und Schülern von der ULB und andere tapfere wie Jacques Jadoul.
6. Die Unterstützung von versteckten Juden, die es möglich gemacht hat, dass schlussendlich tausende jüdische Kinder im Verborgenen überleben und entkommen konnten.
7. Es gibt aber auch den passiven Widerstand … was bedeutete, dass die Menschen die deutsche Kriegsmaschine ohne grosse Heldentaten verlangsamt haben. Auch gab es große Streiks, wie den Streik der 100.000 in Lüttich, der Streik der Minenarbeiter in Nord Pas de Calais und die Streiks in Ungarn, Dänemark, den Niederlanden und Norwegen.
Auch wenn es keinen europäischen Widerstand gab, wohl aber einen Widerstand in Europa, so gab es doch eine Menge internationaler Kontakte. Auf jeder Tafel sehen wir einen Akt des Widerstands, der von einem Ausländer ausgeführt werde.
Zum Beispiel Theodor Angelov (Bulgare) in Belgien, die Manouchian Gruppe (Armenier, Juden, Polen, Ungarn und spanische Kommunisten) in Frankreich, die „Rote Kapelle“ in Deutschland (Belgien, Frankreich), das NKFD (= National Komité Freies Deutschland), Deutsche Anti-Nazi die als Soldaten gedient haben in der Roten Armee aber auch bei den griechischen und rumänischen Partisanen sowie italienischen Soldaten bei den albanischen Partisanen. Die Aktion der spanischen Antifaschisten und italienische Exilanten in Frankreich aber auch die 600 sowjetischen Kriegsgefangenen, die entkommen sind und in Belgien gekämpft haben … All dies sind nur Beispiele, die Sie in der Ausstellung finden.
Noch ein weiteres Merkmal: der Widerstand umarmte alle Ideologien: von der kommunistischen Ideologie (wie zB. die griechischen Partisanen von ELAS, die Unabhängigkeitsfront in Belgien, …) zu den sozialdemokratischen Ideologien ( wie zB. die geheime Nachrichtendienst der deutschen Sozialdemokraten). Dem Widerstand gehören auch Menschen aller religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen an: Atheisten sowohl als Christen (zB in Deutschland, die Rolle der katholischen Kirche (Kardinal Galen, der sich offen gegen das T4-Euthanasieprogramm aussprach ), evangelische und protestantische Kirchen (Martin Niemöller), aber auch in Italien (der Priester Minzoni) und Polen (1200 Priester hingerichtet).
Die traditionelle Konservative waren auch antifaschistisch (General De Gaulle, Polnische Generäle wie Sikorski und Komorowski, die Königin der Niederlande, die meisten europäischen Regierungen im Exil in London, …).
Es gab auch eine Menge von Frauen im Widerstand. Es gab eine Sophie Scholl in jedem Land. Ich möchte auch in diesem Zusammenhang eine Anekdote erzählen. Diese Geschichte finden Sie auf einer der Tafeln über die Sowjetunion.
Sie sehen ein Foto von einem 19-jährigen Mädchen, Zoia Kosmodeiamskaïa. Sie wurde im Jahr 1941 von den Deutschen für Widerstandshandlungen festgenommen. Auf den beiden Bildern, die wir haben, sieht man den Platz eines Dorfes, wo die Dorfbewohner gezwungen werden,einer Hinrichtung beizuwohnen. Und wir sehen, das 19-jährige Mädchen, sie weiß, sie wird sterben und sagt: „. Wir sind 190 000 und sie können uns nicht alle hängen. Dieses Beispiel von Mut ist zu einem Symbol geworden für die Russen, denn nach Stalingrad, als die Rote Armee nach Deutschland marschierte, schrieben sie auf ihren Panzern „für Zoia“ .
Ich denke, dass alles gesagt ist: 21 Länder, 51 Paneele, 450 Fotos, Hunderte von Texten und Legenden, in mehreren Sprachen übersetzt:
– Zuerst in Französisch, Niederländisch und Englisch, wurde die Ausstellung im Juli 2013 in Belgien im Europäischen Parlament eröffnet und zirkulierte dann in Belgien und in der Niederlanden.
– Anschließend wurde sie in zwei anderen Sprachen übersetzt:
– Erst in Deutsch. Die erste Eröffnung in Deutschland findet heute hier in Bremen statt. Dies zeigt auch die Dynamik der Organisatoren: der VVN-BdA Bremen und alle Verbände, die dieses ganze Programm, das zwei Wochen dauern wird, geplant haben.
– Dann in Ungarisch: die Ausstellung wird am 13. Februar im Haus der Presse in Budapest sein um dann nach anderen ungarischen Städten reisen
Diese Ausstellung wird auch schon bald in Form eines Buches erhältlich sein. Es wird in vier Sprachen veröffentlicht, darunter auch in Deutsch und beinhaltet alle Texte und Fotos der Ausstellung. Es wird am 18. Juni in Paris veröffentlicht, Jahrestag an dem General de Gaulle in 1940 alle Franzosen aufrief, den Deutschen zu widerstehen.
Und ich beende meine Ansprache hier mit einem schönen Satz, den ich in einer Nachkriegszeitung aus dem Jahr 1946 las (ich kenne den Namen des Verfassers leider nicht mehr). Dieser Satz erinnert an unseren Kampf gegen die Diktatur und den Faschismus. Er unterstreicht die Denkfreiheit und den Kampf für diese Freiheit. Der Verfasser kannte weder Charlie Hebdo noch den Slogan « Je suis Charlie ». Er schrieb einfach „Vergiss nicht, dass jeder Satz der heimlichen Presse mit Blut gedruckt wurde ». Das ist Widerstand.
Vielen Dank