Irène Némirowsky – Die Biographie

geschrieben von Raimund Gaebelein

15. August 2010

Mit 39 Jahren starb die russisch-jüdische Schriftstellerin Irène Némirowsky…

…Mitte August 1943 in Auschwitz-Birkenau an Typhus. Sechzig Jahre nach ihrem Tode erschien ihr Romanfragment „Suite française“, gespickt mit einer Fülle biographischer Einzelheiten über ihre Kindheit in Kiew. Die Wintermonate verbrachte die Familie in französischen Kurorten wie Vichy, Vittel oder Biarritz, Irène blieb weitgehend sich selbst und der Betreuung durch ein französisches Kindermädchen überlassen, das sie mit 13 verlor. Daher wohl ihre Sehnsucht nach dem Vater, der wegen häufiger Geschäftsreisen für sie nur selten greifbar war, ihr Hass auf die Mutter, die stets auf der Suche nach neuen Liebhabern war. Die Eltern kamen aus Sewastopol, die Mutter entstammte einer großbürgerlichen Familie, der Vater Leonid war ein Emporkömmling, der sein Geld mit Aktienspekulationen und Bankgeschäften machte. Die Oktoberrevolution beendete diese Welt, über Finnland und Schweden floh die Familie unter Mitnahme einiger Reichtümer nach Paris. Iréne schrieb sich 1921 an der Sorbonne für das Studium russischer Literatur ein. Mit 14 begann sie zu schreiben, Französisch beherrschte sie von klein auf fließender als Russisch. Ihre erste Erzählung erschien 1924 sehr stark gekürzt in Le Matin. Skizzen und Erzählungen spiegeln die untergehende zaristische Welt Russlands wider und das großspurige Leben in den mondänen Kurorten im Exil. Der Durchbruch erfolgte 1930 mit dem Roman David Goulder, in dem sie die Zeit der Pogrome in Russland und die Entwurzelung einer jüdischen Familie verarbeitete. Ihre Romanfiguren David und Gloria treibt nicht die Geldgier, sondern die bedrohliche Erinnerung an ihr Elend, macht sie zu Spekulanten, Machtmenschen und Spielern. Irène Némirowskys hat ihre Figuren vorab bis ins Einzelne in Skizzenheften beschrieben, Themen und dargestellte Personen wurden später im Romanwerk ausgearbeitet. Neun Romane, eine Biographie und 28 Novellen hinterließ Irène Némirowsky. Vor dem Zweiten Weltkrieg und der deutschen Besatzung floh sie mit ihrem Mann Michel Epstein, einem jüdischen Bankier, und ihren Töchtern Denise und Babet in die französische Provinz, nach Issy-l’Evêque in Burgund. Trotz Übertritt zum Katholizismus, Bemühungen um die französischen Staatsbürgerschaft, Publikation bei antisemitischen Verlagen, antibolschewistischen Aussagen, war die ganze Familie gezwungen den Judenstern tragen. Dem Publikationsverbot für jüdische Autoren bemühte sie sich durch Veröffentlichungen unter einem Decknamen zu entgehen. Auf verschlungenen Wegen und nach monatelangem Drängen wagte ihr Herausgeber Sabatier im April 1942 den Weg nach Issy-l’Evêque. Kurze Zeit später kamen die Judendeportationen nach Auschwitz in Gang, unterstützt wurde die deutsche Besatzung beim Registrieren, Sammeln und Abtransport über die Durchgangslager Le Pithivier und Drancy durch die französische Polizei. Von Nachbarn denunziert, wurde Irène Némirowsky mit dem 6. Transport nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Ein verzweifelter Appell ihres Ehemanns Michel Epstein an Marschall Pétain endete mit seiner eigenen Verhaftung und Abtransport. Mit Hilfe eines deutschen Offiziers gelang es ihm in letzter Minute, den beiden Töchter den Koffer mit den Manuskripten in die Hand zu drücken und sie nach Ermahnung, ihn nicht aus der Hand zu geben, zur Flucht anzuspornen. Olivier Philipponnat/Patrick Lienhardt, Irène Némirowsky – Die Biographie, 575 Seiten, 29,95 Euro, Knaus Verlag 2010, ISBN 978-3-8135-0341-8

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