Rede von Eduardo Barahonas zum Gedenktag der Opfer von Faschismus und Krieg am 8.9.2013

geschrieben von Eduardo Barahonas

19. September 2013

„Niemals wieder“
„Damit es in Chile niemals wieder zu einem Putsch und seinen Folgen kommt!“
Dies ist der Refrain eines Liedes, das in Chile in der letzten Zeit sehr populär geworden ist.
Obwohl es lange Zeit nicht so ausgesehen hat, erwacht die Erinnerung an den Putsch zu
neuem Leben. Was hat sich verändert?
„Ein Putsch und seinen Folgen“. Fünf Worte umfassen eine unermessliche Tragödie, die
politische Hoffnungen auf eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu Nichte machte und denen,
die sich dafür eingesetzt hatten, mit Gefängnis, Folter, Mord und Exil unfassbares Leid
zufügte.
Die Hoffnung war gewachsen, als die Unidad Popular, ein breites Bündnis von
sozialistischen, kommunistischen und christlichen Parteien mit Salvador Allende 1970 die
Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte und begann, den Reichtum der Gesellschaft
umzuverteilen:
• Schulbildung und Gesundheitsversorgung wurden kostenfrei. Jedes Kind bekam täglich kostenlos einen halben Liter Milch. Preise für Mieten und Grundbedarfsartikel wurden reguliert. Viele ärmere Familien konnten sich erstmals Fleisch leisten.
• Mit einer Landreform wurde Boden aus Großgrundbesitz an Bauern und Kollektive umverteilt. Dadurch sollte erstmals auch Land an die Mapuche zurückgegeben werden, die seit der Kolonisierung mit Waffengewalt aus ihren angestammten Gebieten in unwirtliche Gegenden vertrieben und ihrer Existenzgrundlagen beraubt wurden.
Die Bodenschätze, vor allem Kupfer und Kohle, sollten nicht mehr den ausländischen Großunternehmen Gewinne bringen, sondern der chilenischen Gesellschaft. Sie wurden deshalb in mehreren Schritten verstaatlicht, genau wie fast alle Banken.
Damit bedeutete die Hoffnung für viele die Enteignung von wenigen. Sie ließen sich jedoch
nicht von den Schaltstellen der Macht verdrängen und planten schon bald ihr come back.
Besonders die großen us-amerikanischen Unternehmen wollten keine Einbußen hinnehmen.
Zu ihnen gehörte neben dem Pepsi-Cola-Konzern und der Chase Manhattan Bank vor allem
der us-amerikanische Mischkonzern ITT, der in Chile Kupferminen betrieb. Er ging zum
Sturz von Allende eine intensive Kooperation mit der CIA ein. Die CIA beriet ITT beim
heimlichen Transfer von hohen Geldsummen an konservative Politiker. Dafür legten Manager
von ITT der CIA frühzeitig ein 18-Punkte-Programm zum Sturz Allendes vor. Das Rezept
lautete: „Aushungern der chilenischen Wirtschaft durch die USA und befreundete Staaten,
Subventionen für oppositionelle Gruppen und Zeitungen und „verlässliche Quellen innerhalb
des chilenischen Militärs anbohren“. Genau das wurde durchgeführt.
Henry Kissinger, damals noch Nationaler Sicherheitsberater der USA, sagte schon 1970 nach
dem Wahlsieg der Unidad Popular: „Ich sehe nicht ein, warum wir zusehen sollen, wie ein
Land kommunistisch wird, weil seine eigenen Leute unverantwortlich sind.“ Und so
„übernahm er Verantwortung“. Zusammen mit der CIA schmiedete er zur Vorbereitung eines
Umsturzes ein Komplott mit Führungspersonen des chilenischen Militärs, von denen viele
vorher schon in der US-Militärakademie in der Panamakanal-Zone, einer berüchtigten CIA-
Folterschule, ausgebildet worden waren.
Das Aushungern der chilenischen Wirtschaft wurde beschleunigt durch Manipulation
der Kupferpreise, durch Streichung von Krediten der Weltbank und den Boykott von
Ersatzteil-Lieferungen aus dem Ausland.
• . Die CIA subventionierte mit Geld und Waffen in Höhe von 13 Millionen US-Dollar nicht nur oppositionelle Parteien und Medien, sondern auch direkte Sabotageakte.
• . Führende Militärs, die loyal zu der gewählten Regierung standen, wurden von den Putschgeneralen schon vor dem gewaltsamen Umsturz eliminiert.
• . Gleichzeitig übergab die CIA dem chilenischen Militär auch schon Listen mit den Namen von mehr als 20.000 Führern von linken Parteien, Gewerkschaften, Studentengruppen und anderen Bürgerkomitees.
Am 11. September 1973 griffen chilenische Militärs unter Führung von General Augusto
Pinochet mit Bombern den Präsidentenpalast Moneda in Santiago de Chile an, brachten
Allende um und begannen, seine Anhänger zu Tausenden gefangen zunehmen, zu foltern und
zu ermorden. Es begann eine Zeit unaussprechlicher Grausamkeit.
An amerikanischen Börsen dagegen stiegen die Notierungen für ITT und die Kupferpreise
bereits Minuten nach den ersten Meldungen über den Putsch. In Deutschland kommentierte
der CSU-Politiker Franz-Josef Strauß: „Angesichts des Chaos, das in Chile geherrscht hat,
erhält das Wort Ordnung für die Chilenen plötzlich wieder einen süßen Klang.“
Die chilenische Tochtergesellschaft der Farbwerke Hoechst AG bestätigte in einem Brief den
zentral gesteuerten Komplott:
„Der so lang erwartete Eingriff der Militärs hat endlich stattgefunden … Säuberungsaktion ist
immer noch im Gange… Wir sind der Ansicht, dass das Vorgehen der Militärs und der Polizei
nicht intelligenter geplant und koordiniert werden konnte, und dass es sich um eine Aktion
handelte, die bis ins letzte Detail vorbereitet war und glänzend ausgeführt wurde… Chile wird
in Zukunft ein für Hoechster Produkte zunehmend interessanter Markt sein… „.
Es folgte ein Belagerungszustand bis 1978 und eine Diktatur bis 1990, in der die Rezepte des
Neoliberalismus erstmals umgesetzt wurden:
• Die natürlichen Ressourcen wurden zum großen Teil wieder privatisiert und dabei große Teile des
Staatsbesitzes an die Militärs überschrieben. Heute ist weniger als ein Drittel der chilenischen Kupferindustrie in öffentlicher Hand.
• Die Bodenreform wurde rückgängig gemacht
• Ein Gesetz zur Abschaffung des Gemeineigentums der Mapuche enthielt den Passus, dass mit seinem Inkrafttreten der Boden und seine Bewohner aufhören indigen zu sein, um gleichzeitig die Existenzbedingungen und die Identität der Mapuche selber zu eliminieren.
• kollektive Tarifverhandlungen wurden verboten
• die Ausbildungskosten wurden auf die Familien verlagert.
Erst 14 Jahre später wurde die Bildung von Parteien wieder zugelassen und 1989 fand nach 16
Jahren eine Präsidentenwahl statt. Chile wurde nominell wieder eine bürgerliche
Demokratie. Aber die Verfassung, die Pinochet 1980 installiert hatte, blieb im Wesentlichen
unverändert gültig und mit ihr ein undemokratisches Wahlsystem, mit dem alle
ausgeschlossen werden sollten, die gegen den neoliberalen Umbau der Gesellschaft eintraten.
Unter diesen Bedingungen wurde die Politik der Privatisierungen und des Sozialabbaus
fortgesetzt. Vor allem die staatlichen Ausgaben für die Bildung wurden weiter gekürzt. Heute
sind die Studiengebühren so hoch, dass man zum Studieren entweder viel Geld haben oder
sich hoch verschulden muss.
Auch die Unterdrückung der Mapuche wurde fortgesetzt. Der größte Teil ihres Landes wurde
ihnen durch Besetzung und Konfiszierung inzwischen entrissen, so dass sie in größte Armut
stürzten. Proteste beantwortete die Regierung mit immer gewaltsameren Methoden bis hin
zum Einsatz von Schusswaffen, denen auch Jugendliche und Kinder zum Opfer fielen. Viele
wurden festgenommen, über lange Zeit gefangen gehalten und sogar misshandelt und
gefoltert, um widerrechtlich ein Geständnis zu erzwingen. Die Regierung beruft sich bei der
unverhältnismäßigen Unterdrückung der gerechten Proteste auf ein „Antiterrorgesetz“ aus der
Zeit der Diktatur, um sie als Terrorakte zu stigmatisieren.
nzwischen hat aber die zunehmende Verschlechterung der sozialen Lage zu einem neuen
Aufschwung von sozialen Bewegungen geführt. Vor allem die Studentenbewegung gegen
Studiengebühren, für Reformen und mehr staatliche Mittel im Bildungssystem brachte die
größten Massenproteste seit Ende der Pinochet-Diktatur hervor, bei denen später dann auch
eine neue verfassunggebende Versammlung gefordert wurde.
2006 konnten Arbeiter von Subunternehmen im Kupferbergbau und in der Forstwirtschaft
auch die ersten echten Tarifverhandlungen wieder durchsetzen. Im Juli 2011 traten 17000
Bergarbeiter der in staatlicher Hand verbliebenen Nationalen Kupfergesellschaft
(CODELCO) in den Streik, um gegen eine weitere Privatisierung zu protestieren.
Auch der lange Kampf der Familien und Freunde der Verschwundenen und Ermordeten für
Gerechtigkeit und Wahrheit wird stärker. Er bewahrte die Erinnerung an die Bilanz der
Schmerzen, der Verfolgungen und Tragödien, der Gefängnisse und Folterungen und des Exils
für hunderttausende Chilenen. Und nun erwachen ihre Forderungen nach Gerechtigkeit,
Wiedergutmachung und vor allem nach historischer Wahrheit zu neuem Leben und finden
ihren Ausdruck in der wachsenden Popularität des Liedes „Niemals wieder“: Chile erinnert
sich. Chile und die Chilenen erinnern sich, damit die Vergangenheit nicht in Vergessenheit
gerate, damit dieses Kapitel nicht beendet werde ohne gerechte Strafe, vor allem nicht ohne
das notwendige Urteil der Geschichte.
So trugen viele dazu bei, dass sich für die kommenden Präsidentschaftswahlen eine
fortschrittliche Allianz zur Wahl stellen kann, die mit der Unterstützung der Bevölkerung die
Möglichkeit hätte, in Chile grundsätzliche Veränderungen zur Verbesserung der sozialen
Lage durchzusetzen. Dieses neue Bündnis für eine gerechtere und selbstbestimmte
Gesellschaft in Chile bestätigt Allendes letzte Worte „Die Geschichte gehört uns, es sind die
Völker die sie machen!“