Braune Erde
1. Juli 2013
„Ich hörte ihre Schritte, ihren keuchenden Atem, ihre Versuche leise zu sein. (…) Ich schloss die Augen und versuchte meine Angst ganz tief in meinen zu Kopf zu sperren. Ich wollte mir nicht ausmalen, was sie mit mir anstellen würden, wenn sie mich erwischten.“ „Alle Menschen, die ich kannte, lebten in diesem Dorf. (…) Und weit und breit war niemand, den ich um Hilfe bitten konnte. Ich hatte keine Beweise, keine Zeugen, ich war nur ein dummer Junge, dem niemand glaubte. Was war bloß passiert seit ihrer Ankunft vor sieben Monaten.“
Sie sind die neuen Siedler. Eine Gruppe bestehend aus einer Familie mit Vater, Mutter mit ihrer jugendlichen Tochter sowie einem verwitweten Vater mit seinen beiden Söhnen von 16 Jahren.
Benjamin der 15-jährige Ich-Erzähler erlebt seit Jahren zum ersten Mal wieder, dass er vermisst wird, dass seine Meinung den Leuten aus Fremden wichtig ist. Die Neuen leben das, was es seit der Wende in dem sterbenden oder schon gestorbenen Dorf nicht mehr gibt. Sie leben eine Gemeinschaft, deren Mitglieder aufeinander acht geben. Sie engagieren sich in ihrer neuen Heimat. Sie kümmern sich um die Alten, die Kranken und die Verlassenen. So schaffen sie es in kürzester Zeit aus den Verlierern der Wende wieder eine Dorfgemeinschaft werden zu lassen. Aus frustrierten Sozialhilfeempfängern werden Menschen, die wieder lachen. Benjamin versteht nichts von Politik, „aber Reinhold, [der Anführer der Siedler] redete nicht einfach daher, er wusste, was er sagte.“ Und vor allem wusste Reinhold, dass Benjamins Einsamkeit ihn zu einem bereitwilligen Gefäß machte, dass er mit seiner Ideologie von einer überlegenen Rasse füllen konnte. Reinhold muss Benjamin dafür nur an der Gemeinschaft der Siedler Teil haben lassen und ihn ernst nehmen. Was Benjamin nicht sieht, sehen seine Mitschüler in der Schule, die in der nächsten Kreisstadt liegt, sehr wohl: Während einer Auseinandersetzung wird er als Nazi beschimpft. Selbst wenn Benjamin mal etwas suspekt ist, etwa die Gewaltbereitschaft der Söhne, so werden diese Zweifel immer gleich wieder davon überdeckt, dass er endlich zu einer Gemeinschaft gehört und als Hort des Wissens – insbesondere über die Einstellung der einzelnen Dorfbewohner – sogar hofiert wird.
Die Situation im Dorf spitzt sich zu, als es in der Gegend zu Diebstählen kommt. Die Siedler gründen mit den Bewohnern eine Bürgerwehr, da sie sich von der Polizei allein gelassen fühlen. Auch Benjamin geht mit auf Streife und erlebt mit Entsetzen eine Scheinerschießung (mit). Zwei Polen trifft es, weil sie zu gut ins Feindbild passen. Benjamin gerät in einen Strudel, in dem er fürchtet zu ertrinken.
Georg bemerkt seine Not und lädt ihn zu einem Besuch in Stettin ein. Er ist ein väterlicher Freund von früher und wohnt ebenfalls in dem Dorf. Um dem Strudel wenigsten kurz zu entkommen, fährt Benjamin mit. Gerüchte Georg habe Benjamin während der Fahrt nach Polen missbraucht werden gestreut. Benjamin, hat dem nichts entgegen zu setzen, da er wegen eines Vollrausches, keine Erinnerung an die Nacht in Stettin hat. Die Bürgerwehr greift ein (…). Als Benjamin endlich aus dem Nebel von Suggestion und Realität aufwacht und erkennt, dass rein gar nichts an den Missbrauchsvorwürfen gegen Georg dran ist, geht er zur Staatsanwaltschaft. Doch die Woge des Hasses gegen Georg ist nicht mehr zu brechen.
Das Buch „Braune Erde“ von Daniel Höra, erzählt nachvollziehbar, wie ein unpolitischer Jugendlicher in den Sog von Nazis gerät. Man zittert mit Benjamin vor Angst, als er von den Siedlern verfolgt wird, ist mit ihm hin und her gerissen zwischen dem Wissen um Menschlichkeit und seiner Sehnsucht nach Liebe, Gemeinschaft und Anerkennung. Man versteht, wie er die doch so menschenfeindliche Ideologie in sich aufnimmt, obwohl er „kein Fan von Hitler war und nichts gegen Juden hatte. (…) Dass sich heutzutage überall die Ausländer breit machten, war was anderes, störte mich aber auch nicht wirklich.“ (S. 109). Das Buch kommt ohne Jugendslang aus und entspricht doch bis auf wenige Stellen, der Sprache von Jugendlichen. An diesen wenigen Stellen ist es etwas zu sehr auf der Methaebene.
Insgesamt ist es eine gute Lektüre für Jugendliche, sowohl zum alleine Lesen, als auch als Klassenlektüre, als Diskussionsbasis für den Gemeinschaftskundeunterricht sowie für den Unterricht in Wert und Normen.
Daniel Höra „Braune Erde“, 300 Seiten, Bloomsbury Verlag, Berlin, 2012, ISBN 978-3-8333-5099-3, 8,99 EUR