„Arbeit macht frei“ mit Goethe in Bremen und in Dachau.
17. November 2014
„Goethe in Dachau“- das richtige Thema am Goetheplatz in der Villa des ehemaligen Intendanten des Bremer Schauspielhauses am Goetheplatz? Welche Herausforderung in der Stadt von Rudolf Alexander Schröder, dem Schriftsteller und Übersetzer, dem national-konservativen Goethe- Verehrer und Leiter der Kunsthalle. Ein Ehrenbürger Bremens, den freilich die „Ungnade der frühen Geburt“ langsam einzuholen droht, weil er und seine Freunde um den ersten Bundespräsidenten Theodor Heuß der „Gnade der späten Geburt“ (Ex-Kanzler Kohl) nicht teilhaftig wurden. Gewiss, auch Repräsentanten der Wissenschaft und des Bürgertums gehörten zum Widerstand. So wurden u.a. drei prominente Mitglieder der Berliner Mittwochgesellschaft Opfer des NS-Terrors: Johannes Popitz; Ulrich von Hassel und Ludwig Beck. Schröder gehörte nicht dazu, auch wenn er sich mit Manfred Hausmann nach 1945 zum Anhänger der „inneren Emigration“ stilisierte.
Von dem Goethe-Verehrer war kein Einwand zu hören, dass „Arbeit macht frei“, dieses missbrauchte Goethe-Wort aus dem Faust, die Eingangstore von Auschwitz und Dachau „schmückte“. Aber, was er wahrscheinlich nicht wusste: In den Baracken der Lager konnte Goethe durchaus zur Ermutigung und zum Überleben beitragen. Die Konzentrationslager waren als Einrichtung der Ausbeutung und Vernichtung zugleich Orte, in denen Beethoven und Mozart auf dem Programmzettel standen und Goethes Faust gespielt wurde. Es erklang gelegentlich entartete Musik und es wurde zum Swing oder Jazz getanzt. Ein „Nigger-Gesang“, der im „Dritten Reich“ verboten war und dazu führte, dass Schüler nicht nur aus Hamburg, Lübeck und Bremen deshalb ins Jugendkonzentrationslager Moringen bei Göttingen deportiert wurden. Der dafür verantwortliche Oberschulrat wurde nach 1945 einer meiner Lehrer in Lübeck. Es war der einstige Hamburger Gauschulungsleiter Albert Henze, nach 1945 als „Mitläufer“ eingestuft und ab Ostern 1952 wieder Im Schuldienst, eingestellt vom Lübecker Schulsenator Lembke, dem selbst schwer belasteten späteren Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein.
Gewiss, das Konzentrationslager war kein Konzertlager. Aber in den deutschen KZ waren Musik und Literatur nicht ausgelöscht. Fast jedes KZ hatte ein Orchester und eine Bibliothek. Was für die Bürger in Deutschland verboten war, das war den Häftlingen erlaubt. Sie konnten die verbrannten Bücher der deutschen Dichter und Denker lesen und „entartete“ Musik“ von Schönberg hören, gespielt in Auschwitz von seinem Schüler Gideon Klein, der am 18. Januar 1945, dem Tag der Befreiung der Lager, aus Krankheitsgründen zurückbleiben musste und dort starb, bevor die sowjetische Armee Auschwitz am 27. Januar 1945 befreite. Unter den schwierigsten Bedingungen und oft illegal bot sich so den Häftlingen die Möglichkeit, an ihren eigenen Ideen und Fähigkeiten festzuhalten, psychisch zu überleben, widerständig zu bleiben. Erich Klann, der aus Lübeck stammende und ins KZ Sachsenhausen deportierte spätere Direktor des Arbeitsamtes der Hansestadt, organisierte z.B. mit dem illegalen Lagerleiter von Sachsenhausen Harry Naujoks aus Hamburg und dem Bremer Leiter der Häftlingsbücherei Edgar Bennert nach dem Massenmord an 18. 000 sowjetischen Soldaten und der Exekution von jüdischen Häftlingen Musikabende und Lesungen von Goethe- und Tolstoi-Stücken. Sie wollten damit die Moral derjenigen aufrecht erhalten, die angesichts dieser Morde und Untaten verzweifelten. Ein Versuch, die gequälten Häftlinge zu stärken, ihnen Mut zu geben, den Kampf gegen den Faschismus auch und gerade im KZ so lange wie möglich zu führen.
Warum ging die Erinnerung an diese eng mit den Hansestädten verbundenen Männer und Frauen des Widerstands verloren? Zum Beispiel an Edgar Bennert (1890-1960). Er war vor 1933 ein prominenter Schauspieler und Redakteur aus Bremen, der als KPD-Mitglied schon vor 1933 verfolgt wurde. Bennert gehörte zusammen mit seinem Bremer Freund Max Burghardt zum Schauspielensemble des Bremer Stadttheaters und war von 1928 bis 1933 Chefredakteur der Bremer Arbeiterzeitung, der Tageszeitung des KPD-Bezirks Nordwest. Als solcher wurde er schon vor 1933 mehrfach mit Prozessen überzogen und verurteilt. Ähnlich erging es dem Vater von Bürgermeister Hans Koschnick. Beide engagierten sich in der Agitprop-Arbeit der Partei. Edgar Bennert leitete die legendären „Blauen Blusen“. Er gründete an der Wende von 1932 auf 1933 die Marxistische Arbeiterschule Bremen, dem Vorläufer der Masch. Und er leitete mit Eberhard Peters die „Soziologische Studiengemeinschaft“, eine Bildungseinrichtung in Kooperation mit fortschrittlichen bürgerlichen Kräften zur Intensivierung der antifaschistischen Aufklärung. Hier kamen noch vor 1933 Erich Weinert, Erich Mühsam und Alfons Goldschmidt zu Wort.
Als KZ-Häftling in Bremen-Mißler, in Esterwegen und Sachsenhausen setzte Bennert die kulturelle Überlebensarbeit fort, u.a. mit Helmut Bock von der SPD als Regisseur von Theaterstücken von Goethe und Hauptmann im KZ Sachsenhausen. Er spielte im KZ den Faust, Gustav Voss den Wagner und Bock den Mephisto. Und er leitete die Häftlingsbibliothek als Keimzelle des Widerstands im KZ. Nach der Befreiung kam kein Ruf aus Bremen. Aber Bennert wurde Intendant des Mecklenburgischen Staatstheaters in Schwerin. 1955 war er mit seiner legendären Schweriner Inszenierung des „Teufelkreises“ von Hedda Zinner in 11 Städten der BRD zu Gast. Warum nicht in seiner alten Wirkungsstätte Bremen? Lag es am politischen Inhalt dieser mehrfach ausgezeichneten Inszenierung, die unter Verwendung dokumentarischen Materials aus dem Reichstagsbrandprozess die Fehler der Arbeiterbewegung aus Anlass der Machtübertragung an Hitler thematisiert- aus der Sicht der Erzählerin mit jüdisch-österreichischer Herkunft?
Nicht anders und besser erging es zunächst dem Bremer Schauspieler, Regisseur, Theaterleiter und Kulturpolitiker Max Burghardt(1893-1977). 1945 nach Verfolgung und Zuchthaus zurückgekehrt nach Bremen, gehörte er zu denen, die das Theaterleben hier wieder aufbauten. Er verfasste für die Bremer Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus (KGF) einen Grundsatzbeitrag zum „Theater als Spiegel der Zeit“, nachzulesen im „Aufbau“, dem Organ der KGF, Nr.8 vom September 1945: „Aus tiefer Not geboren, dient das Theater der Milderung der Not und der Herstellung der Wahrheit“. Vergeblich wartete der Kommunist Burghardt auf ein Angebot aus Bremen. Er hatte dennoch Glück: Der prominente Theatermann überlebte für kurze Zeit ab Mai 1946 mit Hilfe der britischen Besatzungsmacht als „Roter Intendant“ am Kölner Sender, dem Vorläufer des WDR. Er wurde 1947 Intendant der Leipziger Bühnen, bevor er den ehrenvollen Ruf als Leiter der Deutschen Staatsoper in Berlin erhielt und Präsident des Kulturbundes wurde. Ebenso erging es seinem Freund aus Bremer und Düsseldorfer Jahren, dem KZ- Börgermoor-Häftling Wolfgang Langhoff (Die Moorsoldaten). 1945 zurückgerufen aus dem Exil als Mitglied des Züricher Schauspielhauses in seine Heimatstadt als Generalintendant der Städtischen Bühnen Düsseldorf, musste er Platz machen für den Göring-Freund Gustaf Gründgens, konnte aber seine Weltkarriere als Intendant des Deutschen Theaters in Berlin fortsetzen. Also in jenem Theater, das von 1934 bis 1944 von Gründgens als Staatstheater geleitet worden war . In den offiziellen Darstellungen des Theaterlebens von Bremen tauchen sie bis heute nicht auf. Keine Straße, keine Ehrentafel hält die Erinnerung an sie fest.
Jörg Wollenberg Vortrag am 28.10. 2014 um 20 Uhr in der Villa Ichon