Attraktion der NS-Bewegung

15. September 2014

75 Jahre nach Entfesselung des Zweiten Weltkriegs stellt sich verstärkt die Frage wie es in Deutschland zur Machtübertragung an die Faschisten kommen konnte „Worin bestand die Anziehungskraft der Nazi-Bewegung?“ fragt die Herausgeberin Gudrun Brockhaus anlässlich einer Tagung über die Aufstiegszeit der NSDAP. Die Wahlergebnisse neofaschistischer und rechtspopulistischer Parteien und eine lange Jahre nicht gewollte Aufklärung über das Mordtreiben des so genannten NS-Untergrunds stellen meines Erachtens das Thema in voller Deutlichkeit auf die Tagesordnung. Immer noch werden neue Einzelheiten zur Verantwortlichkeit des Finanzkapitals, des Militärs und der seit dem Kaiserreich bestehenden Eliten in Archiven gefunden. In 17 Beiträgen wird die subjektive Motivation von Teilen des Mittelstands beleuchtet, sich dem Faschismus anzuschließen bzw. zu unterwerfen. Untersucht werden die Verarbeitung des Fronterlebnisses nach dem Ersten Weltkrieg, die Empfänglichkeit verschiedener sozialer Gruppen für die NS-Bewegung, die Bedeutung der wirtschaftlichen Krisen der Weimarer Republik, die Rolle des Antisemitismus, die Rolle von Personenkult und der Einsatz moderner Technik und Kommunikation. Offensichtlich verloren die liberalen und konservativen berufsständischen Honoratiorenparteien mit der Wirtschaftskrise von 1929 ihren Rückhalt im Mittelstand, die Einpunktparteien waren unfähig das verlorene Vertrauen zu binden. Angesicht kriegstraumatischer Erlebnisse schwand die Hoffnung, auf dem Verhandlungsweg mit den Siegermächten eine nachhaltige Besserung zu erreichen. Viele Mittelständische träumten von einem Kaiserreich ohne Kaiser, die Vorstellung von einem Revanchekrieg schien ihnen vielfach der einzige Ausweg aus ihrer unsicheren wirtschaftlichen Lage. Sie hofften auf eine Überwindung des Versailler Vertrag mit einem Handstreich. Die Weimarer Demokratie und ihre Parteien werteten sie vielfach als aufgezwungenes System.
Die Attraktivität des NS-Systems bestand darin, dass es sich ihnen als Bewegung darstellte, als mitreißende tatkräftige Aktionsform, die vorgeblich von einem Mann von ganz unten geführt wurde. Die NS-Bewegung zeigte sich als dynamisch, Hitler absolvierte zwischen April und November 1932 auf vier Flugreisen 148 Reden vor einem Publikum von jeweils 20-30.000 Menschen. 31,7% des Mittelstands träumte von einer harmonischen Volksgemeinschaft, 22,5% war extrem nationalistisch, 18,1% verfiel einem ausgeprägten Hitlerkult. Die Stoßtrupps des Grabenkriegs von 1914/18 wurden in der Zeit der Wirtschaftskrise Vorbild für die Mobilisierung von Angehörigen des Mittelstands auf dem politischen Feld. Militarismus, Vitalität, Gewaltbereitschaft, Jugendkult, Kameradschaft banden Landsknechte in der SA weit mehr als im ultrakonservativen Stahlhelm, wurde doch scheinbar die verkrustete Gesellschaft aufgebrochen. Mit der Entrechtung und Enteignung des jüdischen Teils der Bevölkerung gab es Wohnungen, Arbeitsplätze, sozialen Aufstieg zu gewinnen. Zudem geschah etwas, um die Angst vor revolutionärer Veränderung zu beenden. Diskussionen, Verhandlungen, all das wurde ersetzt durch inszenierte Auftritte mit nächtlichen Inszenierungen, Fackelzügen, Heldenverehrung und Beschwörungsformeln, deutlich symbolisiert mit dem Handschlag zwischen Hitler und Hindenburg vor der Garnisonskirche in Potsdam. Die letzten drei Beiträge beschäftigen sich mit dem Neofaschismus von heute. Darin geht es um Gewaltprävention, der Wirkung nationalistischer Flash Mobs und die Rolle der Gewalt in der neofaschistischen Ideologie und Praxis. Ein ausführliches Literaturverzeichnis erleichtert die weitere Beschäftigung mit dem Thema.
Gudrun Brockhaus (Hrsg.) Attraktion der NS-Bewegung, Klartext Verlag Essen, 341 S., Juli 2014, 22,95 Euro, ISBN 978-3-8375-1033-1

978-3-8375-1033-1