Hellers allmähliche Heimkehr
10. Dezember 2012
Martin Heller ist im besten Alter, ist geschieden und hat zwei erwachsene Kinder, die ihn anfangs ignorieren, aber im Laufe der Zeit annehmen.
Martin Heller ist im besten Alter, ist geschieden und hat zwei erwachsene Kinder, die ihn anfangs ignorieren, aber im Laufe der Zeit annehmen. Er fängt mehr gezwungenermaßen den Job als Chefredakteur einer Tageszeitung in der norddeutschen Kleinstadt an, der er vor 25 Jahren entfloh. Es gibt dort noch ein paar Freunde und Bekannte. Bald lebt er sich ein, lernt eine symphytische Frau kennen und findet eine neue Wohnung. Alles hätte so schön werden können. Doch schnell muss er erkennen, dass sich im Ort nichts verbessert hat. Im Gegenteil – aus den rechtskonservativen Ideen etlicher Bürger ist ein rechtsnationales Gedankengut geworden. Am 1. Mai wird ihm klar, dass da vieles im Argen liegt. Während der Rede des örtlichen DGB-Chefs skandieren einige „Passanten“ Sprüche wie „Ausländerinvasion stoppen“ oder „Arbeitsplätze zuerst für Deutsche“. Als Ordner sie beruhigen wollen, kommt es zum Handgemenge. Erst jetzt schreitet die Polizei ein und greift sich – natürlich – die Ordner und nicht die Neonazis. Der Polizeichef begründet das Vorgehen der Polizei mit Meinungsfreiheit. In der Folgezeit zeigt sich mehr und mehr eine Kameraderie von Polizei, Verfassungsorganen und Honoratioren mit den Neonazis. Bekannt ist auch, dass sie auf einem Bauernhof ungeschoren Wehrsportübungen abhalten, gefördert vom Rektor des Gymnasiums. Bei „unliebsamen“ Bürgern werfen sie Fensterscheiben ein, sprühen Nazi-Schmierereien an den Wänden, demolieren Hellers Auto und traktieren die Zeitung zu Hauf mit Hass-Mails. Doch letztendlich bringt ein Brandanschlag auf das griechische Restaurant viele Bürger soweit, dass sie merken, dass gehandelt werden muss. Am Ende heißt es wie so oft: „Wir hätten nie geglaubt, dass hier so etwas geschehen kann – noch dazu unter den Augen unserer Verfassungsschützer.“ Schrittweise beginnt die miefige Fassade, hinter der sich alle Beteiligten verstecken, zu bröckeln. Heller stellt in einem Kommentar die Frage, was denn noch alles passieren muss, damit endlich gegen die Neonazis ermittelt wird. Der Polizeichef muss gehen, sein Vize wird strafversetzt, weitere Polizisten müssen gehen. Auch der Rektor des Gymnasiums „fliegt“. Am Ende wird auch Heller entlassen – was ihn weder wundert noch berührt. Die Parallelen zum NSU-Skandal sind natürlich nicht zu übersehen (wird im Buch sogar angedeutet). Auch da scheinen sich Nazi-Terroristen und Geheimdienste zu beschützen. Hier gibt es einen Maulkorb, da werden Akten geschreddert und dort hat einer einen Blackout. Das Buch ist nicht zu¬letzt ein eindringlicher Ap¬pell für eine freie Presse. Auch die lokalen Zeitungen und Magazine müssen sich die notwendige Distanz erhalten. Es ist eine kurze und prägnante Geschichte, die es sicher lohnt gelesen zu werden. Wolfgang Bittner ist in Gleiwitz ge¬boren und im ostfriesischen Wittmund aufge¬wachsen. Er ist promovierter Jurist. Seit etwa 50 Jahren ist er als Autor tätig. Mit sei¬nem Buch „Rechts-Sprü¬che – Texte zum Thema Justiz“ sorgte er für Aufsehen. Heute ist er ein viel gefragter Autor und verfasste über 60 Bücher für Erwach¬sene, Jugendliche und Kinder. Er ist auch als freier Mitarbeiter für viele Zeitungen, den Hörfunk und das Fernsehen tätig. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Er erhielt viele Litera¬turpreise (u.a. 2010 den Kölner Karls-Preis). Er ist Mitglied des PEN sowie im Verband deutscher Schriftstel¬ler. Ebenso ist er ein Bildender Künstler (Malerei und Plastiken).
Johann-Günther König, Bremen, 126 S., davon sechs Seiten Namens- und Ortsregister, Hoffmann und Campe Verlag Hamburg 2012, ISBN 978-3-455-50233-6, 15 Euro