Zwangsarbeiterentschädigung vor Neuanlauf?

geschrieben von Wilhelm Henkel

14. März 2012

Proppevoll war der Wallsaal der Bremer Stadtbibliothek zu einer Buchvorstellung von Dr. Karl-Heinz Roth….

Proppevoll war der Wallsaal der Bremer Stadtbibliothek zu einer Buchvorstellung von Dr. Karl-Heinz Roth. Vor mehr als 80 erwartungsvollen ZuhörerInnen stellte er am 23. Februar seine dickleibige Studie zu „Reemtsma auf der Krim“ über Zwangsarbeit in der Tabakindustrie während der Zeit der deutschen Besetzung der Sowjetunion vor, an der er gemeinsam mit Jan Peter Abraham zwölf Jahre gearbeitet hatte. In seiner Eröffnung verwies Prof. Dr. Jörg Wollenberg auf die Fülle wohlwollender Kritiken führender deutscher Zeitungen. Er würdigte zugleich die jahrelange verdienstvolle Tätigkeit des Archivs Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts. Und er würdigte die Verdienste des kürzlich verstorbenen Neugeschichtlers Immanuel Geiss. Karl-Heinz Roth schilderte ausführlich die Probleme für die intensive Forschungsarbeit. Die Unterlagen der Firmenpolitik der deutschen Tabakindustrie waren weitgehend vernichtet, mussten mühevoll rekonstruiert werden. So konnte die ausgedehnte Kinderarbeit nicht dokumentarisch belegt werden, sondern erst nach dem Entstehen von Kontakten mit Überlebenden. Die politischen Rahmenbedingungen führten Ende der 90er Jahre wegen der Fülle an Klagen aus den USA eine begrenzte Entschädigung für von KZ-Häftlingen der deutschen Großbetriebe vor, eine Entschädigung für ungleich härtere Ausbeutung in den besetzten Ländern oder in der Landwirtschaft blieb jedoch ausgeschlossen. Es fehlten auch einfach Unterlagen, um diese Härte an Ausbeutung zu belegen. Ganze Bevölkerungsgruppen wurden unter Generalverdacht der Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht gestellt und deportiert, wie die Krimtartaren Ende 1944. Erst allmählich erschloss sich das Ausmaß an Ausbeutung. Ehemalige sowjetische Staatsbetriebe, Gebäude und Maschinen wurden übernommen. Schon wie im Frühjahr 1941 in Griechenland wurde die gesamte Ernte der Vorkriegsjahre beschlagnahmt und auf eigene Rechnung verarbeitet und verkauft. Roth kommt auf 36 Millionen Zwangarbeiter in den besetzten Ländern gegenüber weiteren 12,5 Millionen im Reichsgebiet. Zu dem beispiellosen Terror, der den deutschen Vormarsch begleitete, gehörte 1941/43 die Vernichtung der Partisanendörfer, der jüdischen Gemeinden, der Roma und der Psychiatrieopfer alles in allem 10% der Bevölkerung der Krim. In den Tabakbetrieben beschäftigte Reemtsma ca. 28.000 Zwangsarbeiter, was ihm alleine im ersten Jahr 370.000 RM Gewinn bescherte. Er hatte sich quasi das Monopol für Orienttabake gesichert. Mit seinen Betrieben auf der Krim und im Nordkaukasus war zwar der Importausfall bei weitem nicht ausgeglichen, aber die Option auf das Tabakmonopol nach einem Sieg. Im Verlauf der Studie geriet auch die extensive Nutzung von Zwangsarbeit in der deutschen Bauindustrie stärker ins Visier. Mit den gewonnenen Erkenntnissen über Ausmaß und Bilanz der Zwangsarbeit i9n den besetzten Gebieten ist nun den Bewohnern eine Handhabe für Sammelklagen gegen deutsche Firmen gegeben.