Grußwort

geschrieben von Jens Böhrnsen

4. Mai 2010

Wir denken heute daran, dass vor 65 Jahren Deutschland durch die Alliierten von Faschismus und Krieg befreit wurde

Sehr geehrte Damen und Herren, Wir denken heute daran, dass vor 65 Jahren Deutschland durch die Alliierten von Faschismus und Krieg befreit wurde. Noch immer ist es menschlich unfassbar, was damals, während der Herrschaft der Nationalsozialisten, geschah, was Menschen durch Menschen angetan wurde. Der Völkermord an den Juden und den Sinti und Roma, der Mord an Polen und Russen, an Homosexuellen, an Kriegsgefangenen, an Behinderten, an Antifaschisten, an Humanisten und Christen, die sich den Akteuren des Terrors in den Weg stellten – all das ist und bleibt unfassbar und in der Geschichte der Menschheit einzigartig.

Mit der Befreiung im Jahre 1945, mit dem Ende des barbarischen Krieges und der nationalsozialistischen Herrschaft war der Schrecken für viele Menschen nicht vorbei. Die körperlichen und seelischen Wunden, die der nationalsozialistische Terror bei den Überlebenden gerissen hat, können wohl nie ganz verheilen. Überlebende sprechen immer wieder davon, wie schwer die Last der Erinnerung zu tragen ist – viele fühlen sich ein Leben lang wie aus der Welt gefallen.

Gedenkfeiern wie diese am heutigen Tag können die Wunden wieder aufreißen. Umso dankbarer bin ich, dass heute auch ehemalige belgische KZ-Häftlinge und ihre Angehörigen zu dieser Gedenkfeier am ehemaligen Neuengamme-Außenlager angereist sind. Es fällt Ihnen gewiss nicht leicht, hier zu sein. Aber Sie zeigen mit Ihrer Anwesenheit, dass es Ihnen wichtig, ein inneres Anliegen ist, die Erinnerung wach zu halten. Uns allen ist wichtig und muss auch in Zukunft wichtig bleiben, dass wir uns der Erinnerung stellen, sie nicht beiseite schieben, weil sie eine schwere Last ist, weil sie quält, uns fassungslos und sprachlos macht, weil sie uns unerbittlich vor Augen führt, wozu Menschen fähig sind.

Wer sich erinnert, lässt nicht nur das Schmerzhafte und Unfassbare zu, er stellt sich auch der Verantwortung. Das Erinnern schärft unser moralisches Empfinden und unsere demokratische Wachsamkeit. Das sind wir den Opfern schuldig, das sind wir der Zukunft schuldig.

Es fällt schwer, sich diesem schrecklichen Kapitel unserer Geschichte zu stellen. Aber es gibt dazu keine Alternative. Wer sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus befasst, wird damit konfrontiert, wohin Vorurteile und Verblendung, wohin Rassenwahn und Hass führen können. Und er lernt auch, die Anfänge zu erkennen, jene Anfänge, denen es zu wehren gilt.

Erinnern bedeutet auch, zu handeln, wo Menschen ihrer Menschenrechte beraubt werden, wo Minderheiten benachteiligt und unterdrückt werden, wo andere Menschen ausgegrenzt und entwürdigt werden.