Mein Vater, Hitler und ich
1. Juli 2013
Vor 19 Jahren erreichte die Bremer VVN-BdA eine Anfrage von der Ile aux moines (Mönchsinsel) in der Bretagne. Ein Bremer, Jahrgang 1913, Theologe aus gutbürgerlicher Familie, fragt, ob denn schon alle Widerstandsleute in Deutschland gestorben seien. Nach und nach enthüllte sich eine Lebensgeschichte. Herbert François Charles de Beaulieu verließ das Gymnasium, trat Ende der Zwanziger in die Firma Melchers ein und machte seine Kaufmannsgehilfenlehre. Oktober 1933 wurde er zum Londoner Zweigbetrieb geschickt, anschließend nach Paris. In London begegnete er Dietrich Bonhoeffer, der einen tiefen Eindruck auf ihn hinterließ. In Paris begegnete er im Frühjahr 1934 seinem alten Klassenkameraden Pastor Dahlgrühn. Nach Abschluss seiner Prüfung vor der Handelskammer nahm de Beaulieu das Theologiestudium auf. Über Marburg und Tübingen kam er nach Berlin, immer im Umfeld der „Bekennenden Kirche“. Der beginnende Krieg sah ihn seiner Sprachkenntnisse wegen in der Abteilung „Fremde Heere West“ beim Generalstab in Zossen. Sein Gewissen bewegte ihn dazu, Fronterlebnisse, Briefe aus Theresienstadt, Gedichte von Pfarrer Reinhold Schneider, Predigten des Münsteraner Bischofs von Galen und des Papstes abzuschreiben und Freunden zuzustecken. Am 11. Februar 1942 wurde er von der Geheimen Feldpolizei verhaftet, am 16. April 43 zu sieben Monaten Gefängnis und Degradierung verurteilt und in die Feldstrafgefangenenabteilung Nr. 10 an der Ostfront versetzt. Als er sich nach seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft im September 1946 um eine Pfarrstelle bewarb, enthielt sein polizeiliches Führungszeugnis den Vermerk: “vorbestraft mit 7 Monaten Gefängnis“. Die Urteilsgründe waren nicht aufgeführt. Er ging nach Paris und fand über den „Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge“ Anstellung bei der deutschen Gemeinde. Wegen seiner Verdienste bei der systematischen Erfassung deutscher Soldatengräber in Frankreich und der Bearbeitung der Nachforschungsanträge erhielt er vom Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge Verdienstplakette und Ehrennadel, von Bundespräsident Heuß das Verdienstkreuz.
Sein Sohn François de Beaulieu hat 2008, ein Jahr nach Vaters Tod Erinnerungen an ihn als Buch veröffentlicht. Die deutsche Fassung erscheint im Donat Verlag in Bremen unter dem Titel: „Mein Vater, Hitler und ich“. Es ist eine faszinierende Geschichte, eine Zeitreise zurück in die Zeit der Vertreibung der Hugenotten und ihrer Aufnahme in preußischen Landen. Der Großvater, kurzzeitig Kolonialoffizier im heutigen Namibia, starb als deutscher Offizier 1915 in Frankreich, sein Name ist in der Krypta der Liebfrauenkirche und im Rondell der Altmannshöhe zu lesen. Mütterlicherseits ist die Familie de Beaulieu eng mit dem bremischen Bürgertum verbunden. Die Großmutter war eine Oelrichs. „Ich brauchte lange Zeit, bis ich begriff, was mein Vater während des Krieges gemacht hatte“, schreibt Sohn Beaulieu. Im Sommer 1949 war Vater Beaulieu in Bremen und trat als Mitglied Nr. 102019 der VVN bei. Sein Elternhaus in Bremen war durch Bomben vernichtet, seine Mutter einem Fliegerangriff zum Opfer gefallen. Mit einer gewissen Zurückhaltung, auf liebvolle Weise und vielleicht auch mit etwas Erfurcht nähert sich Sohn François de Beaulieu dem Vermächtnis seines Vaters, beschreibt Erinnerungen an die Insel, auf der er aufwuchs, an ein verwunschenes Häuschen hinten im Garten, in dem sein Vater Pläne schmiedete, an die bisweilen skurrile Sammelleidenschaft. Vater Beaulieu mochte nichts wegwerfen, vielleicht könnte es doch noch einmal gebraucht werden. Gastfreundschaft stand ganz hoch im Kurs, was der Verfasser 1998 bei einem Besuch selbst erfuhr.
François de Beaulieu, Mein Vater, Hitler und ich“, 239. S., 14,80 Euro, Donat Verlag Bremen 2013, ISBN 978-3-943425-20-8