Die ‚Arisierung‘ von jüdischem Haus- und Grundbesitz in Bremen

19. März 2015

Die Enteignung jüdischen Haus- und Grundbesitzes in Bremen vor Kriegsbeginn stand im Mittelpunkt eines informativen Vortrags von Hanno Balz am 12. Januar im Rahmen der Ausstellung „Ausplündern und Verwalten“. Nach einer Fülle diskriminierender Maßnahmen und der völligen Entrechtung begann im Rahmen des Vierjahresplans die systematische Erfassung und Aneignung jüdischen Eigentums. Hanno Balz, inzwischen Dozent an der John Hopkins Universität Baltimore, hatte sich mit dem Thema bereits im Rahmen der Goldhagen-Debatte beschäftigt und intensives Studium der Katasterakten im Staatsarchiv betrieben. Um inflationären Entwicklungen und Preisverfall entgegenzuwirken, hatte die Regierung Oktober 1936 eine Preiskontrolle eingeführt. Juli 1938 wurde eigens eine Preisregelung bei Grundstücksveräußerungen eingeführt. Es galt eine Stopppreisgrenze von 80% des amtlichen Taxates. In Bremen musste die Grunderwerbssteuerstelle Veräußerungen im Vorfeld dem Katasteramt anzeigen.
Hanno Balz verdeutlichte den mehr als 180 Zuhörern an zwei Beispielen, dass in Bremen Hausverkäufe nicht notwendigerweise mit Ausnutzung der Notlage jüdischer Besitzer verbunden sein mussten. Der nichtjüdische Rechtsanwalt Hellmuth Stutzer lernte als Rechtsberater die Witwe Auguste Michel kennen, die in der jüdischen Gemeinde aktiv war. Von ihrem Mann erbte sie 1938 das Wohnhaus Rembrandtstraße 25. Sie wohnte dort mit Tochter und Enkelin und bemühte sich um Auswanderung, nachdem eine ihrer Töchter bereits in die USA entkommen war. Das Haus wurde zum Judenhaus erklärt, 17 weitere Personen dort eingewiesen und die Ausstellung eines Visums für Kuba verzögerte sich bis Sommer 1941. Stutzer regelte den Verkauf des Hauses, der Wert auf 35.000 RM taxiert, als Kaufpreis 34.000 angesetzt, die er beim Katasteramt auch durchsetzen konnte. Den Kaufpreis entrichtete er auf das Konto der Reichsvereinigung der Juden, um den Erwerb der Visa für Familie Michel sicherzustellen. Die Ausreise gelang, das Haus wurde von der Gestapo beschlagnahmt. Stutzer gelang jedoch nach längeren Prozessen die Rückgabe.
Anders verlief es im Steintor. Der Kaufmann Richard Holst betrieb ein Bekleidungsgeschäft Vor dem Steintor 153. Bis 1945 war er auch Leiter der Bezirksfachgruppe Bekleidung der Einzelhandelsabteilung bei der Bremer Handelskammer. In dieser Funktion betrieb er aktiv „Arisierungen“ konkurrierender Geschäfte. Das Nachbarhaus gehörte Selma Beverstein, geb. Rothschild, schon 1925 hatte Holst ihr Ladenlokal gemietet. 1935 gelang es ihm die Miete auf ein Drittel zu drücken. Sein Vorkaufsrecht machte Holst November 1938 geltend. Er drohte mit Beschlagnahme, sollte sie nicht verkaufen, zahlte aber die von ihr verlangten 40.000 RM, die auf ein Sperrkonto gingen. Selma Beverstein verzog ins Jüdische Altersheim Gröpelinger Heerstraße und wurde in Auschwitz ermordet. Ihre Schwester Hedwig war Mieterin in dem Haus und lebte mit ihrem Mann Heinrich Lohmann in einer „privilegierten Mischehe“. Eine Räumung konnte Holst vor Gericht nicht erwirken. Daher suchte er sie in der Wohnung auf und beschimpfte sie aufs unflätigste. Da weitere Räumungsversuche nicht glückten, ließ Holst eine Tafel mit den Namen der Mietparteien anbringen und ergänzte sie mit dem Geburtsnamen Rothschild und einem Davidstern. Nach vergeblichen Versuchen diese Tafel per Gerichtsbeschluss entfernen zu lassen, gaben Lohmanns entnervt auf und zogen aus.
Hanno Balz‘ lesenswertes 128 Seiten starkes Buch „Die ‚Arisierung‘ von jüdischem Haus- und Grundbesitz in Bremen“, erschien 2004 in der Schriftenreihe Erinnern für die Zukunft, Bd.2, bei Edition Temmen Bremen (ISBN 3-86108-689-1).

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