Rede zum 60. Jahrestag der Gründung der VVN Bremen

geschrieben von Guido Hendrickx, Vorsitzender der Stiftung Meensel-Kiezegem 44

22. August 2007

Gründungstage begehen und noch dazu einen sechzigjährigen wie heute Abend bedeutet nicht nur feiern. Das außergewöhnliche Jubiläum beinhaltet zugleich einen Auftrag.

Herr Bürgermeister, liebe Kameradinnen und Kameraden, liebe Freunde aus Meensel-Kiezegem, sehr geehrte Anwesende,

Gründungstage begehen und noch dazu einen sechzigjährigen wie heute Abend bedeutet nicht nur feiern. Das außergewöhnliche Jubiläum beinhaltet zugleich einen Auftrag. Feiern heißt immer auch ein wenig Abschied nehmen von einem Zeitabschnitt. Er wird betrachtet mit Rückblick, Erinnerung und Stolz. Das heißt auch, dass bewertet und der Blick auf die Zukunft gerichtet wird. Ich erinnere mich der Worte des niederländischen Sängers Stef Bros mit seinem Lied und Refrain: „Immer wenn du denkst – das ist das Ende – stehst du an der Grenze zu einem Beginn“.

Genau das ist hier vor 60 Jahren auch geschehen. Deutsche standen am Anfang einer „deutschen Zukunft“. Einer Zukunft, die durch Nazi-Vergangenheit gezeichnet war. Einem Augenblick, in dem der Wille ohne Faschismus zu leben notwendig schien. Der Krieg war vorbei, menschliches Leid nicht vergessen. Wie konnten wir das zulassen?

Als Verfolgte des Faschismus zusammengeschlossen, entwickelten sich ihre Vorläufer von auf sich bezogenen Bangbüxen mit einer leidenschaftlichen Stärke und unvorstellbarer Dynamik zu ausgesprochen mutigen Streitern. Sie hatten die drohende Wiederholung und Gefahr einer Wiederbelebung des Vergangenen vor Augen. Das stärkte ihre Kraft, den Kampf gegen den Faschismus fortzusetzen. Diese Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes zog gleichsam eine Grenze, um zu verhindern, dass sich eine solche wahnwitzige Menschheitsgeschichte jemals wiederholt. Dazu kam, dass sich die Verfolgten bewusst waren, welchem Unheil sie entkommen waren. Im Widerstand und Protest, die die Welt veränderten, in unsichtbaren Siegen zum Ausdruck kamen, die unauffällig in einem historischen Rückblick zu Tage traten, wurde der unerbittliche Kampf der Antifaschisten ins Leben gerufen.

Vorläufer, Aktive von der ersten Stunde an, Freiwillige und Unterstützer von heute, keinen können wir unsterblich machen. Aber ihre schwierige Aufgabe können wir vor dem Vergessen bewahren. Unvergesslich … der Beweis dafür wird heute nach 60 Jahren erbracht.

Aufbruch in die Zukunft hieß es auch für die Stiftung Meensel-Kiezegem 44, als wir endlich beschlossen auf Spurensuche zu gehen nach den über 60 Mitbürgern, unseren Opfern des Nazi-Regimes, umgebracht und zurückgelassen in verschiedenen Lagern. Eine Spurensuche nach einer Verschleppung mit tödlichem Ausgang. Neuengamme blieb seit 1998 der Dreh- und Angelpunkt. Bremen war die große Unbekannte auf unserer Suche. Bis wir 2002 unerwartet in Kontakt mit Eurem Vorsitzenden Raimund Gaebelein kamen, der uns hilfsbereit einlud. Das ist genau fünf Jahre her. Die ersten Briefe, die ersten Berichte über das Gästebuch auf unserer Internetseite, sein selbstloser Einsatz und Eingreifen, sein Rat und Informationen führten zu

– einer Auseinandersetzung mit der bestürzenden Entdeckung der großen Zahl von Neuengamme-Außenlagern

– einem Durchforsten Bremens auf der Suche nach fluchbeladenen Einsatzorten

– einem Aufsuchen gut gepflegter Grabanlagen, die uns bis dahin unbekannt waren

– einem festen Programmpunkt mit Besuch von Schützenhof, Blumenthal und Farge

– einer besonderen Begegnung mit jungen Leuten, Schulen und Zeitzeugen

Nach und nach bekam das Unbekannte für uns ein Gesicht. Eine Umkehr in unserem Erleben. Der unwiderstehliche Drang mit großem Interesse wiederzukommen.

Bremen wurde Haltepunkt auf unserer jährlichen Gedenkreise. Bremen, dem wir schon früher mit versöhnlicher Haltung entgegentraten, hat sich heute zu einer Haustür entwickelt, durch die wir weitere Lagerorte woanders besuchen können. Inzwischen sind wir uns der heilsamen Kraft dieser Begegnungen bewusst, vor allem der Kontakte mit noch lebenden Zeitzeugen. Die Wachstumsziele beider Vereinigungen bewirken, dass wir das heute ungebrochen als Freunde befestigen können: Zusammenarbeit beim antifaschistischen Gedenken und stetig wachsam sein für Demokratie, Freiheit und Beachtung der Rechte aller Menschen. Herr Vorsitzender, lieber Freund Raimund Gaebelein, herzlichen Glückwunsch zum 60. Jahrestag der Gründung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Ich möchte mich persönlich und im Namen der Stiftung Meensel-Kiezegem 44 für die Einladung zum heutigen Abend bedanken. Unsere zehnte Gedenkreise wird damit eine unauslöschliche Erinnerung erhalten. Wir wissen, dass unsere Zeit begrenzt ist. Hier dabei sein zu können ist eine große Anerkennung und ein würdiges Geschenk an die Stiftung Meensel-Kiezegem 44. Mit respektvoller Dankbarkeit verdient es dann auch eine tiefe Verbeugung und ein wohlgemeintes: Danke für alles.

Rede zum 60. Jahrestag der Gründung der VVN Bremen

geschrieben von Dr. Udo Witthaus (Direktor der Bremer Volkshochschule)

22. August 2007

Vor 70 Jahren haben die Nationalsozialisten den sozial, politisch und kulturell engagierten Julius Bamberger in den wirtschaftlichen Ruin getrieben und ihn gezwungen, sein Kaufhaus Bamberger zu schließen.

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Böhrnsen, sehr geehrter Herr Alt-Bürgermeister Koschnik, sehr geehrter Herr VVN-Landesvorsitzender Gaebelein, lieber Herr Dr. Hübotter, verehrte belgische Gäste von der Stiftung Meensel-Kiezegem 44,

liebe Gäste,

als Direktor der Bremer Volkshochschule heiße ich Sie herzlich willkommen im Bamberger Haus, unserem neuen Domizil, das wir Anfang Juli bezogen haben. Für die Bremer Volkshochschule ist es eine besondere Ehre, dass Ihre Veranstaltung die erste ist, die in diesem neu eröffneten traditionsreichen Gebäude stattfindet. Auch wenn noch nicht alles fertig ist für unsere große Eröffnung in 14 Tagen, und die Handwerker noch viel zu tun haben – schauen Sie also heute Abend noch nicht in jede Ecke – so ist dieser Ort meines Erachtens doch ein sehr angemessener Rahmen für Ihre Jubiläumsfeier.

Vor 70 Jahren haben die Nationalsozialisten den sozial, politisch und kulturell engagierten Julius Bamberger in den wirtschaftlichen Ruin getrieben und ihn gezwungen, sein Kaufhaus Bamberger zu schließen. Trotz seiner erfolgreichen Flucht über die Schweiz und Frankreich in die USA hat sich Bamberger von dieser Verfolgung nie erholt und starb dort 1951 verarmt. Vor einigen Wochen hat Dr. Hübotter den alten Schriftzug „Bamberger“ wieder auf den aufgebauten Turm anbringen lassen. Ausgerichtet in alle vier Himmelsrichtungen, ist der Name Bamberger im Bremer Stadtbild seither nicht mehr zu übersehen. Diesen großen Veranstaltungssaal haben wir als Bremer Volkshochschule „Julius-Bamberger-Saal“ genannt. Somit wird der Name Julius Bamberger zukünftig gemeinsam mit vielen Veranstaltungen genannt werden, die hier stattfinden. Schriftzug und Saalname werden helfen, die Erinnerung an ihn wach zu halten.

Wenn jetzt die VHS im Bamberger ihre Arbeit aufnimmt, dann machen wir damit das Haus zu einem Ort der offenen Begegnung von Menschen und Ideen. „Miteinander leben – voneinander lernen“: unser Leitmotiv werden wir in diesem Haus gut entfalten können. Dialog, Verständigung, Toleranz – bei uns treffen sich Menschen unterschiedlicher Kulturen und aus allen gesellschaftlichen Milieus, hier werden wichtige Grundlagen für Integration gelegt. Und hier arbeiten wir daran, gesellschaftliche Ausgrenzung nicht zuzulassen sondern die Menschen für Teilhabe am sozialen und politischen Leben zu stärken und kompetent zu machen. Wir werden das Bamberger Haus zu einem Forum machen für öffentliche Debatten über aktuelle gesellschaftliche Fragen und Zukunftsentwürfe.

Und es wird ein Ort des Erinnerns bleiben: So hat die Volkshochschule zur Eröffnung am 7. September Nachfahren von Julius Bamberger, Enkel und Urenkel eingeladen, die unter anderem in einem Erzählcafé über ihren Großvater berichten werden. Im Herbst wird im (Treppen)Haus eine Dauerausstellung zum Leben Julius Bambergs eröffnet.

Herr Gaebelein, Sie haben in der heutigen taz auf die pädagogische Herausforderung verwiesen, die sich aus dem Verlust der Zeitzeugen ergibt. Für Sie und die VVN, aber auch andere Bildungseinrichtungen bedeutet das, die Erinnerungsarbeit zukünftig vermehrt in anderer Weise zu gestalten. Ich wünsche Ihnen dafür gute Ideen, Konzepte und nachhaltige Lernerfolge. Die Bremer Volkshochschule als Weiterbildungseinrichtung mit einem starken Standbein „politische Bildung“ ist in hierfür ein verlässlicher Kooperationspartner und starker Netzwerkknoten.

Ich wünsche der VVN alles Gute für Ihre weitere Arbeit. Ihnen allen, liebe Gäste, wünsche ich einen interessanten Abend im Bamberger. Viele Dank für Ihre Aufmerksamkeit.